Konzertbericht

Crystal Antlers


Der Hamburger an sich scheint dazu zu tendieren, vergesslich zu sein. Anders ließe es sich zum Beispiel nicht erklären, dass man als HSV-Fan gerne behauptet, Anhänger der Nummer 1 im Norden zu sein, was aktuelle und ewige Tabelle seit Jahren widerlegen. Außerdem scheint unverständlicherweise die Information, dass die Crystal Antlers die vielleicht spannendste Neuentdeckung des letztjährigen Dockville Festivals war, aus den Köpfen der vielen Besucher verschwunden zu sein – mag bei manchen natürlich auch daran gelegen haben, dass alles in zeitlicher Nähe zum grauseligen MGMT-Auftritt auf eben jenem Dockville verdrängt werden sollte, aber darum geht’s hier nicht.

Worum es hier aber geht: Knapp ein halbes Jahr nach einer Dreiviertelstunde Hippie-Noiserock-Ekstase kann man die Leute, die es nun auch zum Einzelkonzert der Crystal Antlers verschlägt, zwar nicht an einer Hand abzählen, aber dafür ziemlich genau an sechs Händen. Auch im Backstageraum konnte wahrscheinlich nicht über mangelnde Bewegungsfreiheit geklagt werden – waren die Kristallgeweihe doch diesmal ohne Vorband unterwegs. Angesichts der Tatsache, dass bei zukünftigen Terminen die nicht weniger namhaften Times New Viking supporten werden, etwas schade, aber das Hamburger Publikum wurde gebührend entschädigt...

….und zwar mit Fressalien! So betritt Frontmann Johnny Bell mit den Worten „We brought some food for you guys...“ die Bühne – spricht's und stellt neben die Monitorboxen, was vom Catering noch übrig geblieben ist. Gemüse und Käse für alle – und ein Teller Chips für Bell, der sich später, wie im Rausch spielend, die Kartoffelscheiben über den Kopf kippt.

Womit wir schon beim eigentlichen Thema „Rausch“ wären: Wie in der Nachmittagssonne beim Dockville entfesselt das kalifornische Sextett auch im dunklen Kellerclub wieder eine Energie, die viele Bands des heutigen Rock nicht ansatzweise erreichen – alleine Percussionist Damian Edwards zieht durch seine ununterbrochenen Tanz- und Zuckeinlagen immer wieder die Blicke auf sich. Aber was will man von einer Band, die sowohl Juwelen der Smoothness wie „Andrew“ als auch Hits wie „Tentacles“ schreiben kann, die wie die Doors auf Speed klingen?

Richtig: Eigentlich kann man nur Gutes erwarten, und zumindest in Hamburg wurde man zum zweiten Mal nicht enttäuscht. Ob es sich anders verhält, wenn die Crystal Antlers in den nächsten Tagen (7.-9.4.) in Berlin, Leipzig und Hannover auftreten, bleibt abzuwarten, sollten dort Heimische aber für sich selbst herausfinden – und wenn's nur wegen der Aussicht auf gratis Paprikasticks ist.

Photo: Pressefreigabe von Melt Booking

Jan Martens