Konzertbericht

Max Herre


Rainer Ornowski, einer der Geschäftsführer der lit.COLOGNE, nennt es ein Experiment. Einen Musiker in das Programm des Literaturfestivals aufzunehmen, der kein Buch geschrieben hat, sondern seine Songtexte völlig ohne musikalische Untermalung lesen würde. Warum auch nicht, erklärt er dem Kölner Publikum im Gloria, schließlich gelte auch Bob Dylan in jedem Jahr als heißer Anwärter auf den Literaturnobelpreis. Doch nicht Bob Dylan sitzt mit einem Stapel bedruckter Blätter an einem Tisch auf der Bühne des Gloria Theaters, sondern einer der bedeutendsten deutschen Sänger der letzten 15 Jahre: Max Herre.

Jetzt sollte man denken, der alte Hase mit seiner jahrelangen Bühnenerfahrung würde sich einfach lässig auf die Bühne stellen und loslegen. Aber nein, er war tatsächlich etwas nervös. Auch für ihn ist es eine Premiere, seine Texte einem größeren Publikum ohne seine Band zu präsentieren. Immer wieder blickt er in die Gesichter in den ersten Reihen, sichert sich mit Rückfragen ab und nach zwei, drei Texten ist es dann soweit: “Na das läuft ja!”

Es ist ein ziemlich amüsanter Abend im Gloria. Er beginnt mit Texten aus Herres neuestem Album "Ein geschenkter Tag". Wer es noch nicht gehört hat und bei Max Herre immer noch an den Freundeskreis-Frontmann denkt, dem sei gesagt: Die Tage des HipHops sind für ihn vorbei. Er macht eine Mischung aus Folk und Soul, covert mal und klingt auch sonst oft nach Udo Lindenberg, er spielt Gitarre, er singt. Das ist wichtig für die Texte. Sie werden so natürlich völlig anders gesetzt als Raps und Rhymes. Und so liest Herre seine Strophen, überfliegt die zweite, dritte, vierte Wiederholung des Refrains schnell und lachend, merkt, dass es im Song funktioniert, aber in der Lyrik nicht nötig scheint.

Immer wieder erklärt er Entstehungsgeschichten, Bilder und Personen. Die Lesung ist gespickt mit kleinen Fußnoten. Er spricht über seinen Umzug nach Berlin, die Stuttgarter in der Hauptstadt, über seine Jam-Sessions mit Clueso und holt Baris Aladag auf die Bühne, der nicht nur sämtliche Clueso-Clips abdreht, sondern die beiden Musiker auch beim Songwriting unterstützt. Gemeinsam lesen sie die Texte von "Weg von hier" und "Ein geschenkter Tag". Und dann kommt der Teil des Abends, an dem sich Max Herre immer wieder leicht beschämt grinsend hinter seiner Hand versteckt. Die alten Stücke aus den 90ern.

Kryptisch findet er manche Rap-Parts, etwas peinlich andere. Selbst als er die Kolchose erwähnt, verdreht er lächelnd die Augen, aber er liest die Lieder trotzdem. "Erste Schritte", "Leg dein Ohr auf die Schiene der Geschichte" und zum krönenden Abschluss natürlich auch noch "A-N-N-A". Was folgt, ist frenetischer Applaus und das ist jetzt keine leere Floskel. Das Publikum rastet förmlich aus und ist begeistert.

Natürlich sind die meisten Zuschauer junge Leute, Fans von Herres neuen Songs oder in meinem Alter, die im besten Teeniealter steckten, als die Stuttgarter erstmals in die Charts kletterten. Trotzdem ist die Veranstaltung für die lit.COLOGNE-Macher sicher ein Zeichen, dass so etwas gut ankommt. Auch in Zeiten, in denen oft der andere Weg gegangen wird, klassische Lyrik ins HipHop-Gewand gesteckt wird (ich erinnere da einfach mal an das gerade für Deutschlehrer und Lehramtsstudenten interessante Projekt Junge Dichter und Denker).

Nach etwa 75 Minuten verabschiedet sich Max Herre von der Bühne. Lächelt noch mal verschmitzt und ein wenig erleichtert in die Menge. Zwei Erwachsene im Alter meiner Eltern stecken auf dem Weg zur Garderobe die Köpfe zusammen und loben Herre für seine Dichtkunst. Vielleicht hat Max Herre ohne seine Gitarre an diesem Abend noch einmal ganz neue Fans gewonnen. Seiner guten Texte wegen. Aber genau darum wurde er ja auch eingeladen. Experiment geglückt.

Martin Korbach