Rezension

Chilly Gonzales

Chambers


Highlights: Prelude To A Feud // Advantage Points // Solitaire // Myth Me
Genre: Kammerpop // Klassik
Sounds Like: Yann Tiersen // Alexandre Desplat // Max Richter

VÖ: 20.03.2015

Da sitzt er. In einem salonartigen, einladend dekorierten Raum mit schweren Vorhängen. In Morgenmantel und Pantoffeln führt er uns durch die Musikgeschichte – von Mozart bis Ol’ Dirty Bastard – und man möchte noch Stunden zuhören. Wie er so über die kleine Sekunde (den Halbtonschritt) doziert und von ihrer musikgeschichtlichen Bedeutung überleitet in den Song "Odessa", der – oh, Wunder – natürlich auf dieser kleinen Sekunde basiert. Da wird einem schlagartig klar, warum dieser Mann so allgegenwärtig in der jüngeren Musikgeschichte war – ohne dass es die meisten überhaupt bemerkt hätten.

Chilly Gonzales ist der Name, den wahrscheinlich jeder in mindestens einem Booklet in seinem CD-Regal finden kann. Denn der Kerl hat schon alles gemacht: Platten mit Daft Punk, Boyz Noize, Drake und Peaches, das großartige, grammy-prämierte „The Reminder“ von Feist, aber eben auch eigene Projekte von Rap bis Klassik. Der Wahlkölner ist ein musikalisches Lexikon, sein Oeuvre ebenso vielfältig wie beeindruckend zwischen E- und U-Musik changierend. Und nun?

Gemeinsam mit dem Hamburger Kaiser-Streichquartett nimmt Gonzales mit „Chambers“ eine Platte auf, in der er die Grenzen zwischen Pop und Klassik verwischt, sich zwischen den Welten bewegt. Genau das könnte ihm allerdings zum Verhängnis werden. Kammermusik- und Klassikfans dürfte „Chambers“ zu simpel, zu sehr „U“ sein, während seinen Popanhängern der Kammerpop auf den Keks gehen könnte.

Das ist schade, denn die Platte ist ein ironisch-melancholisches Meisterwerk. Ironisch, weil Gonzales sich nicht allzu ernst nimmt und die Songs wahlweise John McEnroe oder Daft Punk widmet. Melancholisch, weil man doch hin und wieder, wenn sich die Finger sanft und verträumt über die Tasten bewegen, um dann gemeinsam mit mit den Streichern zu explodieren, denkt, „Chambers“ könne der Soundtrack für ein gewisses verträumt-verrücktes Mädchen aus Montmartre sein.

Ganz am Ende haut der gute Chilly mit „Myth Me“ (dem einzigen Song, den er textlich begleitet) einen klassischen Gonzales raus und beweist, dass er trotz all der scheinmelancholischen Ernsthaftigkeit und dem soundtrackigen Pathos von „Chambers“ auf einen guten Kalauer nicht verzichten kann: „Are you still with me? You’re gonna myth me“ singt er da und ein besseres Abschlusswort kann es für diese Platte gar nicht geben.

Andreas Peters

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