Jahrescharts

UNSERE ALBEN DES JAHRES 2011

1

BON IVER

Bon Iver

Über unser Album des Jahres kann man sogar geteilter Meinung sein: Ist nicht eigentlich Bon Ivers Debüt "For Emma, Forever Ago", das es 2008 "nur" auf Platz 4 unserer Jahresbestenliste schaffte, das noch größere Meisterwerk? Einige Redakteure stimmen dem zu, andere hingegen widersprechen vehement. Worin sich jedoch nahezu die gesamte Redaktion einig ist: "Bon Iver" ist ein wunderschönes, melancholisches und gleichzeitig harmonisches Juwel, dessen Übersongs wie "Holocene" dieses Jahr ihresgleichen suchten. Egal, was vorher war... (Johannes Neuhauser)

2

PJ HARVEY

Let England Shake

Von Dunkelheit und Tod, von kriegerischen Schauplätzen und Zeitreisen singt sie. Zeitreisen in die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, die als Ganzes die schönste und edelste Vision Englands in diesem Jahr ergaben, ein wahrliches Meisterwerk im Geiste humanitärer Aufklärung. Ja, PJ Harveys zehntes Album ist nicht nur thematisch mitunter harte Kost, zeigt PJ so wandlungsfähig wie einst Bowie, sondern ist ganz nebenbei poetisch, inspirierend, kunstvoll – die Engländer würden sagen "sophisticated" – und dennoch geheimnisvoll und undefinierbar, so dass uns nichts anderes übrig bleibt, als PJ mit dem zweiten Platz zu würdigen. (Achim Schlachter)

3

FUCKED UP

David Comes To Life

Am Anfang des Jahres hätte wohl niemand von uns erwartet, dass ein Hardcorealbum mit Screamogesang in großen Teilen der Redaktion für eine solche Begeisterung sorgen könnte. Fucked Up haben mit "David Comes To Life" die wohl beste Rockoper seit The Whos "Tommy" geschaffen. Vier Akte, 80 Minuten Spielzeit und doch kein bisschen Langeweile. Wenn die Band aus Toronto dann auch noch poppige Qualitäten beweist wie in "The Other Shoe", sollte auch der letzte Kritiker überzeugt sein. (Marcel Eike)

4

MOGWAI

Hardcore Will Never Die, But You Will

Auch wenn es für einen Podiumsplatz in unseren Jahrescharts nicht ganz gereicht hat: Anwärter auf den Albumtitel des Jahres sind Mogwai auf jeden Fall. Nachdem die letzten Werke der schottischen Band etwas unkonzentriert wirkten und dem Laut-Leise-Schema nichts Neues mehr abgewinnen konnten, hat "Hardcore Will Never Die, But You Will" den Hörer endlich wieder zu packen gewusst. Ein dichtes, auf den Punkt gebrachtes Album ohne Ausfälle. Mit elektronischen Spielereien und einer etwas poppigeren Produktion konnten dem Mogwai-Sound sogar noch neue Facetten hinzugefügt werden. Dass man sich selbst dabei nicht allzu ernst nimmt, beweisen wieder einmal so grandiose wie sinnbefreite Songtitel wie "You're Lionel Richie". (Florian Tomaszewski)

5

FLEET FOXES

Helplessness Blues

Mit "Helplessness Blues" haben die Fleet Foxes das Kunststück vollbracht, ein Album zu veröffentlichen, welches noch tiefgründiger im Folk der Woodstockzeit verwurzelt ist als deren nahezu perfektes Debüt. Die bärtigen Mannen um Robin Pecknold sind experimentierfreudiger geworden und sparen nicht mit Harmonien, die sich immer wieder übertreffen. Kurzum: Wunderschön, berührend und unser zweitliebstes Folkalbum 2011. (Marcel Eike)

6

REAL ESTATE

Days

Vielleicht war es der Bandname, der Berührungsängste mit Real Estate auslöste. Früher oder später kam man an Real Estate und ihrem Debütalbum, das uns zeigte, wie einfach das mit der Musik sein kann, nicht mehr vorbei: Gitarre, Bass, Schlagzeug – mehr braucht es einfach nicht. Man war also vorbereitet auf "Days", das Zweitwerk der Band aus New Jersey, und doch wurde man wieder überwältigt von diesem bunten Strauß an wunderschönen Melodien, die hier ineinander verwoben wurden. Von wegen "Out Of Tune" – selten hat alles so perfekt zusammengepasst wie auf diesem Album. "Days" selbst mag entspannt und unaufgeregt klingen, hat uns aber vor Begeisterung über ein solch starkes Zweitwerk dieses Jahr keine Ruhe mehr gelassen. (Kilian Braungart)

7

LA DISPUTE

Wildlife

"Wildlife" – nicht nur das zweite Mitglied unserer diesjährigen Hardcore-Trinität, sondern auch die spannendste Kurzgeschichtensammlung der Musikgeschichte. Wo hier eine Band mal die seligen At The Drive-In beerbt, mal ganz klassisch die Punkcore-Konkurrenz in die Schranken weist, brüllt Jordan Dreyer dazu so intensiv über Tod, Verzweiflung das Schreiben selbst, wie es vor La Dispute lange niemand getan hat. Wir verneigen uns. (Jan Martens)

8

EXPLOSIONS IN THE SKY

Take Care, Take Care, Take Care

Mit ihrem inzwischen sechsten Album arbeiten die Post-Rock-Götter Explosions In The Sky weiter daran, sich auch auf Erden unsterblich zu machen. Unendlich viel Qualität findet sich – wie auf den Vorgängern – auf "Take Care, Take Care, Take Care". Und im Zeitalter des kollektiven Burn-Out sind die zeitlosen Instrumentalklänge "Made In Texas" Trost in Reinkultur für gestresste Seelen – vorausgesetzt, die Hörer lassen sich auf das strukturell gegenüber den Vorgängeralben wenig veränderte Klangkonzept ein. Aber gerade darin, dass sich EITS von den kurzlebigen Trends ihrer musikalischen Umwelt nicht beeinflussen lassen, liegt ihre wahre Stärke. (Mischa Karth)

9

DESTROYER

Kaputt

Ein Kauz aus Vancouver schreibt tiefe Texte voller wundersamer Geheimnisse, schart seine Kaputt Players um sich und fügt anderthalb Jahre Zeit dazu. Das Ergebnis ist ein zeitloses, sowohl musikalisch als auch literarisches Meisterwerk, Lyrik in atmosphärischer Schwebe – und landet hochverdient so weit vorne in unseren Jahrescharts. (Daniel Waldhuber)

10

RADIOHEAD

The King Of Limbs

Es war erneut ein Pflichtkauf, das neue Album von Radiohead. Heterogener als zuletzt auf "In Rainbows", dafür nicht minder harmonisch. Zwar keine weitere Revolution wie noch "Kid A", aber eben immer noch eigenwillig und einzigartig. Radiohead bleiben sich treu und das ist gut so. Dafür gehören sie auch weiterhin gehuldigt als eine der stilprägenden Bands der letzten zwei Jahrzehnte. (Achim Schlachter)

11

YUCK

Yuck

Vier schüchterne Fast-noch-Kids aus London schließen sich zusammen und nehmen ein Album auf, das sich gewaschen hat und auf herrliche Art und Weise an die alten Zeiten von Pavement, Pixies und Konsorten erinnert. Das Ganze klingt dennoch gar nicht nach Plagiat (um eines der Unworte des Jahres in unsere Jahrescharts einzubauen), sondern clever und frisch wie völlig neu erfunden. Zusätzliches Plus: Einer der Sommerhits des Jahres, "Georgia". (Daniel Waldhuber)

12

LOCAS IN LOVE

Lemming

Locas In Love: Kaum eine Band hat die Ansprüche an ihre eigene Musik je so offen zu Tage gelegt wie dieses Jahr Locas In Love: Jeder Satz müsse eine Mine sein, ein Geschenk, ein Bär. Ob "Lemming" diesen metaphorischen Forderungen gerecht wird, können wir nicht beurteilen – doch mit solchen Seiltänzen zwischen Melodieseligkeit und Noise, zwischen Zynismus, Trauer, Witz und Optimismus können zumindest wir uns wenig mehr wünschen. (Jan Martens)

13

JAMES VINCENT MCMORROW

Early In The Morning

"Musik fängt an, wo Sprache aufhört" – so lautet wohl eines der borniertesten Zitate über Musik. Doch im Falle von "Early In The Morning", dem Debütalbum des irischen Songwriters James Vincent McMorrow, fehlt es einem tatsächlich an Sprache, um die Schönheit dieser Platte in Worte fassen zu können. Elf überwältigende Songs, 45 schlichtweg großartige Minuten Musik, die einem genug Wärme, Zuversicht und Inspiration geben, um durch das ganze Jahr zu kommen. (Benjamin Schneider)

14

WILD BEASTS

Smother

Eine Mercury-Prize-Nominierung kurz vor den Aufnahmen zur neuen Platte? Das kann einer Band schon mal ganz schön Druck aufladen. Die Wild Beasts kamen damit aber spielend zurecht und hauen mit "Smother" ihr bisher reifstes Werk raus. Zwar wesentlich ruhiger als die Vorgänger, zeigen die Jungs aus dem britischen Kendal, wie man beim Songwriting noch mal zwei Schippen drauflegen kann. Wenn bloß jede Band-Entwicklung so verlaufen würde... (Benjamin Köhler)

15

LANTERNS ON THE LAKE

Gracious Tide, Take Me Home

Eigentlich hätte man es sich nach all den großartigen EPs der letzten Jahre denken können, dass hier etwas ganz Großes auf uns zukommt. Dass sich mit dem Debütalbum von Lanterns On The Lake eine derart gewaltige Flutwelle aufbauen und auf uns zu bewegen würde, konnte man aber beim besten Willen nicht ahnen. "Gracious Tide, Take Me Home", das Debüt des jungen Quintetts aus Newcastle, entpuppte sich als dramatisch, bewegend und zugleich trotz all seiner Wucht als unheimlich filigran und ausgereift. Dieses schmerzlich-schöne Hörerlebnis gehört trotz all seiner Tragik zu den schönsten Überraschungen, die uns dieses Jahr beschert hat. (Kilian Braungart)

16

THE WAR ON DRUGS

Slave Ambient

Haben Bob Dylan und Bruce Springsteen gemeinsam eine Platte aufgenommen und seit wann treiben die sich eigentlich in Shoegazer-Gefilden rum? Diese Fragen kann man sich schon mal stellen, wenn man sich "Slave Ambient" reinzieht. Eine sehr eigenständige Mischung, die uns The War On Drugs hier vorsetzen und deswegen auch zurecht so weit vorne in unseren Jahrescharts. (Benjamin Köhler)

17

CASPER

XOXO

Casper, der Wonderboy des deutschen HipHop. Der, der kam, um mit tiefgründigen Texten und einem Zusammenspiel aus Rap, Post-Rock und Indie-Pop sein Genre zu revolutionieren. Hoch gelobt wurde er für sein Album "XOXO" im vergangenen Jahr. "XOXO" schaffte es sogar, Adele von Platz 1 der deutschen Charts zu vertreiben. Auch Kollege Bushido weiß Gutes über Casper zu berichten, das mag was heißen! Wir schließen uns Bushidos Meinung an, denn Casper öffnet dem HipHop neue Türen und verdient somit unseren Platz 17. (Marlena Julia Dorniak)

18

ST. VINCENT

Strange Mercy

Annie Clark hat uns 2011 mit "Strange Mercy" eine Platte von ungeschminkter Schönheit serviert. Die süße Leichtigkeit der Vorgänger ist damit nicht passé, lugt aber nur noch hier und da zwischen Laptop-Frickeleien und schroffen Riffs hervor. Stellenweise klingt sie wie Björk, der sie obendrein in diesem Jahr in Sachen musikalischer Evolution klar den Rang abgelaufen hat – direkt in die Top 20 unserer Jahrescharts. (Andreas Peters)

19

AND SO I WATCH YOU FROM AFAR

Gangs

Woher bloß? Woher saugen sich diese vier Nord-Iren diese unbändige Energie? And So I Watch You From Afar haben mit ihrem Zweitwerk nicht nur geliefert. Nein, das hier ist der neue Maßstab. Hier gucken andere, was im Post-Rock geht. Denn "Gangs" ist nicht nur in Sachen Dynamik ein Fest, auch seine Stimmung macht die Platte zum Unikat: Gern heftig, nie betrübt, stets mächtig und immer wieder rasant. Da musste sogar das brilliante Debüt kleinbei geben. Unnachahmbarer Starkstrom-Rock. (Gordon Barnard)

20

PANDA BEAR

Tomboy

Nachdem es dieses Jahr keinen Animal-Collective-Release gab, musste Noah Lennox alias Panda Bear die Psychedelic-Pop-Fahne eben alleine hochhalten – und das gelang ihm einmal mehr auf beeindruckende Weise. Eigentlich einfache Mittel werden zu breiten Soundteppichen verbunden, aus denen immer wieder einzelne Instrumente hervorstechen. Klingt unspektakulär, ist aber verdammt stimmungsvoll. (Johannes Neuhauser)

21

AUDITORIUM

Be Brave

Man kann Auditorium hier schon als kleine Überraschung bezeichnen: Nachdem das Album schon Anfang des Jahres self-released wurde, singen sie sich mehrstimmig in unsere Herzen und Ohren und schaffen es dadurch mal locker aus der Hüfte auf Platz 21. Da bleibt nur noch, sich für Texte zu bedanken, die so manchen lebenswichtigen Hinweis bereithalten: If a girl sings loud that means she's in love. (Silvia Silko)

22

CLOUD CONTROL

Bliss Release

Nach vier Jahren der Volltreffer: Cloud Control hatte zunächst niemand auf dem Zettel, dann hagelte es von allerorts Awards. Völlig zu Recht. Denn "Bliss Release" war ein Debüt wie aus dem Lehrbuch: Zehn Kracher zwischen Indie und Folk, zwischen Lässigkeit und Melancholie, zwischen Horizont und Lagerfeuer. Und es untermauerte mit Premium-Zement, was für ein starker Standort Australien musikalisch ist. Eins ist klar, ihr Vier: Ab dieser Platte hat euch jeder auf dem Schirm. Versprochen. (Gordon Barnard)

23

TOUCHÉ AMORÉ

Parting The Sea Between Brightness And Me

Touché Amoré: Manche Leute reden lange, ohne irgendetwas zu sagen; manche Bands spielen zehnminütige Songs, ohne damit jegliche Spannung oder Emotionen zu überzeugen – Touché Amoré machen es in beiden Fällen genau anders herum. Wer die größten Coming-Of-Age-Romane der Weltliteratur in 21 Minuten verstehen möchte, sollte zu "Parting The Sea Between Brightness And Me" greifen – und wer eines der eingängigsten Hardcorealben des Jahres sein eigen nennen möchte, ebenso. (Jan Martens)

24

J. MASCIS

Several Shades Of Why

Manchmal kann einen ein Album doch tatsächlich noch so richtig überraschen. E-Gitarren und endlose Gitarrensoli gehören eigentlich zu dem Dinosaur-Jr.-Frontmann J. Mascis wie der Dom zu Köln. Dass er darauf verzichten könnte und bei seinem Soloausflug "Several Shades Of Why" fast ausschließlich zur Akustikgitarre greifen würde, war schwer vorstellbar. Das Ergebnis dieses Experiments ist ein wahrer Fundus von anrührenden, melancholischen Melodien, von denen man nicht genug bekommen kann. (Marcel Eike)

25

UNIFORM MOTION

One Frame Per Second

Uniform Motion haben es nicht leicht. Ganz ohne Label im Rücken hat die französische Band bereits drei Alben veröffentlicht. Doch wer Uniform Motion einmal für sich entdeckt hat, wird nicht mehr von ihrem faszinierenden Folk-Pop loskommen. Auch wir haben Uniform Motion für uns entdeckt – und ihr neuestes Album "One Frame Per Second" lieben gelernt. Wie kann es sein, dass sich die Musikindustrie nicht schon längst um diese sympathische Band mit dem Händchen für ganz große Melodien reißt? Wer "One Frame Per Second" gehört hat, kann da nur vor Unverständnis den Kopf schütteln. (Kilian Braungart)

26

NICOLAS JAAR

Space Is Only Noise

So smooth und so warm! Nicolas Jaar spielt mit den Klängen, recycled diese hier und dort und schafft es dennoch, jeden Song einzigartig klingen zu lassen. Wie es ein Album vermag, schwere Samples, Vocals und synthetische Klänge aller Art mit dem Gefühl von Jazz oder auch Blues zu vereinen? Es ist wohl Jaars Geheimis und sein ausgeprägter Experimentiergeist. Aber gerade deswegen sticht "Space Is Only Noise" aus der Masse an elektronischen Musikveröffentlichungen in diesem Jahr heraus. (Achim Schlachter)

27

THE HEAD AND THE HEART

The Head And The Heart

The Head And The Heart: Gebt dem Folk mehr Euphorie! Wo andere tolle Genre-Vertreter wie die Herren Rateliff oder McMorrow dieses Jahr eher leisere Töne anschlugen, singen The Head And The Heart ihre Hymnen über die Unsicherheit der Zukunft mit einer Inbrunst, die beinahe an Mumford & Sons denken lässt – da auch die Melodien (zuckersüß) und pure Schönheit (bittersüß) hier nicht fehlen, finden die Amerikaner auf Platz 27 unserer Liste ihr neues Zuhause. (Jan Martens)

28

KATE BUSH

50 Words For Snow

Dunkelheit, Kälte, matschige Straßen, nasse Socken, Après Ski – dem Winter auch nur ansatzweise etwas Nettes abzugewinnen fällt mitunter nicht immer leicht. Doch es ist genau diese Jahreszeit, die Mitverantwortung trägt für Kate Bushs neues Album "50 Words For Snow", mit dem es der britischen Songwriterin gelingt, uns in lediglich sieben gefühlvollen, sehr minimalistisch gehaltenen Songs sowohl die Schönheit als auch Traurigkeit des Lebens durch winterliche Bilder näher zu bringen und uns somit eröffnet, dass nicht nur der Frühling etwas Schönes haben kann. (Benjamin Schneider)

29

ATLAS SOUND

Parallax

Ach ja, was wäre so eine Jahresliste eigentlich ohne eine Beteiligung von Bradford Cox? Eben, ziemlich unvollständig. Deswegen ist nach Deerhunter jetzt mal wieder sein Solo-Projekt Atlas Sound dran – und der Mann wird halt einfach nicht schlechter. "Parallax" kann man sogar als sein bisher ganz persönliches Meisterwerk bezeichnen. Kreativer und doch unverkennbarer Bradford Cox war der Workaholic bisher nicht. (Benjamin Köhler)

30

ELBOW

Build A Rocket, Boys!

Ausrufezeichen am Ende eines Albumtitels sorgen mitunter für sorgenvolle Mienen. "Strike!" von The Baseballs ließe sich vielleicht noch verschmerzen, ebenso "Kauf mich!" von den Toten Hosen – aber mit "Psychedelic Satanism!" von Kylie Minogue steigt die Zahl der inneren Fragezeichen exponentiell an. Schön, dass ausgerechnet die "Elder Statesman" des Britpop, Elbow, 2011 einen Kontrapunkt setzten mit ihrem Werk "Build A Rocket, Boys!". Hochwertige Pop-Hymnen finden sich darauf. Songs, in denen der Groove genauso wenig fehlen darf wie Guy Garveys unverkennbare Stimme. Bis auf Platz zwei der britischen Album-Charts ging es für die fünfte Studioplatte von Elbow – und bis in die Top 30 der éclat-Jahresliste! (Mischa Karth)

31

FEIST

Metals

Leslie Feist, das Mädchen für alles und alle. Kaum jemand könnte behaupten, sie nicht zu mögen, wenn, dann fehlt höchstens das Interesse an ihrer Person und ihrer Musik. Mit ihrem letzten Album "The Reminder" spielte sie sich in die Herzen aller. Mit "Metals" erinnert sie daran, dass sie mehr kann, als Werbesongs zu komponieren – nämlich Folksongs, die spröder sind und nicht direkt im Kopf hängen bleiben, aber eben darum vielleicht noch wertvoller sind. (Marlena Julia Dorniak)

32

WILCO

The Whole Love

Die sechs Herren aus Chicago zeigen, dass sie auch mit dem achten Studioalbum noch so einiges zu sagen haben: Wie eh und je finden sie eine wunderbare Ausgewogenheit aus kontrolliertem Krach und Gemütlichkeit, und auch textlich gehen Jeff Tweedy noch lange nicht die Worte aus ("One Sunday Morning"). Vielleicht gelingt ihnen diese Balance hier sogar so brilliant wie noch nie. Eines ist auf jeden Fall klar: An Wilco werden wir auch in Zukunft noch sehr viel Freude haben. (Daniel Waldhuber)

33

THE ANTLERS

Burst Apart

In puncto atmosphärischer Dichte macht The Antlers kaum jemand etwas vor. Wer bei Songs wie "No Widows" keine Gänsehaut bekommt, ist wahrscheinlich emotional schon ziemlich abgestumpft. Alle anderen jedoch werden "Burst Apart" von der ersten bis zur letzten Sekunde genießen – und danach selig in Erinnerungen schwelgen. (Johannes Neuhauser)

34

OWEN

Ghost Town

Es war definitiv nicht das Jahr der Singer/Songwriter. Der Local-Hero aus Chicago, Mike Kinsella, hat es mit seinem bereits sechsten Album unter dem Pseudonym Owen trotzdem in unsere Liste geschafft. Warum? Weil kaum jemand dieses Jahr dermaßen persönliche Texte mit solch schönen Melodien verband. Und der Mann will jetzt aufhören und sich seiner Familie widmen...Ein Jammer! (Benjamin Köhler)

35

TROUBLE OVER TOKYO

The Hurricane

Kopfkino zu vertonen und dabei textlich und klanglich die Präzision des Pop zu wahren, das dürfte in den vergangenen zwölf Monaten kaum jemand so eindrucksvoll geschafft haben wie Toph Taylor. Mit seinem Konzeptalbum über die Leiden eines Superhelden ist dem Engländer unter seinem Pseudonym Trouble Over Tokyo die perfekte Symbiose aus treibend-elektronischen Elementen, klassischer Instrumentierung und beseeltem Gesang gelungen. Titel wie "Flash Photographs", "Kryptonite" oder "Flames Flicker" lassen einen ratlos zurück, ob man dazu tanzen oder weinen will. (Mischa Karth)

36

GUS GUS

Arabian Horse

Stand 2010 noch eindeutig im Zeichen elektronischer Musik, mussten die Digital-Künstler dieses Jahr etwas zurückstecken. An Gus Gus lag dies sicherlich nicht, feierten sie mit "Arabian Horse" doch ihre ganz eigene Wiederauferstehung. Fast schon totgeglaubt, tanzen die Isländer auf ihrer neuen Platte buchstäblich auf ihrem eigenen Grab. Auch unsere Schuhsohlen sind noch lange nicht abgekühlt und eure sollten das auch nicht sein. Dance! Dance! Dance! (Benjamin Köhler)

37

K.-S.H.E.

Routes Not Roots

Terre Thaemlitz‘ Album als Kami-Sakunobe House Explosion ist zwar auch eine Konzeptplatte, das heißt, die Hörspielelemente eignen sich als Vorlesung in queerer Poptheorie, vor allem aber ist "Routes Not Roots" ein House-Album, das im Club wie im heimischen Wohnzimmer seine Wirkung voll entfaltet. Diese perfekte Verbindung des Diskurses mit der Musik macht aus "Routes Not Roots" eine solch besondere Platte des Deephouse. (Oliver Bothe)

38

LAURA MARLING

A Creature I Don't Know

Mit ihrem Drittwerk zeigt sich die Britin zwar erwachsener und reifer, bewahrt sich aber dennoch ihre Zerbrechlichkeit, ihre leisen Geschichten und den wundervollen Klang- und Harmonienreichtum. Mit dem aktuellen Album "A Creature I Don't Know" ist sie unser Platz 38. (Silvia Silko)

39

ESBEN AND THE WITCH

Violet Cries

Verhallende Stimmen, dumpfe Instrumentierung, Geräusche, die aus dem Jenseits zu kommen scheinen. Mit diesen Klängen könnten auch gruselige Filme unterlegt werden. Esben And The Witch beweisen dennoch immer wieder, dass auch Hoffnung und Schönheit im Schauerlichen stecken können. Z.B. mit Songtiteln wie "Chorea". Dieser wurde nach einem Krankheitssymptom benannt, durch das der Körper unter anderem zwanghaft zu tanzen scheint. Klingt furchterregend? Aber doch auch faszinierend! Genau, wie die Musik auf "Violet Cries". (Marlena Julia Dorniak)

40

PRINZ PI

Rebell Ohne Grund

Der "Neo-Punk" hat also gar keinen Grund? Schwierig, dieser Titel. Doch Prinz Pi hielt trotzdem den Finger in alle Wunden: Krieg, Liebe, Rap-Klischees – wieder wagt Pi den Rundumschlag. Und dann lärmt auch Archi Alert von der Terrorgruppe auf der elften Platte des Rappers herum. Irgendwie doch wieder Punk. "Rebell Ohne Grund" stellte klar: Dieser Typ braucht keinen Grund, der ist halt so. Nämlich provokant, offensiv und wütend – aber auch sensibel, eifersüchtig und gefühlsgesteuert. Und dadurch eben auch vor allem eins: authentisch. (Gordon Barnard)

41

DIRTY BEACHES

Badlands

Völlig zu Unrecht nie in Deutschland veröffentlicht, zeigt Dirty Beaches, dass sich ein Blick über den hiesigen Veröffentlichungs-Tellerrand durchaus lohnt: "Badlands" ist eine wilde Mischung aus Film Noir, Rockabilly und Crooner und damit nicht bloß völlig einzigartig, sondern auch überraschend berührend. Vielleicht wacht die Musikindustrie ja 2012 aus ihrem Dornröschenschlaf auf. (Yves Weber)

42

THRICE

Major/Minor

Weg sind sie. Nach "Major/Minor" hauten Thrice in den Sack. Okay, erstmal nur vorläufig. Den Abschied auf Zeit macht ihr achtes Album trotzdem umso schmerzlicher. Nach langer Experimentierphase bogen Thrice hier plötzlich auf Kurs Richtung stringentem Rock ab – und schrieben dabei etliche Songs, die zu ihren stärksten gehören – melodisch, brachial und dermaßen auf den Song fixiert, dass man weiß, woher jüngere Hardcore-Bands dieser Tage ihre Impulse haben. Sänger Dustin Kensrue lief dabei zu Höchstform auf: Mit so viel Herzblut trat er noch nie vors Mikro. Diese Band muss wiederkommen. Und das, so schnell es geht. (Gordon Barnard)

43

JOSH T. PEARSON

The Last Of The Country Gentlemen

Zehn Jahre hat sich der Texaner Josh T. Pearson Zeit gelassen, bevor er nach dem einzigen Album seiner Band "Lift To Experience" wieder von sich hören ließ. Mit einem monumentalen, kargen Epos über das Ende einer großen Liebe meldete sich Pearson dieses Jahr zurück – einem Werk, das einen mit seiner schonungslosen Offenheit überwältigte. So schmerzlich die Erlebnisse für Pearson selbst gewesen sein mögen – er kann sich sein eigenes Album aufgrund der Erinnerungen, die es in ihm weckt, nicht anhören -, wir kamen nicht mehr los von diesem urtümlichen Stück Musik, über das man in Zukunft noch viel sprechen wird. (Kilian Braungart)

44

BILL CALLAHAN

Apocalypse

Bill Callahan ist schlichtweg ein Genie. Wie hier in aller Ruhe jeder Ton an der richtigen Stelle sitzt und Callahan seine Weisheiten tief in der Stimme und tiefgründig im Gehalt dazu preisgibt – es ist ein Segen. Mit "Apocalypse" macht er das bei weitem nicht zum ersten Mal, doch es wird wohl nie weniger spannend. Man höre sich nur einmal "Riding For The Feeling" an und weiß, was gemeint ist. Musik, die einen sehr froh darüber macht, dass es Musik in ihrer Gesamtheit gibt. (Daniel Waldhuber)

45

JA, PANIK

DMD KIU LIDT

Der kryptische Titel bedeutet "Die Manifestation des Kapitalismus in unserem Leben ist die Traurigkeit" und allein das hat den Feuilletonisten die Tränen in die Augen steigen lassen. Mittlerweile in Berlin ansässig, haben die österreichischen Buben ein monolithisches Werk voller Dylanesker Sprachgewalt abgeliefert, das live nur in Gänze aufgeführt werden konnte. Einzelnes aus diesem Gesamtkunstwerk herauszureißen, würde es seiner Bedeutung berauben. (Florian Tomaszewski)

46

LYKKE LI

Wounded Rhymes

Mit "Wounded Rhymes" brachte Lykke Li im März ein Album heraus, das sich elegant, verrucht, tiefgründig und traurig schön zeigt und dennoch keine Angst vor poppigen Melodien hat. Als kleines Dankeschön für ihr erfolgreiches vergangenes Jahr stellt sie allen Fans auf ihrem Blog einen kostenlosen Download wieder gefundener "Lost Sessions" zur Verfügung. Wir bedanken uns für zusätzliche zehn Minuten feine Musik! (Marlena Julia Dorniak)

47

BEIRUT

The Rip Tide

Der musikalische Souvenirsammler Zach Condon war noch sehr jung, als er mit Balkanpop auf "Gulag Orkestar" beinahe über Nacht zum Szeneliebling avancierte. Doch zahlreiche Zusammenbrüche deuteten an, welche Thematik das neue Album behandeln würde: Condon hat sich gewissermaßen verloren. "The Rip Tide" ist eine Selbstsuche, ein Versuch, das eigene Ich zu ergründen. Und, es ist erneut eine wunderbare Platte geworden, auf welcher Bläser etwas gezähmt wurden. Zach Condon und Beirut: Nicht mehr ganz so theatralisch, dafür umso intimer. (Achim Schlachter)

48

ASOBI SEKSU

Fluorescence

Ob es nun Dreampop oder Shoegaze ist, Asobi Seksu belegen auch mit ihrem vierten Album ihren Status als einer der Spitzenvertreter des wiederaufgelebten Genres. Weitläufige Soundscapes entstehen aus verwebten und überlagerten Klangschichten und gehen mit Yuki Chikudates überirdisch körperlosem Gesang sowie der wieder intensiver eingebundenen Rhythmussektion eine erschöpfende Verbindung ein. Hinzu kommt das Gespür für die überwältigend effektive Popmelodie. So dicht das Klangtextil auch gewebt sein mag, irgendwo und irgendwann durchwindet die Melodie es und macht aus experimentellen Klangschichten poppige Ohrwürmer. (Oliver Bothe)

49

NATHANIEL RATELIFF

In Memory Of Loss

Was man mit Gitarre, Stimme und einer ereignisreichen Vergangenheit alles machen kann, zeigt Rateliff auf seiner Platte "In Memory of Loss". Der Titel ist Programm: Verlust, Erinnerungen, Schmerz und Liebe werden von Rateliff herzzerreißend und wunderschön besungen, ohne jemals kitschig zu werden. (Silvia Silko)

50

DECLAN DE BARRA

Fragments, Footprints And The Forgotten

Diese Stimme! Wir können einfach nicht von ihr lassen. "Fragments, Footprints And The Forgotten" zeigt, dass es weiterhin Wunderbares aus der Fraktion der Singer-/Songwriter zu vermelden gibt. Ein herrlich düsteres und zugleich aufrichtiges Album ist das dritte Werk des Declan De Barra geworden. Von der Fachpresse häufig unterschlagen, von uns nicht! (Achim Schlachter)

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Bye-Bye

Am 5. Januar 2021 haben wir éclat eingestellt. Mehr Infos hierzu gibt es auf unserer Startseite!