Konzertbericht

Blisstrain


Am Nachmittag Gedanken verloren im hell erleuchteten Media Markt mit seinen endlos langen Reihen voller bunter Produkte: Alles wirkt wunderbar aufgeräumt, alles hat seinen Platz. In der CD-Abteilung reiht sich ein Album an das nächste, Chris Rea liegt neben Peter Fox, Rammstein und Rihanna gibt es zum Vorzugspreis von 9,99€. Vermutlich hat es keine/r der Genannten nötig, weitere Alben zu verkaufen – bei einigermaßen soliden Verträgen sollte die Pension sicher sein.

Ortswechsel: Einige Stunden sind vergangen, es ist dunkel geworden, und es hat begonnen zu regnen. Der düstere Charme der Fabrik Potsdam empfängt die ersten Besucher. Der Konzertsaal ist so übersichtlich, hier ließen sich nicht einmal alle Fernseher aus dem Media Markt ausstellen – aber wer wollte das auch. Statt meterlanger weißer Regale gibt es nur zwei kleine Tische, auf denen einige T-Shirts, CDs und Schallplatten der Bands Ostinato, Bulbul, We Insist! und The Antikaroshi liegen. 8€, 10€, 12€ sollen sie kosten – Vorzugspreis, nur das von diesem direkt die Bands profitieren.

Wie Tag und Nacht unterscheidet sich hier, was man gesammelt unter dem Begriff populärer Musik fassen kann – das eine ist eben ein ganzes Stück populärer als das andere. Bei den vier genannten Bands, die am heutigen Abend im Rahmen der Blisstrain '09-Tour ihres Labels "Exile on Mainstream" auftreten, kann man sich daher sicher sein, dass sie von ihrer Musik nicht leben können. Das Publikum scheint zur Hälfte aus Marathonkonzertgängern und Musikfreaks zu bestehen, die sich per Handschlag begrüßen und schon öfter besagte Bands gesehen haben. Die andere Hälfte sieht aus, als frage sie sich. was sie hier sucht und wie sie hier hergekommen ist.

Es beginnen The Antikaroshi, immerhin die Potsdamer Lokalmatadoren des Labels. Rhythmisch interessant, merkt man der Band an, dass sie im Gegensatz zu den anderen noch nicht über jahrelange Erfahrung verfügen. Das macht sich weniger im Zusammenspiel bemerkbar, welches gut ist, sondern vielmehr im Stil, der noch nicht sonderlich markant ist. Die instrumentalen Parts sind gut und straight, die verwendeten Effekte machen viel her; problematisch wird es dann, wenn der Gesang hinzukommt – plötzlich kommt Proberaumatmosphäre auf, selbst bei den CD-Aufnahmen als Referenz zeigt sich, dass die Band in diesem Bereich ihr Potential noch besser ausnutzen sollte.

Bei den folgenden Bulbul hat sich der Club mittlerweile ansehnlich gefüllt, um dem beizuwohnen, was die drei Österreicher hier präsentieren wollen. Die Band ist mit einem starken Rhythmusgefühl gesegnet und hat einen Hang zu allerlei Soundeffekten. Selbstironisch und durch expressive Mimik und Gestik verpackt, eine Mischung, mit der man nur gewinnen kann. Der Gitarrensound klingt wie Tool + Iron Maiden für Fortgeschrittene, die Bassriffs könnten von Josh Homme persönlich stammen. Sehr gut kommt an, einfach mal einen einminütigen Break einzubauen, bei dem die Band optisch einfriert und das Publikum unentschlossen ist, ob der Song nun zu Ende ist und es klatschen darf oder nicht. Die gut austarierte Mischung aus Krach und Melodie sorgt auch beim letzten im Publikum mindestens für unterbewusstes Mitwippen, oftmals auch für mehr. Man beschränkt sich größtenteils darauf, Stücke des letztjährig erschienen Albums zu spielen, wenngleich oftmals auch in stark abgewandelter Form. Nach gefühlten drei, real aber wohl eher einer Stunde entscheiden sich BulBul, den zwei folgenden Bands auch noch etwas Energie des Publikums zu überlassen und verlassen unter verdientem Beifall die Bühne.

Ostinato aus den USA sind ähnlich lange wie Bulbul im Geschäft, orientieren sich musikalisch aber ein gutes Stück in eine ruhigere Richtung. Laut Aussage des Bassisten ist die Band seit 42 Stunden wach und so sieht sie auch aus, da verzeiht man dann, dass sie zwei Anläufe für den ersten Song braucht. Der haut ziemlich rein und fällt somit etwas aus dem Rahmen, vielleicht wollte die Band sich damit selbst wecken. Es wäre aber auch falsch, in der Folge von ruhigen Songs zu sprechen, wer endloses Postrock-Dahingeschwafel will, sucht sich besser eine andere Band. Was folgt sind viel mehr tolle Klangteppiche, auf denen man dank großartiger Gitarrenwände mit einigen wenigen Riffs schwebt, sich jedoch nie darin verliert. Die Setlist setzt sich mehrheitlich aus Stücken von "Chasing The Form" zusammen unter die zwei krachige Songs des deutlich härteren "Left Too Far Behind" gemischt werden. Der Abschluss folgt recht abrupt, sodass im Publikum erst realisiert wird, dass der Auftritt vorbei ist, als die Band schon von der Bühne verschwunden ist und der Raum für eine Umbaupause genutzt wird. Insgesamt gesehen ein guter Auftritt, der möglicherweise auf der restlichen Tour noch wesentlich intensiver ausfällt, wenn Jetlag und Müdigkeit erst einmal überwunden sind.

Letzte Band des Abends sind We Insist! aus Frankreich. Endlich stehen mehr als drei Leute auf der Bühne. Darunter auch ein Saxophonist, der leider wie fast immer bei Konzerten so leise ausgesteuert ist, dass man ihn nicht raushört. Der erste Song erinnert vielversprechend an At The Drive-In, aufgrund der fortgeschrittenen Zeit und den zwei sehr guten bis großartigen vorangegangenen Bands erfolgt jedoch der Entschluss zu gehen. Es war ein insgesamt lohnenswerter Abend, der zeigt, dass gute Musik nicht teuer sein muss, man jederzeit seinen Horizont erweitern kann und dies auch Media Markt in Bezug auf seine Musikauswahl ans Herz gelegt werden sollte.

Mischa Karth, Klaus Porst