Konzertbericht

Sigur Rós


Musik braucht keine Bilder. Sie genügt sich selbst, wenn sie gut gemacht ist. Dass die Musik von Sigur Rós gut gemacht ist, steht außer Frage. Ihre gleichsam opulenten wie existenziellen Klangwelten haben nicht nur Island auf dem Globus der populären Musik verortet, sondern ein eigenes Genre begründet.

Die Frage, wie sich jene intensive Musik, deren Bilder in erster Linie im Kopf entstehen, trotzdem visuell begleiten lässt, ist auch an diesem Abend im kalten Februar 2013 zentral. Im Berliner Tempodrom wird das Ensemble aus dem hohen Norden von rund 3000 Besuchern erwartungsfroh in Empfang genommen, die Hälfte von ihnen im weiten Rund sitzend – die Reihenbestuhlung am Rand machts möglich. Zuvor hat "Blanck Mass" als Ein-Mann-Support mit seinem Ambient-Gefrickel kaum die Stufe der Wahrnehmung durch das Publikum überschritten.

Die elf Musiker um Frontman Jonsi brauchen dagegen keinen Vorlauf. Mit dem ziemlich kurzen wie ruhigen Neuling "Yfirborð" sind sie sofort da. Und das, obwohl sie von vier schweren Stoffbahnen umgeben sind, die wie ein Käfig wirken. Darauf laufen dunkle Projektionen von Zellstrukturen ab. Sigur-Rós-Konzerte, ohnehin Orte der Introvertierheit, werden zu Beginn dieses Abends durch die sichtbare Grenze zur Band in ihrer Distanz zu allem Weltlichen noch verstärkt. Zugleich baut die Distanz eine Spannung auf, die den intimen und berührenden Charakter der Musik verstärkt. "Í Gær" knüpft an den Opener an, durchbricht aber das Schema der ruhigen Klänge mit einem gewaltigen Schlag. Der Einsatz der Schlagzeuge und Gitarren dient nicht nur als Wachmacher für all jene, die vom Gedudel des Supports noch schlaftrunken sind, es ist die charismatische Begrüßung des Berliner Publikums. Eine, die ganz ohne "Berlin, how are you? Wie geht's?" auskommt. Eine mit einem Augenzwinkern. Nach dem dritten Song "Ný Batterí" fallen die Stoffvorhänge. Da ist das Konzert bereits eine halbe Stunde alt und einige Augen nicht mehr trocken.

"Brennisteinn" leitet den zweiten Teil ein. Der bislang ebenfalls unveröffentlichte Song ist für Band-Verhältnisse hart und düster, aber durch die mächtigen Bässe und Rückkopplungen in Kombination mit Jonsis klarer Stimme in der nahezu perfekten Akustik des Tempodroms auch eines der Highlights des Abends. Es setzt einen Kontrapunkt, genau wie später "Hoppípolla" – wenn auch auf der anderen Seite der Gefühlsskala. "Hoppípolla" ist Glückseligkeit pur. Plötzlich wird selbst das Licht hell und warm, aus dem Kopfnicken wird ein Fußwippen. Umrahmt wird "Hoppípolla" von einer Reihe weiterer Sigur-Rós-Klassiker wie dem genialen "Sæglópur", "Vaka" und "Glósóli". Hier verstärken die Projektionen die Emotionen teils enorm: Explodierende Wasserstoffbomben, dampfendes Vulkangestein, spielende Kinder, Elfen in Gasmasken. Den Abschluss des reguläres Sets bildet das mächtige "Kveikur", ehe die Band nach anderthalb Stunden Spielzeit den Auftritt durch drei Zugaben abrundet. Ein Abend, der sich am Ende zwar in Bilder, aber schwerlich in Worte fassen lässt. Danke, Sigur Rós.

Mischa Karth