Konzertbericht

Sportfreunde Stiller


Scheißtribüne! (klatsch) Scheißtribüne! (klatsch)

Nein, die Sportfreunde Stiller spielten nicht im Frankfurter Commerzwaldstadion (und auch nicht in der innerstädtischen Festhalle, wie Sänger Peter S. Brugger gleich die erste Ansage versaute), nein, in der Jahrhunderthalle galten die Sprechchöre der Stehplatzbesucher eben jenen, die Sitzplatzkarten hatten, aber löblicherweise doch meist standen.

Fußballtrikots und Fanschals waren schon immer vertreten auf Konzerten der Münchner, doch auf der Tour 1 nach der WM und "54, 74, 90, 2006" kamen nun auch wirklich alle Fanmeilenbesucher der Nation: Der BWL-Student mit weißen Tennissocken in weißen Chucks ("Bitte nicht drauf treten!"), der Papa mit Dreikäsehoch (beide mit Schland-Fähnchen auf der Wange) und auch die Rucksack-Teenies aus Burli-Zeiten waren wieder da, am Rande des Moshpits beschwerten sie sich wie schon vor drei Jahren über die pogenden Jungs und sangen beim unsäglichen Leider-Hit "Siehst du das genauso" am lautesten mit.

Er sei den drei grundsympathischen Jungs vergönnt, dieser Erfolg, die Tatsache, 4000er-Hallen zu füllen, auch wenn man wehmütig an die Zeit zurück denkt, als die wenigen hundert Besucher ihrer Konzerte noch alle Heimatlieder im Programm kannten und mitsingen konnten. Leidtragende dieses Eventpublikums waren jedoch weniger die Altfans, die sich nach langer Zeit wieder an "Hockey" vom Debüt "So wie einst Real Madrid" erfreuen konnten, nein, arm dran waren Ash. Diese tolle Band aus Nordirland, die mit ihrer ersten Platte "1977" Pionierarbeit für den Indie-Pop geleistet haben. Nach dem Ausstieg von Charlotte Hatherley wieder in dreiköpfiger Urbesetzung unterwegs, spielten sie ein schönes Set aus Klassikern wie "Girl From Mars" und Stücken ihrer neuesten LP "Twilight Of The Innocents". Die Masse zeigte sich jedoch größtenteils desinteressiert, ein Los, das Vorgruppen zwar oft ereilt, bei einer Gruppe dieser Größe aber schmerzt. Zu guter Letzt schafften es die Fußballfans den wunderschönen Abschluss mit dem Titelstück der letzten Platte an der falschen Stelle kaputt zu klatschen. Glück für den, der diese Umstände ausblenden konnte. Ash - my heart's still beating.

Die Sportfreunde selbst sorgten schon vor dem eigentlichen Konzert für den nettesten Moment des Tages. Die ersten Fans, vermutlich seit 14 Uhr vor der Halle campierende Mädels, die später in der ersten Reihe gegen das Absperrgitter gepresst wurden, verpassten ihn, denn der Einlass hatte schon begonnen, als auf dem Vordach der Jahrhunderthalle plötzlich drei kleine Amps aufgebaut wurden. Da standen sie also, die "Sporties", wie all jene sie nennen, die auch Poldi und Schweini kreischen, und gaben "Alles Roger" und "995er Tief über Island" zum Besten. Viel zu leise ("Es geht verdammt noch mal nicht lauter!"), aber herzlich und die Menge freute sich daran, dauerte es doch lange, bis alle an den Sicherheitskontrollen vorbei waren. Fast schien es, als habe der Veranstalter Angst vor Bengalos und Rauchbomben gehabt.

Um 21:18 war dann der erste Titel gespielt, die falsche Halle genauso wie die Scheißtribüne (klatsch) begrüßt, der erste Crowdsurfer auf einem benommen-wütenden Rucksackmädchen gelandet. Es folgte Altes ("Wunderbaren Jahren", "Wellenreiten '54", "Fast wie von selbst"), Neues wie die nächste Single "(Tu nur das) Was dein Herz dir sagt", Pogo, Jammern, zwischendurch wieder ein Gruß an die Sitzplätze (klatsch), erstaunlich wenige Anekdoten und Plaudereien von der Bühne, zumindest für Sportfreunde-Verhältnisse, da ist man nach einigen Jahren und Konzerten doch Geschwätzigeres gewohnt, und natürlich das eine Lied.

Und was musste die Band dafür tun? Eine kleine Ansage: "Wir haben heute noch gar nicht angezählt...", sprach Herr Brugger und konnte vier Minuten lang schweigend und sicherlich auch staunend Gitarre spielen, während der gesamte Saal textsicher "54, 74, 90, 2010" gröhlte und sich wie bei einem Sieg von Jogis Jungs alle in den Armen lagen, der BWLer, der Vater und der Sohn, die Rucksackmädels und die Pogojungs - und wenn sie gekonnt hätten, die Sitzplätzler (klatsch) wären dabei gewesen. So blieb am Ende eine Verbeugung der Band vor dem Publikum und da hatte man wirklich wieder das Gefühl, dass man eigentlich im Stadion war. Ein schönes Spiel war es.

Martin Korbach