Konzertbericht

Deutsch-Amerikanische Freundschaft


"Wir sind DAF, ihr seid Spießer!" Oder: Warum Stockhausen auch Punk war. Unsere Redakteurin Laura Aha war beim Acht Brücken Festival in Köln und berichtet von ihrer Begegnung mit DAF.

Ich treffe DAF im Alten Wartesaal des Kölner Hauptbahnhofs. Irgendwie ein passendes Ambiente. Metallbeschlagene Decken, verrostete Schilder einer Cocktailbar aus den 1920er Jahren, an deren Theke ich mir sofort Männer in Gehrock und Zylinder und Frauen in Flapperkleidern mit silbernen Stirnbändern vorstelle. Irgendwie scheint an diesem Ort die Zeit stehen geblieben zu sein. Zumindest haftet allem der Schatten des Vergangenen an.

Dieselben Gedanken gehen mir durch den Kopf, als ich über die Band nachdenke, die ich gleich interviewen werde. Die "Deutsch-Amerikanische Freundschaft" weckt in mir Erinnerungen an die Neue-Deutsche-Welle-Compilation im Kassettendeck des alten Bedford Blitz meiner Eltern. Als Kind habe ich immer direkt darauf bestanden zum nächsten Lied weiter zu spulen, wenn "Tanz den Mussolini" kam. Die statischen Sequencermelodien aus dem analogen Korg-Synthesizer, das brachiale Schlagzeugspiel Robert Görls gepaart mit dem verstörend harschen Sprechgesang von Gabi Delgado-López sind wohl eher nichts für die Ohren eines kleinen Mädchens.

Minuten später stehe ich mit den Schreckgespenstern meiner Kindheit im eher unglamourösen Backstageraum und stelle fest: die sind ja eigentlich total nett!

Während sich alle noch scherzhaft über das neuerdings geltende Rauchverbot in NRW ereifern, inspiziert Delgado-López, der sich mir gleich als Gabi vorstellt, den Kühlschrank nach Cola. Irgendwie hatte ich mir das Offstage-Leben der beiden Künstler, die in den 1980er Jahren vor allem für ihre Arroganz und verschwenderische Lebensweise bekannt waren, maßloser vorgestellt.

Dass DAF mal auf einem Festival für Neue Musik spielen würde, finden die beiden Musiker, die nach 35 Jahren Bandgeschichte, fünf Trennungen inklusive Reunion und zahlreichen Soloprojekten fast schon wie ein altes Ehepaar wirken, wohl nicht so abwegig. "Wir haben uns schon immer als Teil der Avantgarde verstanden, da wir uns auch nie einer klaren Szene verschrieben haben", so Delgado-López. Punk im Konzertsaal also? Das klingt ein bisschen nach Anbiederung mit dem verhassten Establishment. Einen Gegensatz zwischen Neuer Musik und Punk sehen die beiden jedoch ganz und gar nicht. "Punk ist für uns mehr eine Art Energie, die sich traut, sich gegen das Denken und das Instrumentarium der Väter aufzulehnen. Tonbänder im klassischen Konzert zu verwenden ist genauso revolutionär. So gesehen war Stockhausen ja auch Punk".

Vor allem geht es DAF um Purismus ohne großen Firlefanz. Ihre markante, minimalistische Klangästhetik hat sich auch bei ihrem 2008 erschienenen Album "Fünfzehn Neue DAF-Lieder" nicht maßgeblich verändert. Der prägnante Sound wurde für nachfolgende Genres wie Acid House, EBM und Techno zur Inspirationsquelle und hat somit Kultstatus erreicht, wenn es um elektronische Musik geht.

Wie zeitlos DAF wirklich sind, lässt sich dann auch beim Konzert beobachten. Der Alte Wartesaal scheint an diesem Abend ein Raum außerhalb der Zeit zu sein. Es ist wieder 1981, um mich herum steht Petra mit der Dauerwelle und Jürgen mit dem schwarzen DAF-Muskelshirt, in einer Jeansjacke ohne Ärmel. Markus und Thorsten pogen schwitzend vor der Bühne, während Gabi auf der Bühne "Wir sind DAF, ihr seid Spießer!" brüllt. Etwas surreal, da all die empathischen Fans um mich herum ihre Jugend schon vor über 30 Jahren verschwendet haben. Als ich meine Begleitung darauf ansprechen will, dreht sich der Herr in Lederjacke und Vokuhila vor mir um und gebietet mir mit einem energischen "Psssscht" zu schweigen. Ganz so unorthodox wie in de 80ern sind wir dann wohl doch nicht mehr.

Görl drischt auf sein Schlagzeug ein wie eine Maschine, während Delgado-López im Stechschritt am Bühnenrand entlang marschiert, die Faust des Kommunismus reckt, kurz darauf zum Hitlergruß ansetzt und in einer Art Kindersingsang verkündet: "Die Lustigen Stiefel marschieren über Polen". Nicht von der Energie der Musik erfasst zu werden, ist fast unmöglich, zwischendurch bin ich trotz besseren Wissens selbst etwas verstört von der faschistischen Symbolik, mit der hier auf krude Art und Weise gespielt wird. DAF schafft es auch nach über 30 Jahren noch zu schocken. Zumindest solange die Musik spielt. In den Pausen folgt stets überschwänglicher Dank und eine sehr menschliche Seite des Duos.

Auch wenn die Musiker und ihre Fans sicher deutlich zahmer sind als damals, beweisen Görl und Delgado-López an diesem Abend, dass ihre Musik und ihre Texte in unserer scheinbar tabulosen, liberaleren Gesellschaft, die ja schon alles gehört und gesehen hat, immer noch Relevanz hat. Oder um es mit Delgado-López' eigenen Worten, ganz in gewohnt eitler DAF-Manier zu formulieren: "Es gibt Künstler und Bands, die einem bestimmten Zeitgeist entsprechen, und es gibt eben Sachen, die ewig brennen."

Laura Aha