Konzertbericht

Interpol


In der alternativen Musikwelt gibt es einige Regeln und Wahrheiten, auf die eigentlich immer Verlass ist. Zum Beispiel die, dass auf jedem Album der Foo Fighters immer 2,3 Supersongs und eine Menge Füller sein werden. Eine weitere solcher Regeln ist, dass Pete Doherty mindestens alle zwei Wochen wegen irgendwelcher Eskapaden in den Zeitungen stehen muss, die absolut nichts mit seiner Musik zu tun haben. Auch schien für den Autoren bis vor Kurzem gesetzt zu sein, dass man sich bei Interpol-Konzerten nicht wie auf einem Tote-Hosen-Gig benehmen kann, ohne sich absolut bekloppt vorzukommen. Zumindest diese Regel scheint nicht mehr zu gelten.

Natürlich: Es lässt sich nicht vermeiden, dass auf Konzerten recht erfolgreicher Bands auch der eine oder andere Vertreter der U18-Generation zugegen ist. Und dass Interpol mehr als "recht erfolgreich" sind, zeigt sich beispielsweise daran, dass die New Yorker gleich zweimal im Docks gastieren, einem Club, der immerhin knapp 2000 Leute fasst; zum Anderen daran, dass auch die recht happigen Merchandisepreise (30 Euro ein Shirt, 65 Euro ein Kapuzenpullover) einige Fans nicht davon abschrecken können, stolz ein frisch erworbenes, schwarzes Textil in den vorderen Bereich des Clubs spazieren zu tragen. Da es jedoch natürlich uncool ist, so zu tun, als würde man an der Vorband interessiert sein, ist dieser Bereich während Blonde Redhead noch nicht allzusehr gefüllt. Wer dem Support jedoch Aufmerksamkeit zollt, bekommt eine sehr stimmige und atmosphärische Show geboten, die dank des hypnotischen Tanzstils der Sängerin, Keyboarderin und Gitarristin Kazu Makino auch etwas für's Auge zu bieten hat. Blonde Redhead ist wirklich zu wünschen, dass sie nach knapp 14 Jahren Bandgeschichte anfangen, mehr Aufmerksamkeit zu bekommen, da sie sich diese eigentlich schon lange verdient haben.

Nach dem knapp 40minütigen Auftritt und der Umbaupause wird dann für Interpol die Beleuchtung bis auf ein Minimum gedimmt. Auch vor der Bühne ist es jetzt bedeutend enger, die Dreistigkeit des Gedankengangs "Wenn ich ganz vorne stehen will, reicht es ja, mich fünf Minuten vor Konzertbeginn darum zu kümmern, irgendwie komm ich schon durch" scheint vielen nicht bewusst zu sein. Pünktlich zum Opener "Pioneer To The Falls" hat dann jeder sein Plätzchen gefunden, um andächtig der besten Joy-Division-Kopie des jungen Jahrtausends zu lauschen. Zumindest größtenteils andächtig: Bösartige Wissenschaftler scheinen einigen Konzertbesuchern das Verhalten einkonditioniert zu haben, auf jegliches Zupfen einer elektrischen Gitarre mit wildem Rumgehüpfe zu reagieren. Völlig unbeeindruckt hiervon spielen sich Interpol durch ein Set, das zu ungefähr gleichen Teilen aus Klassikern des Debüts, Jahrhundertliedern der "Durchbruchplatte" Antics und Stücken des aktuellen "Our Love To Admire" zusammengesetzt ist. Musikalisch ist die Band wieder einmal perfekt, die trübe Beleuchtung - mal rot, mal blau, mal grün - untermalt das Film-Noir-Feeling der Musik auch optisch und lässt den Rest der Welt vollkommen vergessen, so erfreulicherweise auch die Tatsache, dass man sich eigentlich in einer der sterilsten Konzertlocations Hamburgs befindet. Unverständlich nur - um den Fokus wieder einmal auf die Leute vor statt die auf der Bühne zu legen -, warum bei Stücken wie "The Scale" so mitgeklatscht werden muss, als wolle man sich um einen Zuschauerplatz im Musikantenstadl bewerben, und wieso so mancher bei Gänsehautgaranten wie "Evil" mitsingen muss, als würde die Band persönlich Fleißkärtchen für die meisten verpassten Töne überreichen.

Wenigstens die Polonäse zu "Slow Hands" bleibt zum Glück jedoch aus, und als Interpol ihren Auftritt dann nach knapp 90 Minuten mit den letzten Zugaben "Stella Was A Diver And She Was Always Down" und "PDA" beenden, ist neben der hyperaktiven Partymeute auch der Genießer zufrieden gestellt, dem die Herren Banks, Kessler, Fogarino und Dengler eine professionelle Show ihres musikalischen Könnens boten. Manche Regeln bezüglich Interpol-Konzerten mögen mittlerweile veraltet sein, aber eine nicht: Sie enttäuschen selten.

Jan Martens