Konzertbericht

Iron & Wine


Mit "Kiss Each Other Clean" ist es wie mit der Frage nach der Henne und dem Ei. Ob nun der neue Sound der vierten Platte von Iron & Wine einfach so im Studio entstanden ist und Vollbartfreund Sam Beam deshalb seine Band um Saxophon und Xylophon erweitert hat? Oder Sam seine Band ins Studio rief, bis zum Verrecken probte, mit den Kumpanen Songs schrieb und das vierte Album genau daher so klingt, wie es klingt? Was war zuerst da: Platte oder Band? Sam weiß es garantiert. Doch lässt sich das auch herausfinden, ohne beim Meister persönlich anzuklopfen?

Die Antwort muss auf der Bühne liegen. Also hin da. Glück für Iron & Wine wie fürs Publikum, dass es an diesem Abend in die Fabrik geht: Die Akustik der ehemaligen Maschinenfertigungshalle ist stets grandios, der Sound in der Regel präzise und ungeheuer differenziert. Tift Merrit, der Ein-Frau-Support an diesem Abend, kann den freilich nicht ausreizen, muss aber auch nicht. Ihre Songs wirken gerade so reduziert weit weniger kitschbeladen als auf Silberling und damit einfach: Schön.

Iron & Wine empfangen dann mit Herzenswärme. Der Riegen beginnt mit „Tree By The River“. Gleich mixt die Band einen Endorphin-Cocktail an und verteilt dann großzügig. Ein cleverer Opener, schlägt der Song noch die Brücke zwischen neuem und altem Werk der Band. Die Band ist ohnehin Stichwort des Abends: Sechs Musiker auf der Bühne,  voller Sound, der manchmal schon überladen wirkt, aber Details noch den benötigten Platz einräumt. Ob nun Klarinetten, Saxophon oder umwerfender, dreistimmiger Gesang – keine Wracks im Soundsumpf, sondern glasklar hörbar. Umarrangierte Tracks wie „Wolves (Song Of The Shepherd's Dog)“ oder das unfassbar stimmig herausgejammte „Cinder And Smoke“ fesseln jeden Blick auf die Bühne. Sam Beam gehört dabei zum König der Falsettstimmen gekrönt, so sicher und zart meistert er auch die Töne in den oberen Klangbereichen. Und zimmert so fast im Alleingang die intime Stimmung von Platten wie "Our Endless Numbered Days" zusammen.

Auch mit Überraschungen geizt Sam Beams Truppe nicht. Die Setlist zieren sogar Songs vom Debüt wie das abgehangen-rauchige „An Angry Blade“. So manch irritierten Blick ernten Iron & Wine dann für die flotte Version vom Hit „Boy With A Coin“. Tanzen oder dieses wundersame Akustik-Riff genießen? Wie auch immer. Bei „House By The Sea“ nimmt ein verspielter Bass die Zügel in die Hand, das staubige "Free Until They Cut Me Down" motzt die Band mit massig Instrumentarium zum Monster auf, das eine Lastwagenladung Wüstensand durch die Fabrik bläst. „Kiss Each Other Clean“ jedoch bleibt in diesen eineinhalb Stunden immun gegen Improvisationen. Die Band spielt das schrullige „Monkeys Uptown“ genauso sauber herunter wie „Me And Lazarus“ mit seiner Türme stapelnden Gesangsmelodie. Eindringlicher als bei „Rabbit Will Run“ werden Iron & Wine an diesem Abend nicht mehr, wenn einzig und allein Sam Beams Stimme im Raum steht und sich der Song – wie so oft – doch wieder dazu aufrafft, seinen Hypnosefluss ein weiteres Mal zu bepaddeln.

So unbearbeitet wie das neue Material live daher kommt und die Band bei ihm den großen Jam-Zirkus scheut, haben sie dessen Arrangements wohl gemeinsam ausgeklügelt. Demnach war zuerst die Band da, dann die Platte. So weit die Logik. Doch bekannt ist: Wo Gefühle im Spiel sind, setzt auch der klarste Verstand aus. Also doch alles anders herum? Sam, bitte melde dich!

Photo: Pressefreigabe Iron & Wine

Gordon Barnard