Konzertbericht

The Dillinger Escape Plan


Mit etwas Hang zur Polemik könnte man ja behaupten, dass die Menschheit immer verrückter und bekloppter wird. Teenager rennen mit der Pumpgun durch ihre Schule, als Gipfel der Unterhaltung gilt es für manche, wenn Halbprominente Maden im Dschungel fressen – und immer mehr scheinen in den letzten Jahren genügend Geisteskrankheit entwickelt zu haben, um Dillinger Escape Plan ansatzweise zu verstehen. Sprich: Gut gefüllte Markthalle.

Andersrum könnte man natürlich auch behaupten, dass die Musikwelt nur deshalb mittlerweise offenere Ohren für die Chaostruppe aus New Jersey hat, weil diese sich immer häufiger musikalischen Strukturen annähert, die nicht bei jedem Hörgang den Selbstzerstörungsknopf im Gehirn drücken – ohne dabei ihre Brillianz zu verlieren. Dies macht sich auch dadurch bemerkbar, dass das Prinzip „Vorband zu Dillinger Escape Plan“ nicht mehr vollkommen abwegig wirkt: Sowohl der progressive Metal von The Ocean als auch der Bollo-Punk von den Cancer Bats funktioniert, gefällt auf seine Art und Weise und bietet eine langsame Annäherung an die Hauptattraktion des Abends.

Dass selbst der gute Support im Vergleich zum Headliner noch Benjamin-Blümchen-Soundtracks spielt, daran lassen Dillinger Escape Plan keinen Zweifel, wenn sie den Hamburgern bereits zum Auftakt nach kurzem Intro mit „Farewell, Mona Lisa“ den Kopf zubollern. In Kombination mit den darauf folgenden „Fix Your Face“ und dem Formatradiohit (hust) „Milk Lizard“ ergibt das ein Trio Infernale an Welt-Openern, das nur dadurch etwas verfremdet wird, dass die Band an einer Stelle tatsächlich Mitgeklatsche einfordert.

Ein weiteres „Zugeständnis“ an die mittlerweile doch ordentlich vergrößerten Locations: Die Spielzeit. War zu früheren Zeiten noch nach einer knappen Dreiviertelstunde der letzte Takt zerhackstückt, gibt’s anno „Option Paralysis“ noch eine knappe halbe Stunde gratis oben drauf. Da kann man Greg Puciato natürlich nicht verübeln, dass er nicht mehr unentwegt wie ein Derwisch über die Bühne pest und auch nicht mehr zwischendurch irgendwelche Honks in der ersten Reihe auseinandernimmt. Irgendwo muss dann ja auch die Stimme für Songs wie „Widower“ geschont werden, in der auch der Rest der Band im Hintergrund mitsingt, um das fehlende Klavier zu ersetzen. Tasteninstrument auf der Bühne von Dillinger Escape Plan – irgendwo hört's dann ja auch mal auf. Wir reden schließlich über eine Band, die dem Publikum immer noch zum Ende des Sets mit „43% Burnt“ die Schädeldecke zersägt. Ist es wohl doch die Menschheit, die verrückter wird.

Photo: Gunnar Sauermann

Jan Martens