Interview

Young Rebel Set


Alles neu im Hause Young Rebel Set: Zweites Album "Crocodile" draußen, die Band um zwei Miglieder geschrumpft und getrunken wird auch nicht mehr – zumindest letzteres aber widerlegt uns Sänger Matty Chipchase im Bremer "Tower", während er mit uns über kuriose Methoden des Bieröffnens fachsimpelt und uns erklärt, wie zum Teufel sein Akzent verschwunden ist.

Hallo Matty! Wie läuft die Tour?

Matty: Sehr anstrengend – wie jede unserer Touren. Wir trinken zu viel und schlafen zu wenig.

Ich dachte, das hättet ihr mittlerweile geändert.

Matty: Jein. Wir trinken vor Shows nicht mehr, damit sie perfekt ablaufen, danach gehen wir zu unserem üblichen Pensum über. Alles andere war einfach schädlich für die Band: Da geben wir uns alle Mühe, ein tolles Album zu machen und können das dann live gar nicht reflektieren – da könnten wir ja genauso gut betrunken aufnehmen. Gerade dieses Album ist sehr viel tiefer, technischer, wir mussten uns als Musiker wirklich weiter entwickeln – das könnten wir nicht betrunken spielen.

Eure Band ist ja auch von sieben auf fünf Mitglieder geschrumpft. Hat das die Tourdynamik auch verändert?

Matty: Naja, zwei Betrunkene weniger, über die man sich Sorgen machen muss! Mal im Ernst: Wir fünf Verbliebenen hängen sehr eng zusammen – wir verstehen uns mit den anderen beiden zwar auch noch gut, aber unser Sound brauchte zum Beispiel nun einfach keine Mundharmonika. Sie haben auch nie so ganz bei uns reingepasst – sie waren beim Trinken nicht dabei und hatten auch größere Prioritäten als die Band. Das mit dem Sound war aber schon ausschlaggebend – das Album war insgesamt immerhin 18 Monate in der Mache, in denen wir gemerkt haben, dass wir uns in eine andere Richtung entwickeln wollten. Gerade die Mundharmonika verbindet man ja schon mit einem sehr bestimmten Sound, von dem wir uns wegbewegen wollten.

Ich hatte auch den Eindruck, dass es euch nervte, immer in die Folk-Ecke zu Mumford & Sons gesteckt zu werden.

Matty: Ja, das kam auch gerade durch den Gebrauch der akustischen Gitarre. Obwohl vielen Songs natürlich Singer-Songwriter-Elemente zugrunde liegen, würde ich sie trotzdem nicht als Folk bezeichnen, viele Songs sind eher nostalgisch. Viele vergessen auch gerne, dass es uns schon vor Mumford & Sons gab.

"Crocodile" klingt für mich auch sehr viel dreckiger.

Matty: Auch von den Inhalten her ist "Crocodile" sehr viel reflektiver. Seit "Curse Our Love" hat sich ja auch für unsere Band und in unseren persönlichen Leben eine Menge getan. "Crocodile" erzählt die Geschichte dieses Wachstums: "Fuck, ich bin gerade viel zu betrunken, ich kann doch nicht mein ganzes Leben nur betrunken sein. Das ist nur schädlich für mich und alle um mich herum."

Hmm, nun habe ich Lust auf ein Bier.

Matty: Bedien dich und bring mir eins mit! (Den Grundsatz, vor einer Show nicht zu trinken, kann Matty während des Interviews nicht ganz einhalten; Anm. des Autors)

Amerikaner sind immer beeindruckt, wenn Europäer Flaschen anders als mit Flaschenöffnern öffnen.

Matty: Mittlerweile können wir es schon mit anderen Flaschen. Ich habe auch schon Leute gesehen, die es mit der Augenhöhle oder der Brust gemacht haben. Ich möchte noch einen Weg erfinden, eine Flasche mit der Vorhaut zu öffnen. Man muss nur die Saugwirkung in den Griff bekommen, dann sollte das klappen.

Ich weiß nicht, ob du dafür berühmt sein möchtest. Das Talent könntest du höchstwahrscheinlich auch nicht weiter vererben.

Matty: Stimmt, ich warte, bis ich 70 bin.

(Wir überspringen hier weiteres Fachsimpeln über das Öffnen von Bierflaschen; Anm. des Autors)

Ich habe mich gefragt, woher der Albumtitel "Crocodile" kommt und keine Antwort gefunden.

Matty: Wir hatten uns gefragt, wie wir das Album nennen wollen und hatten zunächst sehr klischeebehaftete Ideen. "Long Winters" oder der Songtitel "Show Your Feathers And Run". Dann haben wir einfach nach einem tollen Wort gesucht und kamen auf "Crocodile". Es gibt einen Film über die Kray-Zwillinge: berüchtigte Gangster der 20er Jahre in London. In ihrer Kindheit fragt sie der Lehrer nach einem wunderbaren Wort, sie schauen sich an und sagen, ohne nachzudenken, "Crocodile" und der Lehrer lobt sie dafür. Ein wundervolles Wort, ein wundervoller Albumtitel. Wir wollten einfach ein Wort, das man dann auch gleich mit Young Rebel Set verbinden wird.

Der Titel passt auch irgendwie schon zum Album.

Matty: Ja, ich denke, zumindest unterschwellig kann man immer so eine Verbindung finden, also subliminin....subliminimal...also, du weißt, was ich meine. Der Titel hat zumindest gleich bei allen geklickt.

Mir fiel beim Hören von "Crocodile" auf, dass du deinen Akzent komplett abgelegt zu haben scheinst, aber wenn wir nun so sprechen, merke ich, dass das scheinbar nur beim Singen der Fall ist.

Matty: Auf diesem Album haben wir mit Paul Savage zusammengearbeitet, der mir sagte, ich solle nicht mehr so stark versuchen, wirklich zu singen. So bin ich wieder bei einem gewissen Brummeln gelandet. Außerdem sind viele Songs auch viel langsamer, wodurch die Wörter anders klingen – den Unterschied zum Sprechen merkst du nun ja auch. Besonders an unserem Akzent ist ja zum Beispiel auch, dass man das "t" in Wörtern wie "bottom" weglässt, also bo'om sagt. Das geht natürlich nicht, wenn du ein Wort in langsamen Songs langziehst. Dann klingt wie man ein Idiot! So hat sich das wohl ergeben.

Glaubst du, man sollte auf einen Akzent stolz sein oder probieren, ihn los zu werden?

Matty: Ich versuche auf jeden Fall nicht, ihn zu verstecken, aber hier bereitet es vielen Menschen Probleme, ihn zu verstehen. Ich schäme mich seiner überhaupt nicht. Auf seine Heimat sollte man stolz sein, aber auf den Akzent? Ich weiß nicht.

Lebt ihr immer noch in Stockton-on-Tees?

Matty: Ja. Etwas Anderes können wir uns auch gar nicht leisten! Wir kommen auch gerne dahin zurück, aber mehr wegen der Freunde und Familie, die wir dort noch haben, auch wenn viele mittlerweile fortgezogen sind. Eine Rückkehr dorthin ist immer eine Rückkehr zur Realität.

Zu meiner letzten Frage: Ich habe als Englischlehrer "If I Was" benutzt, um Schülern Konditionalsätze beizubringen. Welcher Song auf "Crocodile" hat den größten pädagogischen Wert?

Matty: "Another Time, Another Place" vielleicht. Dort geht es darum, dass man entdeckt und herausfindet, wer man ist. Bei "One Law" wiederum geht es darum, Hindernisse zu überwinden, die einem in den Weg gelegt werden und dass kein Berg zu hoch ist. Wenn dir jemand sagt, dass du etwas nicht kannst, versuch es trotzdem. Wenn ich anders gehandelt hätte, würd ich jetzt nicht hier bei dir sitzen und kostenloses Bier trinken.

Jan Martens

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Rezension zu "Crocodile" (2013)
Rezension zu "Curse Our Love" (2011)

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