Rezension

Arcade Fire

Reflektor


Highlights: Reflektor // Joan Of Arc // Afterlife
Genre: Indie-Pop // Indie-Rock // Art-Rock
Sounds Like: Talking Heads // Modest Mouse // David Bowie

VÖ: 25.10.2013

Eigentlich konnten Arcade Fire mit ihrem neuen Album ja nur enttäuschen. Als mit dem siebeneinhalb Minuten langen „Reflektor“ vor einiger Zeit der erste musikalische Vorbote im Internet für Aufmerksamkeit sorgte, war der Schrecken groß. Vom avantgardistischen Großwerk der Vorgängerplatten war nichts mehr übrig. Das war tanzbarer, repetitiver Pop für die Indie-Disko. Schon wurden die ersten Stimmen laut. Irgendwann musste es ja passieren: Nach drei großartigen Platten und quasi keinem Fehltritt in der Diskografie war es nur eine Frage der Zeit, bis Arcade Fire an den eigenen Ambitionen zerbrechen würden. Was war also passiert?

Nach dem Konsens-Album „The Suburbs“, das seinen Weg in jede noch so schlecht sortierte Indie-Mediathek gefunden haben dürfte, war es ein langer Weg zu „Reflektor“, auch wenn von Anfang an klar war, dass es ohne Konzept nicht gehen würde. So wurde also vieles probiert, bis ein neues Album schon zur Hälfte fertig war und dann doch wieder verworfen wurde. Was am Ende dieses kreativen Prozesses stand, war dann eine epische, klassische Liebesgeschichte um Tod und Ewigkeit, verbunden mit dem unbändigen Willen, erstmals die haitianischen Wurzeln von Régine Chassagne einzubringen, um damit sogar ein Doppelalbum zu füllen.

Insofern kann es nur als richtig bezeichnet werden, dass der Song „Reflektor“ mit seiner durchdachten Rhythmik geduldig und wohlwissend vorausgeschickt wurde, denn inszenatorisch konnten alle Themen nur dann würdig aufbereitet werden, wenn man sich auch wirklich die Zeit dafür nimmt. Auf „Reflektor“ wird gemächlich und ausgedehnt nach Strukturen gesucht und hier und da wird lose wieder die Geschichte um Eurydike und Orpheus aufgegriffen.

Dass Arcade Fire bei all den Konzepten die Übersicht behalten, ist der gemeinsamen Zugkraft von Win Butler, James Murphy, aber eben auch Régine Chassagne geschuldet, die ihre Ideen kombinieren, variieren und mit wechselnder Instrumentierung immer spannend halten. Ein wiederkehrendes Motiv des Albums ist der abwechselnde Gesang von Butler und Chassagne, der die Liebesgeschichte greifbar und dynamisch macht. Dabei funktionieren einzelne Songs trotzdem überraschend gut. „Joan Of Arc“ beispielsweise ist ein direkter und eingängiger Rock-Song, den jede Indie-Band gerne auf dem Album hätte, während „We Exist“ der dynamischen, treibenden Bassline huldigt und sich dabei augenzwinkernd bei ganz großen Klassikern bedient. Selbst Songs wie „Normal Person“, das mit seiner infantilen Selbstdarstellung bei anderen Bands zum Füllwerk verkommen würde, funktionieren bei Arcade Fire, ohne dabei aus dem Gesamtkonzept zu sehr auszubrechen.

Klar fällt die zweite Hälfte der Platte im Verhältnis zu anderen Songs der Band ab und der einen oder anderen Stelle hätte musikalisch wie auch textlich ein bisschen weniger Konzept sicher nicht geschadet, aber wenn sich gegen Ende „Afterlife“ versöhnlich und trotzdem nicht überdramatisch mit dem schon von den anderen Alben bekannten Thema Tod auseinandersetzt, wer denkt dann schon noch an die schwächeren Songs („Awful Sound (Oh Eurydice)“, „Porno“)? Die ausladenden Strukturen sind, so lässt sich anhand der Vorgängerplatten erahnen, unaufdringliche Kleinode, die irgendwann ihre Wirkung entfalten, wenn man nicht damit rechnet.

Und so ist „Reflektor“ zumindest in einer Hinsicht ein typisches Arcade-Fire-Album – es wächst und wächst und wächst mit jedem Mal Hören und Passagen, die man vorher achtlos abgetan hat, fressen sich ins Herz, nur um wieder einem anderen grandiosen Stück des Albums Platz zu machen. Und was man auch von all dem Tamtam um dubiose Zeichen an Wänden, Guerilla-Auftritte oder die losen Konzepte der Alben halten mag: Arcade Fire haben ein tolles viertes Album abgeliefert. Also eigentlich alles beim Alten.

Arne Lehrke

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Das Video zur Single
http://www.tape.tv/musikvideos/Arcade-Fire/Reflektor

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