Konzertbericht

Amanda Palmer


Wenn ein geliebter Mensch gestorben ist, gibt es – je nach Kulturkreis – verschiedene Arten, damit umzugehen. In der westlichen Welt wird nach der Beisetzung des Körpers häufig eine Trauerfeier veranstaltet, die ganz auf das Leben des Verstorbenen zugeschnitten ist: Reden werden zu seinen Ehren gehalten, Freunde und Verwandte kommen zusammen, um Abschied zu nehmen. Eher ungewöhnlich auf solchen Veranstaltungen ist es jedoch, dass Musikbands spielen. Verdammt ungewöhnlich hingegen ist es, wenn diese Bands im Vorprogramm des Highlights des Abends, der Wiederauferstehung des Verstorbenen, auftreten. Und Photobooks, in denen Bilder der Leiche mit Texten von Neil Gaiman unterlegt werden, sind an sich auch eher selten, oder?

Aber: Kommando zurück. Denn eigentlich ist hier von keiner Trauerfeier die Rede, sondern von einem Konzert im Berliner Knaack, auch ist niemand wirklich gestorben, sondern es wurde mit "Who Killed Amanda Palmer?" ein Album veröffentlicht, das live nun so in Szene gesetzt werden soll, wie man es dank furioser Dresden-Dolls-Auftritte von Amanda Palmer nicht anders hätte erwarten dürfen. Und da niemand wirklich tot ist, ist das erwähnte Photobook "The Big Book Of 'Who Killed Amanda Palmer?'" auch kein Versuch, mit Material für betuchte Nekrophile eine Marktlücke zu füllen, sondern – wie uns Amanda vor dem Konzert erzählt – eigentlich lediglich eine aus der Not, zuviele Bilder für's Cover-Artwork geschossen zu haben, geborene Tugend.

Doch zurück zu dem Konzert, das sich alle Mühe gibt, mehr als nur ein Konzert zu sein. Bereits vor der offiziellen Einlasszeit werden wir von einem Mitglied des Danger Ensembles – einer australischen Schauspieltruppe, die Amanda auf Tour begleitet – zu Amanda Palmers Trauerfeier begrüßt, auf der uns einige von ihren Freunden helfen sollen, Abschied zu nehmen. Hinter diesen Freunden verbergen sich die diversen Support Bands, die mit relativ kurzen Sets den Abend eröffnen: die neuseeländischen Battle Circus, die wie eine Noiserock-Version von Muse erscheinen, den herrlich skurrilen Captain-Jack-Sparrow-Lookalike-Liedermacher Jason Webbley und Zoe Keating – eine geniale Cellistin, die ihr Cellospiel live aufnimmt und samplet und damit beinahe wie das Kronos Quartett in Personalunion klingt.

Ein Wiedersehen mit Zoe – und ihrer gewöhnungsbedürftigen Frisur – gibt es dann auch später am Abend, als Amanda Palmer – zunächst ganz in weißes Kleid und weißen Schleier gehüllt, dann in Korsett und Strapsen – mit "Astronaut", dem Opener ihres Albums, ihr Set beginnt. Ebenso wie auf "Who Killed Amanda Palmer?" spielt Zoe auch hier die großartigen Celloparts, die nicht zuletzt Ben Folds, dem Produzenten des Albums, geschuldet sind: "Ben ist ein Genie", so Amanda, "er wusste immer genau, was ein Song braucht. Obwohl ich zum Beispiel bei 'Have To Drive' gleich diese cineastischen, bombastischen Streicher gehört habe, haben die meisten Songs ja als simple Klavierballaden angefangen."

Diese Balladen sind es dann auch, die den Großteil der von "Who Killed Amanda Palmer?" präsentierten Stücke bilden. Schnellere Songs wie "Runs In The Family" oder "Oasis" werden ignoriert, dafür stehen verschiedene Dresden-Dolls-Song und – natürlich – diverse Coverversionen auf der Setlist. Abwechslungsreicher könnte die Auswahl der Cover kaum sein: "Après Moi" der fantastischen Regina Spektor (einer guten Freundin der Dresden Dolls), "Ein Stuhl In Der Hölle" von den Einstürzenden Neubauten sowie mit der "Seeräuberjenny" die – wohl erwartete, aber trotzdem heiß umjubelte – Adaption aus der Dreigroschenoper. Nicht auf der Setlist jedoch: "What's The Use Of Wond'rin?", die einzige Coverversion des Albums, auf der Amanda von Annie Clark alias St. Vincent unterstützt wird.

"Ich hatte Annie einfach mal auf einen Tag im Studio eingeladen, die Coverversion ist mir erst kurz vor unserer Session eingefallen", so Amanda über den Ursprung dieses Songs. Mit wem sie gerne einmal zusammen arbeiten würde, wenn sie die freie Auswahl hätte – egal, ob lebendig, ob tot? Auch nach einer beinahe halbminütigen Denkpause kann Amanda sich nicht festlegen: "Da gibt es so viele Bands. David Bowie, Sigur Ròs....Und, etwas Namedropping: Mozart, Schubert, Kurt Weill..." Wie eine Zusammenarbeit zwischen Mozart und Amanda Palmer klingen würde? "Wahrscheinlich schrecklich."

Doch wer weiß? Denn dass Amanda ein gutes Händchen hat, was die Auslese der Künstler angeht, mit denen sie zusammen arbeitet, zeigt die Wahl des Danger Ensembles, die einige ausgewählte Songs mit ihren Schauspieleinlagen aufpeppen. Während des Dresden-Dolls-Klassikers "Coin Operated Boy" bietet der männliche Teil der Truppe im Publikum Küsschen feil, in "Guitar Hero" nimmt gar Amanda selber an einer regelrechten Rock-n-Roll-Choreographie teil. Der Song selber wird währenddessen komplett vom Band gespielt – aufgrund des Titels ein hübsches Stückchen Ironie, das das Publikum jedoch nicht komplett zu erkennen scheint.

Darauf angesprochen, ob es sich anders anfühle, Songs ausschließlich solo auf dem Klavier – wie während ihrer sehr kurzen Europatour im August – oder als Teil einer solchen Show zu spielen, entgegnet Amanda, dass ihr beide Arten lieb seien: Natürlich seien die Improvisationen, die bei einer Soloshow möglich sind, super, das Wirken an einer riesigen Show jedoch ebenso reizvoll. Ideal sei sowieso der Wechsel zwischen diesen Varianten: "Mir würde schon sehr langweilig werden, wenn ich immer das gleiche machen müsste." Langweilig ist es dem Publikum im Knaack mit Sicherheit nicht geworden. Strapse, Theatereinlagen, Rockstar-Choreographien – bring das mal bei einer Beerdigung.

Jan Martens