Rezension

Chilly Gonzales & Jarvis Cocker

Room 29


Highlights: Clara // Belle Boy // A Trick of the Light
Genre: Jazz // Liederzyklus // Neue Musik
Sounds Like: Serge Gainsbourg // Lou Reed

VÖ: 17.03.2017

Einen Soundtrack zum eigenen Kopfkino haben sich Jarvis Cocker und Chilly Gonzales komponiert. Der geschichtsträchtige Ausgangspunkt ihrer mentalen Reise ist der Room 29. Das einzige Hotelzimmer des Chateau Marmont, in dem ein Flügel steht. Dieses Hotel ist eines der berüchtigsten Hotels von Los Angeles und dementsprechend Hollywood. Hier gehen seit 1929 Schauspieler, Regisseure, Künstler und Musiker ein und aus. John Belushi starb hier an einer Überdosis. Sofia Coppola und Oliver Stone nutzten die Hotelräume als Filmkulisse. Charles Bukowski beschreibt es in seinem Buch "Hollywood" – die Liste lässt sich beliebig lang weiterführen.

Gonzales und Cocker interessierte in ihrer dreijährigen Reise aber die Anfangszeit des Hotels, als Mark Twains Tochter Clara, Jean Harlow und Gangsterboss Mickey Cohen Gäste waren. Das Ergebnis nennen sie einen Liederzyklus für das 21. Jahrhundert, orientiert am klassischen Liederzyklus des 19. Jahrhunderts. Das hört sich zunächst konstruiert und abstrakt an, aber wer die beiden Musiker kennt – Chilly Gonzales, der Pianist im Morgenmantel, der den Rekord für das längste Konzert hält (27 Stunden) und Jarvis Cocker, Frontmann von Pulp, der aus spontanem Protest schon auf die Bühne stürmte, als Michael Jackson seinen Earthsong performte – ahnt, dass das Ergebnis alles andere als konstruiert ist.

Genug Nerdfacts, wie klingt nun das Album? Sanft wie Zigarettenrauch. Mal gesprochen. Mal halbstark gesungen. Nie zu laut. Heimelig wie ein Wiegenlied. Gefühlt mehr Moll als Dur. Wie haben sie das hingekriegt? Düstere Texte. Lustige Texte. „You Are Such A Jerk!“-Texte.

Das Kaiserquartett erweitert das Klangspektrum der beiden und erschafft eine hoheitliche Stimmung. So hoheitlich, dass man meint, Serge Gainsbourg hätte den "Perfect Day" von Lou Reed. Cocker und Gonzales spielen das Resultat einfach in die Welt hinaus. Besser als Hollywood. Wirklich großes Kino. Kopfkino.

Peter Heidelbach

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