Rezension

Any Other

Two, Geography


Highlights: A Grade // Perkins // Mother Goose
Genre: Singer-Songwriter
Sounds Like: Kate Nash // Lilly Allen // Soko

VÖ: 14.09.2018

Es gehört zu den schönen Momenten in der Karriere eines Musikkritikers, wenn er einen Künstler, oder hier in diesem Fall eine Künstlerin, entdeckt, die in seinem Land noch unbekannt ist, aber bei welcher das Talent unüberhörbar ist. Zugegeben, Any Other ist nicht gerade ein dankbarer Band- oder Künstlername, wenn es um Suchmaschinen geht, bei denen man eher irgendwelche Texte findet, die diese Alltagsformulierung enthalten. Wenn dann auch noch der Vorname der Sängerin Adele lautet, gehen die Chancen für einen zufälligen Internetfund gegen Null. Glücklicherweise ist Adele Nigro auf Europatournee.

"Two, Geography" ist das zweite Album von Any Other. Die italienischen Musikredaktionen sehen die Band als große Hoffnung für einen weiblichen Shootingstar und man versteht sehr schnell, warum. Die Texte der 24-jährigen, in Verona geborenen Mailänderin drehen sich grob um die Themen, die man von einer Songwriterin ihres Alters erwarten würde, das Album enthält also Songs über das Erwachsenwerden, Selbständigkeit, Beziehungsenden oder die Konflikte mit dem Selbstbild. Ein Zyniker würde das vielleicht als vertontes Tagebuch bezeichnen, die Texte sind dabei alles andere als simpel. Leidenschaftlich ist wohl das richtige Adjektiv, um Nigros Gesangsstil in einem Wort zu beschreiben. Die Produktion ist vielfältig, aber schlicht, wodurch die Songs, die zumeist zwischen roh und verletzlich pendeln, ausgezeichnet zur Geltung kommen. Einzelne Streicherklänge oder Klaviernoten, kleine Gitarrenriffs oder Bläser werden pointiert eingesetzt, um den Fokus auf die Stimme zu legen. Im Gegensatz zu ihrem ersten Album klingt sie seltener wütend, aber die Songs, die nach einem zunächst ruhigen Beginn explodieren, gehören zu den stärksten Momenten eines eh schon tollen Albums. Der Songwritingstil lässt sich nicht so einfach in eine Schublade stecken. Bei dem Entstehungsort würde man eher auf Stockholm oder London als auf Mailand tippen, manche Songs könnten aus den 90ern stammen, andere sind näher bei Alben vergleichbarer Künstler der letzten zwei, drei Jahre, was ein überaus interessantes Konglomerat ergibt.

Adele Nigro ist ein ungeschliffener Rohdiamant der Singer-Songwriterszene, bei dem wir nur hoffen können, dass sie genau so weitermacht. Sie singt Englisch, weil sie laut eigener Aussage nicht in der Lage ist, schöne Songtexte auf Italienisch zu verfassen, wodurch die Erfolgschancen in ihrer Heimat eher begrenzt sind. Für uns anderen Europäer ist das ein Glücksfall, zumindest für diejenigen, die von der Existenz dieses Albums erfahren.

Marcel Eike

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