Konzertbericht

65daysofstatic


Im Zirkus des Post-Rock sind 65daysofstatic nicht weniger als die einzigartige Attraktion, die als Publikumsmagnet groß und breit auf dem Flyer prangt: Etwa die weiße Löwin, mit welcher der Dompteur gegen Ende der Show unter permanenter Lebensgefahr Waghalsiges vollführt – natürlich in einen Riesenkäfig, um den werten Herrn Zuschauer auch ja in Sicherheit zu wägen. Man hält den Atem an, starrt und staunt. Und nicht nur als Presseheini ist man vom Quartett aus Sheffield gebannt – als The Cure die Band auf ihre letzte Welttour mitnahmen, gab's Ritterschlag und Heiligsprechung der Szene gleich auf einen Streich. So frisch geadelt waren 65daysofstatic wohl auch tonangebend, als es um die Auswahl ihres eigenen Supports ging.

Denn als Booker würde man die Kaputten von Kong eigentlich nur als Vorband buchen, wenn man just James Camerons Avatar im 3D-Kino auf halluzinogenen Pilzen erlebt hat und in einer rosaroten Welt aus Euphorie hängegen geblieben ist. Was zur Hölle machen die da mit dem armen Hafenklang? Drei Typen in Clownsmasken, uniform roten Shirts und Boxershorts, die sperrigen Noiserock an die Wand kotzen und gucken, wie die Plürre sich ihren Weg zum Boden bahnt? Da ging's aus der Klapse anscheinend direkt auf die Bühne. Songs poltern zunächst unrhythmisch vor sich hin, springen plötzlich zu brachialem Krach um, statt Gesang gibt’s hysterisches Gekeife. Das schnallen nur Einzelne, für die Masse ist das zu sperrig. Leider. Denn Kong hacken mit einer Besessenheit und Expertise auf ihre Instrumente ein, dass es eine Freude ist.

Und vom ersten Song des Hauptacts an ist klar, dass sich genau hier der Kreis schließt. Denn auch 65daysofstatic sind mit einer Leidenschaft bei der Sache, die die Luft unter Hochspannung versetzt. Der Sound ist präzise, wenn auch der Bass etwas Schwierigkeiten hat, mitzuhalten. Und doch bildet sich der Strudel des Wahnsinns, den diese Band schon auf Platte heraufbeschwören kann: Wuchtige Riffs gehen Hand in Hand mit IDM-Beats, sanfte Klavierpassagen werden von zackigen Gitarrenläufen durchschnitten. Und dabei wechseln diese Songs ihre Taktart teilweise öfter als Kong im Monat vermutlich ihren Therapeuten. Ein instrumentaler Overkill, so komplex, dass er die Frage aufwirft, ob die in ihren vier Wänden überhaupt was Anderes machen, als zu arrangieren? Und ihre Drumcomputer in allen Ehren: auch Drummer Rob Jones schafft es ganz organisch auf gefühlte 200 Beats per minute. Kann nicht jeder.

Auf der Bühne steht übrigens sogar ein Mikro, ausschließlich für Bühnenansagen. Davon gibt’s zwar nur alle Jubeljahre eine, genau so ist's aber gut. Denn im Math/Postrock bedarf es halt keiner Worte. Mit dem emphatisch-dramatischen „Radio Protector“ beenden 65daysofstatic den Rausch einer guten Stunde Spielzeit. Das Euphoriegefühl hält noch länger an. Ja, sowas geht auch ohne Pilze und millionenschwere Blockbuster.

Photo: Pressefreigabe Creative Talent

Gordon Barnard