Rezension

Bleached

Welcome The Worms


Highlights: Sleepwalking // Wasted On You // Sour Candy
Genre: Garagenrock
Sounds Like: Joan Jett // Shangri-Las

VÖ: 01.04.2016

Künstler sind schon komische Menschen. Sie verdienen ihren Lebensunterhalt mit Singen, Schreiben, Malen, Tanzen und vielen weiteren Dingen, die für andere Menschen maximal als Hobby eine Berechtigung finden. Dabei entblößen sie regelmäßig ihre Gefühlswelt vor einer interessierten Öffentlichkeit. Und das funktioniert natürlich genau dann am besten, wenn die Gefühle gerade besonders intensiv sind, positiv oder negativ. Das bringt Zuhörer in die unangenehme Lage, sich stets ein wenig über das persönliche Unglück ihrer Lieblingskünstler zu freuen, zumindest heimlich. Wenn normale Menschen von ihrem Vermieter vor die Tür gesetzt werden oder ihr Beziehungsende zu Alkoholexzessen führt, dann bemitleidet man sie ein bisschen und bietet dann Hilfe an. Im Fall von Jennifer und Jessie Clavin setzt die gute Kinderstube des gemeinen Musikliebhabers aber aus: Man ertappt sich bei der heimlichen Frage, was wohl aus „Welcome The Worms“ geworden wäre, hätten die beiden Schwestern 2015 statt inspirierender Tiefschläge eine fröhlichere Zeit verlebt.

Wer bei solch unchristlichen Gedanken über sich selbst erschrickt, kann sich leicht trösten: Auch die besten Wünsche können schließlich die Vergangenheit fremder Menschen nicht ändern und so können wir uns immerhin am Produkt der schwierigen Zeiten der Clavin-Schwestern erfreuen. Das zweite Album, das sie gemeinsam mit Bassistin Micayla Grace aufgenommen haben, bietet dazu tatsächlich einigen Anlass. „Welcome The Worms“ ist ein Garagenrock-Album geworden, dessen Songs sich stets im Spannungsfeld zwischen eingängig und schrammelig bewegen. Nicht zuletzt Produzent Joe Chiccarelli (Morrissey, The Strokes, Elton John) ist für den neuen Sound verantwortlich, der stellenweise an 70er-Jahre-Rock im besten Sinne erinnert. Ihm ist es sicherlich auch zu verdanken, dass die scheppernden Drums und treibenden Gitarren hervorragend mit der meist hallig und ein wenig dreckig abgemischten Stimme von Jennifer Clavin harmonieren.

Im Vergleich zum Debütalbum haben sich auf „Welcome The Worms“ mehr eingängige Melodien eingeschlichen, die den rohen Sound des Trios aber nicht verwässern, sondern abrunden und die lauten Parts mehr hervorstechen lassen. Das gibt der Platte ein insgesamt reiferes Flair, auch wenn es in den Texten nach wie vor oft um das Leben in L.A. und durchfeierte Nächte geht. Man nehme nur „Sour Candy“, den offensichtlichen Hit des Albums: „‘Cause the past ain‘t kind / and the future scares me“ heißt es in der Strophe. Was kann man da machen? Unter Drogeneinfluss Blumen pflücken, bei fremden Männern im Auto mitfahren und die Angst mit einem Cocktail aus billigem Whiskey und eben „sour candy“ runterspülen, wenn man Clavin glauben darf. Was jetzt nach 0815-Drogenabenteuer klingt, ist in diesem Lied vor allem durch die Dynamik zwischen den verschiedenen Songteilen sehr ansprechend vertont: Der melodische Ohrwurm-Refrain („I’ve been giving in / into giving up / Up to nothing but trying to kill time / You’ve been missing out / out on everything / everything is passing you by“) wird hypnotisierend wiederholt und durch lässige Gitarrenriffs mit den reduzierteren Strophen verbunden. Ab und an könnte man sich vielleicht ein bisschen mehr Tiefe im Songwriting wünschen, aber insgesamt gibt es an dem Garagenrock zwischen Shangri-Las und Joan Jett wirklich nicht viel zu meckern. Außerdem verbieten uns der Knigge und der gute Geschmack, dem Trio bis zum nächsten Album noch mehr schlechte Erlebnisse als Inspiration zu wünschen.

Lisa Dücker

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