Konzertbericht

Kate Bush


"When you will be very big, and I know you will, you will appear in a big hall and you will say: Never forget my begin was in the Depot of Köln-Frechen-Benzelrather Eisenbahn". Ihren allerersten TV-Auftritt vor 36 Jahren hat Kate Bush zwar nicht erwähnt, aber ansonsten lag Alfred Biolek mit seiner damaligen Einschätzung goldrichtig. Wie enorm populär und einflussreich die zurückhaltende Ausnahmekünstlerin selbst heute, in einer von extrovertierten Typen und glattgebügelten Popsternchen geprägten Musikwelt, noch immer ist, zeigt sich momentan auf allen Kanälen. Doch lassen sich die in mehreren Dekaden aufgebauten Erwartungen an ein Live-Konzert überhaupt erfüllen?

Es gibt einen Videomitschnitt vom vorletzten Konzert der ersten Kate-Bush-Tour, in dem die damals gerade mal 20-jährige Musikerin beim letzten Gitarrensolo von "Wuthering Heights" wie wild in die Luft springt und mit beiden Armen dem begeisterten Publikum zuwinkt, bevor sich der Vorhang im Londoner Hammersmith Odeon schließt. Ganz ähnlich dürfte das Szenario ausgesehen haben, als sie einen Tag später, am 14. Mai 1979, ihre erste Konzertreise, die später in "The Tour Of Life" umgetauft wurde, an gleicher Stelle beendet hat. Dass es über 35 Jahre dauern würde, bis sich der Vorhang das nächste Mal öffnet, damit hatte bestimmt niemand gerechnet.

Nicht nur musikalisch setzte die junge Engländerin zu Beginn ihrer Karriere neue Maßstäbe, auch mit ihrer Live-Show leistete sie Pionierarbeit. Schon damals war eine 40-köpfige Crew notwendig, um die Choreographien, Kostüme und Bühnenbilder der als Perfektionistin bekannten Sängerin umzusetzen, was unter anderem auch zur Entwicklung des ersten kabellosen Headset-Mikrophons führte. Wer mehr darüber erfahren will, dem sei die "Kate Bush On Tour"-Dokumentation von 1979 empfohlen.

Wie sehr Kate Bush die Popkultur beeinflusst hat, seit sie mit "Wuthering Heights" als erste Frau überhaupt einen selbstkomponierten Nummer-1-Hit in England hatte, lässt sich kaum ermessen. Das überwältigende Interesse an ihrer Person, nachdem am 21. März ihr Bühnen-Comeback angekündigt wurde, dürfte allerdings einmalig sein. Innerhalb weniger Tage wurden die ursprünglich geplanten 15 Konzerttermine in London auf 22 aufgestockt und als eine Woche später der Vorverkauf startete, waren sämtliche Tickets für die "Before The Dawn"-Konzertreihe in weniger als 15 Minuten vergriffen. Bei der Premiere Ende August waren Berichten zufolge von Madonna über Björk bis zu Lily Allen drei Musikerinnengenerationen im Publikum vertreten und kurz darauf standen alle elf offiziellen Kate- Bush-Platten gleichzeitig in den Top 50 der britischen Album-Charts.

Die meisten Ticketkäufer haben dann wohl auch erst fünf Monate später, direkt vor Ort, wirklich realisiert, dass sie gleich einem jahrzehntelang herbeigesehnten Konzert beiwohnen würden. Zu dem Zeitpunkt hatten sich dann natürlich schon die durchweg positiven Stimmen zum Auftakt verbreitet und jegliche Befürchtungen, vielleicht doch von einer reinen Nostalgie-Show enttäuscht zu werden, waren verflogen.

Am 6. September herrschte nachmittags ideales Wetter an der Themse, um sich bei einem Spaziergang durch den Hyde Park oder beim Shoppen im Rough Trade Store seelisch und mental auf das kommende Ereignis vorzubereiten. Nicht sehr weit davon entfernt ist bereits kurz nach 19 Uhr die Schlange am legendären "Hammy-O" so gut wie verschwunden, nur wenige Besucher warten auf ihre Begleitung, ganz vereinzelt wird auch noch nach übrigen Tickets gefragt. Nach einigen Besitzer- und Namenswechseln nennt sich das altehrwürdige Konzerthaus im Westen Londons seit seiner Wiedereröffnung vor gut einem Jahr übrigens "Eventim Apollo", am Eingang ist seit mehreren Wochen "Before The Dawn – Sold Out" zu lesen. Der Schriftzug dient vor allem den aus der ganzen Welt angereisten Fans als idealer Hintergrund für Tausende von Fotos.

Drinnen ist die Bühne in blaues Licht getaucht, die Instrumente sind sorgfältig aufgereiht und alle warten gespannt auf das, was kommt. Wer die Setlists der bereits absolvierten Konzerte gelesen und verglichen hat, weiß bereits, welche Songs gespielt werden, denn die Auswahl und Reihenfolge ist jeden Abend exakt gleich. Andere Besucher erzählen, dass sie seit Wochen ihren Facebook-Account gemieden haben, um von Spoilern verschont zu bleiben. Kurz vor Beginn kommt noch eine Durchsage über die PA-Anlage, in der darum gebeten wird, während des Konzerts keine Fotos oder Filmaufnahmen zu machen und um das schon vorwegzunehmen: Tatsächlich ist in den darauffolgenden drei Stunden kein einziges leuchtendes Smartphone-Display im Saal zu sehen. Dann geht es endlich los.

Natürlich beginnt das Konzert mit Standing Ovations, denn alle sind davon überzeugt "that something good is gonna happen". Die Band betritt die Bühne, zu den Backgroundsängern gehört auch Kate Bushs inzwischen 16-jähriger Sohn Bertie, die barfüßige Künstlerin selbst scheint in ihrer Mutterrolle im wahrsten Sinne des Wortes aufgegangen zu sein und es fällt zunächst auf, dass die Stimme ein klein wenig tiefer und rauer geworden ist, nichtsdestotrotz bleibt sie unverkennbar. Es ist erstaunlich, wie souverän sie nach einer derart langen Bühnenabstinenz auftritt.

Nach dem Opener "Lily" springt das ganze Publikum gleich nochmal auf, als das "Night of the Demon"-Zitat "It's in the trees! It's coming!" den Beginn von "Hounds Of Love" verkündet. Im Gegensatz zur ersten Tour richtet Bush immer mal wieder das Wort ans Publikum, sie bedankt sich für das unglaubliche Feedback und macht auch kein Geheimnis daraus, dass die gleiche Setlist wie an den Abenden zuvor gespielt wird. Der dritte Song ist "Joanni" von "Aerial", dann kommt mit "Top Of The City" gleich noch ein Song vom verkannten "The Red Shoes"-Album, danach folgt mit "Running Up That Hill" der nächste Megahit von "Hounds of Love". Soweit so gut, fantastische Musiker, unglaublich, diese Songs zum ersten Mal live zu hören, aber bis dahin auch alles andere als ein spektakulärer Auftritt.

Das ändert sich dann aber schlagartig, als nach dem großartigen "King Of The Mountain" ein inszeniertes Unwetter folgt, eine Konfettikanone gelbe Zettelchen im Saal verteilt und eine Videoeinspielung "The Ninth Wave" ankündigt. Was dann kommt, lässt sich schwer in Worte fassen. Es ist die Verbildlichung des gleichnamigen Song-Zyklus über eine Frau, die verloren im Meer von Träumen und Visionen getrieben wird. Ein grandioses Bühnenbild folgt dem anderen, es ist eine Mischung aus Theater, Film, Musik. Man hat das Gefühl mittendrin zu sein, nicht nur, weil plötzlich ein simulierter Helikopter über das Publikum schwebt, die Lichteffekte, das Meer, die Kostüme – absolut beeindruckend. Und trotz all dem inszenatorischen Aufwand steht noch immer die Musik im Vordergrund, alles ergänzt sich perfekt. Ein klein wenig erinnert es an die aufwändigen Auftritte von Sufjan Stevens, Arcade Fire oder Sigur Rós, aber damit wäre es nur unzureichend beschrieben. Man kann wohl behaupten, dass man Ähnliches im Rahmen eines Konzerts noch nie gesehen hat.

Und das war nur die erste Hälfte. Im zweiten Teil nach einer 20-minütigen Pause rieselt zunächst Schnee, eine Holzpuppe steht vor einem riesigen Tor, musikalisch ein kurzer Ausflug zum letzten Album, darauf folgen alle Songs von "A Sky Of Honey", der zweiten CD vom "Aerial"-Album, das ein ähnlich loses Konzept verfolgt wie "The Ninth Wave". Zurück vom Meer schwebt man diesmal mit den Vögeln durch die Lüfte, sieht einen Tag vorbeiziehen, ein Spiel von Licht, Schatten und Wolken, man wird begleitet von der Holzpuppe, Vogelmenschen und einem Maler, gespielt von Bertie, der auch einen neuen Song vortragen darf. Im Finale wird die Puppe lebendig, ein Baum bohrt sich durch den Klavierflügel und Kate Bush selbst hebt ab. Man müsste die Aufführung mehrmals ansehen, um alle Details mitzubekommen.

Als Zugabe spielt Kate "Among Angels" von "50 Words For Snow" alleine am Klavier und spätestens nach der letzten Zugabe "Cloudbusting" waren sich alle einig: "Wow! Unbelievable!". Als Erinnerung wurden nach dem Auftritt dann doch noch ein paar Fotos geknipst und fast jeder hat beim Verlassen des Gebäudes zur Erinnerung eines der liebevoll gestalteten Programmhefte gekauft. Alle, die nicht dabei sein konnten, dürfen sich übrigens damit trösten, dass bald eine DVD produziert wird, für die zwei Auftritte mitgeschnitten werden. Das perfekte Weihnachtsgeschenk also, wenn der Film bis dahin fertig sein sollte. Um das Warten zu verkürzen, kann man aber auch einfach mal wieder die Musik hören, die heute genauso aktuell erscheint wie vor 35 Jahren oder man kann sich die neue BBC-Dokumentation anschauen, in der die Ausnahmestellung von Kate Bush ein weiteres Mal unterstrichen wird.


Photo Credit: Christian Beller

Christian Beller