Konzertbericht

Godspeed You! Black Emperor


Gerade so, hoffte man seitens der Organisatoren, würden sich die ersten Konzerte der Band seit einem knappen Jahrzehnt ausverkaufen. Recht optimistisch wurden mittlere Locations gebucht. Wie man sich doch verschätzen kann. In Paris kommen fünfeinhalbtausend Leute und die Show im Berliner Astra ist ausverkauft, bevor das erste Werbeplakat hängt. Aus halb Europa und vor allem ganz Deutschland reisen Fans an diesem Donnerstag in die Hauptstadt, manche mit nicht weniger als Erlösungserwartungen: Godspeed You! Black Emperor live, so sind sich viele sicher, werden die Welt retten, mindestens einen Abend lang. Wie ausgerechnet eine Band, deren Musik überwiegend hoffnungslos klingt, solche Hoffnungen schüren kann, ist bis heute ungeklärt.

Was an diesem Abend geschieht, lässt sich ebenfalls nur mit technischen Hilfsmitteln rekonstruieren. Getreu dem Motto „Wer sich erinnern kann, war nicht dabei“ entsteht zwischen 21 Uhr und dem Ende des Konzertes vier Stunden später ein Zeitloch. Zunächst darf als Support der Künstler Total Life ein paar Minuten ran. Musikalisch irgendwo zwischen Drone und verzerrtem Elektro. Gar nicht so weit entfernt von GYBE, aber dennoch wird seine Performance eher schlecht angenommen. Dann flackert sie auf, die Hoffnung. „Hope“ steht in kritzeligen Lettern auf der Leinwand, dazu dröhnt es erst einmal. Nach und nach betreten die Musiker die Bühne.

Ein wenig braucht die Band, um an dem Abend in Fahrt zu kommen, nach dem etwa viertelstündigen „Hope Drone“ und dem darauffolgenden „Gathering Storm“ brechen sämtliche Gefühlswelten über einen herein. Wer im tiefschwarz triefenden „Monheim“ (und auch später) versucht, dazwischen zu rufen, wird mit einem „psst“ zur Ruhe gemahnt. Wahnsinnigstes Stück des Abends ist wohl das unveröffentlichte „Albanian“. Ein Schlagen auf die Violine lässt es erst langsam, dann immer gewalttätiger beginnen, in den nächsten zwanzig Minuten schafft es die Band bei perfektem Sound, Gänsehaut zu erzeugen und den Körper quasi beben zu lassen. Die depressiven Violinspuren von „Chart#3“ ,„World Police“ oder „Moya“ treiben einen danach fast in den Wahnsinn. Längst ist vergessen, dass irgendwo vorn Menschen stehen, die einfach nur ihre Instrumente bedienen und dazu einen Film aus uralten Projektoren abspielen.

Godspeed You! Black Emperor zeigen an diesem Abend, warum sie im letzten Jahrzehnt so schmerzlich vermisst wurden. Während Post-Rock immer populärer wurde und zig Nachahmer fand, blieben die Pioniere still. Nun sind sie unerwartet wieder da und spielen, als sei nix gewesen, jede beliebige Band an die Wand. Über zweieinhalb Stunden sind es schlussendlich an diesem Abend. Zehn Songs, oder Ausschnitte, Motive, davon haben sie an diesem Abend gespielt. In keinem dieser gab es zwischendurch Längen oder Überflüssiges. Für all jene, die an diesem denkwürdigen Abend irgendwo anders waren, gibt es zumindest ansatzweise Trost: Die Band erlaubt ausdrücklich das Mitschneiden ihrer Konzerte. Ein sehr guter Mitschnitt dieser Nacht findet sich auf archive.org.

Oftmals, wenn sich Musikfans unterhalten, kommt irgendwann immer diese eine Frage: Was waren eigentlich hierzulande die legendärsten Konzerte der jüngeren Musikgeschichte? Häufig gehörte Antworten dabei sind zum Beispiel TOOL 2001 auf dem Rock am Ring, angeblich habe man noch Jahre später Menschen fassungslos vor der Bühne stehen sehen. Massive Attack 2003 beim Hurricane – ähnliches. Seit dem 20. Januar 2011 muss man ergänzen: Godspeed You! Black Emperor in Berlin.

Photo: Pressefreigabe, Eva Vermandel

Klaus Porst