Konzertbericht

Wir Sind Helden


Sie kamen um die anderen Helden abzumelden

Nein, wir befinden uns nicht auf dem aus Funk und Fernsehen bekannten Mönchhof-Dreieck, sondern mitten im Mainzer Industriegebiet in Mombach. Es geht nichts mehr. Der Parkplatz von der Phönixhalle ist voll, denn ursprünglich ist sie für bestuhlte Veranstaltungen geplant gewesen. Seit das Theater wieder in sein altes Gebäude zurückgekehrt ist, finden hier Konzerte statt und nun spielen hier und jetzt nicht irgendwer, sondern die Helden. Im Gepäck drei Echos von der kürzlichen Preisverleihung und jede Menge Hits, die ungefähr 3.000 Leute hören wollen. Nachdem ich ein paar Straßen... Nein, das wäre untertrieben. Besser: Nachdem ich ein paar Stadtteile weiter einen Parkplatz gefunden habe, spurte ich zurück zur Halle. Davor steht auch schon halb Indie-Deutschland und ein paar Leute, die natürlich nur "weil ein paar Freunde abgesagt haben" noch stapelweise Karten unter den Armen halten. Für 30 Euro kommt man noch auf das seit Wochen ausverkaufte einzige Konzert in Rhein-Main. Nein Danke, ich brauche keine Karte, höchstens einen Parkplatz. Am Bierstand will ich mich erstmal von meinem Parkplatz-Marathon erholen, aber das Bier sieht abgestanden aus und die Töne aus dem Saal klingen interessant. Die Tiger Tunes supporten heute und hüpfen durch ihr Set wie die Gummibärenbande auf Ecstasy. Nervige Fistelstimmen, Xylophonsamples und Technobeats. Kinderlieder treffen auf Glamrock-Techno-Pop. Von sowas ist ein Publikum eigentlich überfordert oder genervt. Aber irgendwie schaffen die Jungs es, dass irgendwie alles frisch statt nervig klingt. Am liebsten würde ich jetzt das Dach einreissen, um die letzten Sonnenstrahlen in die Halle zu lassen, denn die dänischen Tiger klingen nach Sommer. Hoffentlich auf ein Wiedersehen bei dem ein oder anderen Open Air...

Dann wird es dunkel. Aus den Boxen ertönt "The Caravan Of Love" und die ganze Halle singt mit. Judith starrt mit ernsten Gesichtsausdruck in das Meer aus Feuerzeugen und Wunderkerzen. Die Anspannung ist ihr deutlich anzusehen. Doch dann läuft das Intro aus, die ersten Töne von "Ist das so?" erklingen, die Scheinwerfer flackern auf und zeigen 6.000 nach oben gerissene Hände, die sofort den Takt begleiten. Die ernste Miene von Judith weicht einem freudigen Lächeln. Sie klammert sich an ihre Gitarre, fegt über die Bühne und säuselt in's Mikro: "Wir kommen um die anderen Helden abzumelden." Danach folgen zwei neue Songs, "die wir versucht haben möglichst unauffällig in die Setlist einzubauen. Damit man es nicht so merkt, denn wir können die noch nicht richtig spielen." Darauf folgt der Balladenblock mit "Du erkennst mich nicht wieder" und dem ToneSteineScherben-Cover "Halt dich an deiner Liebe fest". Danach geht's dann rund: "Denkmal" ist der vielleicht beste Livesong den es dieses Jahr auf deutschen Konzertbühnen zu hören geben wird. "Sie haben uns ein Denkmal gebaut und jeder Vollidiot weiß dass das die Liebe versaut" wird immer und immer wieder vom fanatischen Publikum gesungen, das Lied will gar nicht enden. Man schreit es raus in die Welt, diese fantastische Zeile und tausende machen mit. Nun folgt Hit auf Hit: "Guten Tag", "Monster", "Rüssel an Schwanz ". Dann eine wunderbare Instrumentaleinlage, die in eine neue Version von "Aurelie" überschwappt. Zum Schluss noch der Überhit "Müssen nur wollen".

War's das wirklich schon? Tja, die Hits waren alle dabei. Aber die Helden sind noch lange nicht fertig. Es gibt noch ein bißchen wüstes Gitarrengeschrammel, das leider zu einem Soundbrei verkommt. Aber dann zieht Judith sich die Kappe auf. Von weitem sieht sie aus wie Sandra von den Guano Apes und nun darf sie auch so rocken. Die Helden covern einen Song, den man eigentlich nicht covern darf: "51st State" von den grandiosen New Model Army. Die Kinder vorne rocken ordentlich mit und die etwas älteren, männlichen Besucher im hinteren Teil der Halle schreien sich die Seele aus dem Leib. Es rockt, kracht und hat Herz. Ein absolut gelungenes Cover! Danach gibt es unter dem an die Decke projezierten Sternenhimmel noch das unglaublich schöne "Die Nacht". Und dann schnappt der Mond sich das Fernglas...

Die Hallen sind größer geworden, die Shows professioneller (noch gar nicht erwähnt: die wirklich gute und passende Lightshow!), aber die Helden scheinen sich kaum verändert zu haben. Kleine Plaudereien von der Bühne als würden davor 50 Leute stehen und eine Spielfreude als hätte man sie ein Jahrzehnt nicht spielen lassen. Wer im Sommer die Möglichkeit hat sie auf einem ihrer zahlreichen Open Air Gigs zu sehen, sollte das tun. Zwar klingt das nicht immer ganz so grandios (Gitarrengeschrammel,...), aber hier kommt es auf das Gefühl an. Und das strömt bei Helden-Konzerten von Kopf bis Fuß. Was will man mehr?

Carsten Roth