Konzertbericht

Arcade Fire


Zum Zenith in München haben viele ein zwiespältiges Verhältnis. Mit einer Kapazität von 5.500 Personen stellt es die einzige Lokalität der Stadt in dieser Größenordnung dar und ist somit für Bands, die zwar bekannt, aber auch noch nicht so populär sind, dass sie die Olympiahalle mit ca. 14.000 Besuchern füllen könnten, die einzige Alternative. Von Besucherseite hagelte es allerdings in den letzten Jahren Kritik, insbesondere am schlechten Sound und am miserabel organisierten Garderobensystem. Umso verwunderlicher, dass trotz schon seit Wochen ausverkaufter Arcade-Fire-Show die Jacke diesmal schon nach fünf Minuten in die Obhut des Garderobenpersonals gebracht ist. Hier wurde wohl nachgebessert, obwohl es weiterhin ein untragbarer Zustand bleibt, dass nicht für jeden Besucher ein Kleiderbügel vorgesehen ist.

Als Vorband sind Fucked Up aus Toronto dabei, die allem Anschein nach gut mit Arcade Fire befreundet sind. Frontmann Damian Abraham wird jedenfalls nicht müde zu betonen, wie viel er von der Band um Win Butler und Regine Chassagne hält. Ein weiteres Indiz für einen sympathischen Freundschaftsdienst ist die Tatsache, dass die beiden Bands musikalisch eigentlich überhaupt nicht zusammen passen: Das Repertoire von Fucked Up konzentriert sich auf Brachialrock mit Hardcore-Elementen, dessen durchaus vorhandene Harmonien von Abraham konsequent in Grund und Boden geschrien werden. Trotzdem ziehen große Teile des Publikums, das für ein Indiekonzert insgesamt einen angenehm hohen Altersschnitt aufweist, gut mit. Insgesamt gefällt die Performance der Band, der breiige Sound allerdings weniger.

Als Arcade Fire ihr Set mit "Ready To Start" eröffnen, ist all das wie weg gewischt. Auf einmal ist der Sound von ordentlicher Qualität, und auch die Menge, in der die Spannung während der Umbaupause schon merklich zugenommen hat, ist vom Glück erfüllt. Obwohl Arcade Fire während des gesamten Konzerts bis auf ein paar Sätze nicht sonderlich viel mit dem Publikum reden, haben sie es trotzdem von der ersten Sekunde an auf ihrer Seite – die Kanadier legen ihre gesamte Energie eben lieber in ihre wie immer euphorische und mitreißende Performance (diesmal unter anderem mit gleich zwei Schlagzeugen) und interagieren über ihre Songs mit den Konzertbesuchern. Zusätzlich für Atmosphäre sorgt eine Leinwand hinter der Band, die wahlweise stimmungsvolle Grafiken und Videos oder Live-Nahaufnahmen der Performance zeigt.

Auch die Songauswahl weiß zu begeistern. Alle drei Alben sind etwa gleich stark in der Setlist vertreten, mit einem leichten Gewicht auf den neuesten Longplayer "The Suburbs". Dennoch bringen Arcade Fire das Kunststück fertig, nahezu jedem im Publikum das Gefühl zu geben, keine wichtigen Songs weg gelassen zu haben (obwohl es durchaus noch einige zur Auswahl gegeben hätte). Doch wer denkt darüber schon nach, während er gleichzeitig einen Klassesong nach dem nächsten in beeindruckender Manier dargeboten bekommt? Ohne Zweifel ist die Band erstklassig eingespielt, doch die Anstrengungen des Tourens merkt man ihr zu keinem Zeitpunkt an.

Als die bewährte Kombo aus "Neighborhood #3" und "Rebellion (Lies)", mit der Arcade Fire in der Vergangenheit immer ihre Setlist abschlossen, aus den Boxen tönt, ist die Show diesmal noch längst nicht vorbei. Der absolute Übersong "Neighborhood #1" und das ebenfalls sehr starke "We Used To Wait" werden noch nachgelegt und beschließen das reguläre Set. Unter frenetischem Jubel kommen Arcade Fire dann noch einmal zurück, um mit "Wake Up" wirklich den perfekten Abschluss für ein grandioses Konzert zu finden. Tatsächlich ist es ein bisschen so, als habe man die letzten etwas über 90 Minuten nur geträumt. Allzu schnell wird der Besucher auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt, denn bereits wenige Minuten nach Konzertende sind die in der Halle Verbliebenen dort offenbar schon nicht mehr erwünscht und werden durch progressives Absperren immer weiter in eine Ecke gezwängt. Da geht man wirklich besser nach draußen und findet im komplett verschneiten München die perfekte Kulisse vor, um eines der besten Konzerte dieses Jahres im Kopf noch einmal Revue passieren zu lassen.

Johannes Neuhauser