Rezension

Arcade Fire

Neon Bible


Highlights: Black Mirror // Keep The Car Running // (Antichrist Television Blues) // My Body Is A Cage
Genre: Indie-Pop // Indie-Rock
Sounds Like: The Decemberists // Modest Mouse // Guillemots

VÖ: 02.03.2007

Ja, ist denen der Überraschungserfolg von "Funeral" zu Kopf gestiegen? Sich kurzerhand eine eigene Kirche zu kaufen, und diese zum Studio umzubauen, klingt jedenfalls eher nach Starallüren als dem Tagesgeschäft einer aufstrebenden, wenn auch zugegebenermaßen schon immer etwas unkonventionellen Band. Jedenfalls durfte man gespannt auf das Ergebnis sein, denn, obwohl die Idee, in einer Kirche aufzunehmen, nicht völlig neu war, passiert so etwas doch nicht alle Tage.

Hatte der Titel des Debüts, "Funeral", noch nichts mit dem Album selbst zu tun, drängt sich die Vermutung auf, die Band wolle dies nun nachholen. Gehörig düster ist "Neon Bible" nämlich geworden, so dass der Titel "Funeral" für das neue Album passender scheint als für den Vorgänger. Bereits mit den ersten Akkorden des Openers "Black Mirror", der mit seinem "Rebellion"esken Beginn gleich einmal Brücken zum Vorgängeralbum schlägt, brennt sich dem Hörer die beklemmende, steinkalte Atmosphäre einer Kathedrale ins Gehirn. Ein Verdienst des Kirchenstudios als Aufnahmeort? Gut möglich. Allerdings ist dies sicherlich auch der klagenden Stimme Win Butlers und den Endzeitstimmung verbreitenden Lyrics zu verdanken. „The Black Mirror Knows No Reflection.“

Wofür die Kirche dann aber doch ganz alleine verantwortlich ist, ist die voluminöse Orgel, die in "Intervention" als Hintergrundinstrument für eine Akustikgitarre (!) zum Einsatz kommt. Das mag zunächst äußerst unpassend wirken, tatsächlich funktioniert diese Kombination im Endeffekt aber erstaunlich gut. Ansonsten geht "Neon Bible" die Verspieltheit von "Funeral" aber zumindest auf den ersten Blick eher ab, das ganze wirkt ein wenig geradliniger. Doch der Eindruck täuscht: Die zahlreichen Einfälle mögen zwar nicht ganz so offensichtlich ins Bild gerückt worden sein wie beim Vorgänger, doch mit jedem Durchgang offenbaren sich weitere schlichtweg geniale Momente, die man beim flüchtigen Hören vielleicht gar nicht unbedingt wahr nimmt.

"Neon Bible" ist also eine Platte, die oft und intensiv gehört werden will, damit sich die wahre Schönheit der Songs offenbart. Nahezu alle werden so zu Perlen, vom paranoiden und doch wunderschönen "Keep The Car Running", über "(Antichrist Television Blues)" - der personifizierten Antithese aus beschwingter und fröhlicher Melodie auf der einen und lyrischer wütender Frustration auf der anderen Seite - bis hin zum epischen Schlussstück. "My body is a cage / that keeps me from dancing with the one I love / but my mind holds the key." Was für eine Textzeile! Wirkliche Schwachpunkte offenbaren sich eigentlich nicht. Lediglich Régine Chassagne kommt diesmal als Sängerin längst nicht so gut zur Geltung, wie noch auf "Funeral".

Ein Glück, dass Arcade Fire, allem Erfolg ihres Erstlings zum Trotz, den Mut besaßen, neue musikalische Wege zu gehen, anstatt die Erfolgsgarantie eines zweiten ‚Funeral’ wahrzunehmen, das man sowieso kaum hätte übertreffen können. "Neon Bible" wird nämlich weit mehr bringen als nur kommerziellen Erfolg: Begeisterungsstürme in der ganzen Musikwelt.

Johannes Neuhauser

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