Rezension

Cat Power

The Greatest


Highlights: The Greatest // Hate // Love & Communication
Genre: Progressive Folk
Sounds Like: Feist // Katie Melua // Norah Jones

VÖ: 20.01.2006

Es gibt Texte, die verströmen die Musik, über die sie berichten. Andere Reviews wiederum sind nichts sagend wie sonst was. Diese wird wohl zu letzteren gehören. Dabei hätte Cat Powers Album „The Greatest“ soviel mehr verdient. Ein Album das sowohl das Publikum von Feist anspricht, wie auch das von Katie Melua oder Norah Jones. Ein zartes Pflänzchen von alternativem Barsouljazz, Country oder auch einfach R’n’B Marke Memphis.

Vor 50 Wochen erschienen – mit einem Rerelease im Herbst – hätte „The Greatest“ dafür sorgen können, dass für Cat Power – aka Chan Marshall – 2006 ihr Jahr geworden wäre. In gewissem Sinne ist es das auch. Ein gefeiertes Album (sechs Grammy-Nominierungen) und gefeierte Konzerte – nachdem sie bisher eher berüchtigt war für Ausraster und andere Eskapaden.

Und doch hätten das Jahr und das siebte Album noch erfolgreicher werden können. Die angeführten Referenzen Jones und Melua suggerieren vollkommen zu Recht goldene und platinfarbene Schallplatten, auch in Deutschland. Da aber eine Tour im Frühjahr abgesagt werden musste, lief die Vermarktung nicht so wie erwartet – das Label meint, es habe um und bei 100.000 $ an Promotion- und Marketingkosten verloren. Gründe für die Tourabsage erfuhren wir im September via einer New Yorker Zeitung. Zum Jahreswechsel – knapp vor Erscheinen des Albums – brach Chan psychisch zusammen und ließ sich in die Psychiatrie einweisen. Alkohol, Drogen, eine kaputte Familie – im Alter von 34 Jahren hatte die Ermüdung sie fast zerbrechen lassen. Der Kitt der Behandlung führte zu den begeistert aufgenommenen Konzerten ab Frühsommer.

Die Zerbrechlichkeit, die Verzweiflung, die Belastung hört man dem Album an. Zwölf Songs geben uns eine wärmende, aber gefährdete Heimat, die zauberhaft ist, aber auch verletzt. Alles beginnt mit dem Titelstück, das eben diese Atmosphäre transportiert, wie kaum ein anderes auf dem Album. Mit den ersten Tönen ist man verloren in Cat Powers Welt. Spätestens wenn Chan Marshalls Gesang aus verschieden Sphären (Spuren) zu uns schallt, geht gar nichts mehr. Noch zerbrechlicher, mit wenigen Bläsern, roh und rau, erscheint ein spröder Edelstein dieses Albums „Lived In Bars“. Zum Ende hin, wenn die Flucht aus den Bars gelingt, nimmt es Fahrt auf und treibt die letzten Gäste aus dem Sumpf ins Leben zurück, oder versucht es zumindest.

Doch den besonderen Reiz jenseits dieser Zerbrechlichkeit besitzt das Album für den Schreiber in den Zügen, die der Kollege von Pitchfork zu Jahresbeginn als „staubig und überholt“ bezeichnet. Von „Could We“ über „Empty Shell“ und „Islands“ bis „After It All“ erstreckt sich eine so reizende und unglaubliche „Altmodisch“-keit über der Mitte des Albums. Ein Hauch von 50er Jahre Musical aus den tiefen Südstaaten der U.S. of A. Im Whiskey gebadet genießen wir. Da gewinnt selbst ein – scheinbarer oder vielleicht doch offenbarer – Kitsch wie „Where Is My Love“ mit seinen galoppierenden Pferden einen ganz eigenen Reiz. Letzteres mag daran liegen, dass sich mir beim Hören der Text nicht vollständig erschließt und ich somit darunter noch eine böse Note vermute – die vielleicht nicht dort ist.

Insgesamt lebt die Faszination von „The Greatest“ vor allem von den perfekten Arrangements. Chan und ihre Mitstreiter setzen mit einer schlafwandlerischen Sicherheit Akzente an den richtigen Stellen oder lassen ebenso richtig weg, dass es einfach nur eine Freude ist … und wenn ich mich zwischen Original-Artwork und Rerelease entscheiden müsste, nähme ich den Rerelease.

Oliver Bothe

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