Rezension

Cursive

Mama, I'm Swollen


Highlights: From The Hips // I Couldn't Love You // Mama, I'm Satan
Genre: Indie
Sounds Like: Bear Vs. Shark // mewithoutyou // The Good Life // Bright Eyes

VÖ: 05.06.2009

„Wir sind die Zweitgeborenen der Geschichte, Leute - Männer ohne Zweck, ohne Ziel. Wir haben keinen großen Krieg, keine große Depression. Unser großer Krieg ist ein spiritueller. Unsere große Depression ist unser Leben.“ Sie sind nicht von Tim Kasher selbst, doch aller Wahrscheinlichkeit nach stehen diese Worte auf dem Einband seines Textbuches. Ursprünglich stammen sie von Chuck Palahniuk, aus dessen Bestseller Fight Club. Vermessen ist es wohl nicht zu behaupten, dass Kasher als zynischster musizierender Lyriker sich problemlos mit Palahniuks finsterer Weltsicht messen kann. Auf „Mama, I'm Swollen“ sogar mehr denn je.

Und das nicht nur wegen der Kritik an einer konsumgeilen Gesellschaft, auch die für trangressive Romane gern praktizierte Selbstzerstörung ist Kasher nicht fremd. Er nennt es das „Peter-Pan-Syndrom“ der Erwachsenen. Und die zahllosen literarischen Motive sind hier noch lange nicht am Ende. Wie in „Caveman“, das mit spröden Akustikgitarren und Rockabillysolo seinem Kumpel und Labelmate Conor Oberst erstaunlich nahe kommt. Kasher wünscht sich indes die Umkehrung der menschlichen Evolution zum gekrümmten Gang und Instinktrieb zurück: „I'd rather be all hands and knees, yeah I'd rather be swinging in the trees with the monkeys and the junkies and bums and sloths and jailbird canaries.“ Und immer wieder tauchen sie auf, die gesichtslosen Männer in ihren schwarz-weißen Anzügen. Ist das unsere Zukunft? Oder schon die Gegenwart?

Wie unbequem die Antwort doch ist. Besonders, weil Cursive sie unaufgeregter und unscheinbarer verpacken als auf den Vorgängern „Happy Hollow“ und „The Ugly Organ“. Weitaus häufiger verzichtet man hier auf fieses Gitarrenzerren und begrüßt weltoffen allerlei Instrumentarium. Sonderlich spektakulär klingt „Mama, I'm Swollen“ dabei nur stellenweise, solide aber allemal. Ausnahmen bestätigen natürlich wieder die Regel, weil Cursive immer noch imstande sind, Druck zu entwickeln. Wie im allumfassenden „Mama, I'm Satan“, in dem sich Kasher erst selbst exorziert und dann zum Schluss kommt „All in all we're pawns, the darkness of mankind stirs in us all“. Ja, im Gegensatz zum recht straighten „Happy Hollow“ tritt wieder verstärkt die schräge Seite der Band zu Tage.

Kashers Lösung findet sich eingebettet im Zentrum des wenige Textzeilen mantra-artig wiederholenden „In The Now“. „So history repeats, 'cause present won't repent“. Reue also. Bei allem bodenlosen Pessimismus und Verachtung fürs dekadente Dahinvegetieren wirft uns Kasher fast beiläufig den Anker zum Festklammern hin: „Love may be manmade, but it must exist“. Nehmen wir es als Kompliment. Denn positiver und offensichtlicher werden Cursive auf dieser Platte nicht mehr. Den Literaturfans der Band gibt das wieder massig Material, den Indierockern fehlen hier manches Mal die Akzente. Schuld daran ist Tim Kasher. Diese Platte hätte auch ein Roman werden können.

Gordon Barnard

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