Interview

Wild Beasts


Sie waren für den begehrten Mercury Prize nominiert und haben sich mit "Smother" endgültig als eine der kreativsten Bands der letzten Jahre etabliert. Im Interview, geführt auf dem diesjährigen Haldern Pop Festival, verraten die Wild Beasts in Gestalt von Lead-Sänger Hayden Thorpe und Drummer Chris Talbot einige Details ihres Erfolgs und äußern sich auch zu den verheerenden England-Riots.

Ihr habt drei Alben in vier Jahren veröffentlicht und seid dazwischen immer nonstop auf Tour gewesen ohne größere Ruhepause. Es scheint, als sei es sehr wichtig für euch, permanent den Schaffensprozess aufrecht zu erhalten?

Hayden Thorpe: Das ist richtig. Ich denke, viele Bands zementieren mit ihrem ersten Album ihren Sound und gehen dann von dort aus weiter. Wir haben da eine etwas andere Philosophie entwickelt. Uns reizte der Gedanke, mit jedem Album genau das zu tun, was man von uns am wenigsten erwartet hätte. Das geht nur, wenn man einen kreativen Prozess pausenlos am Laufen hält. Die übliche Vorgehensweise – ein Jahr das Album aufnehmen, ein Jahr touren, ein Jahr Pause – hätte diesen Prozess unweigerlich ins Stocken gebracht oder gar ganz beendet. Das wollten wir um jeden Preis verhindern.

Viele Musiker verfolgen aber eine ganz ähnliche Strategie. Die nehmen sich dann eine Auszeit von der Band und leben ihre Kreativität in Soloausflügen oder anderen Projekten aus. Bei euch habe ich aber den Eindruck, dass das als Band sogar viel besser klappt.

Hayden: Das liegt daran, dass bei uns jeder einzelne jederzeit machen kann, was er will. Im Prinzip sind die Wild Beasts eher ein Musikerkollektiv als eine klassische Band, in der ein oder zwei Bandmiglieder die Musik schreiben und der Rest "nur" beisteuert. Bei uns ist jeder mit seiner eigenen Individualität dafür mitverantwortlich, dass die Wild Beasts so klingen, wie sie klingen. Deshalb kam auch irgendwie nie der Wunsch auf, etwas anderes zu machen. Weißt du, wir sind jetzt schon zusammen seit wir Teenager sind, und dieses Feuer von damals hat irgendwie seither nie so wirklich nachgelassen. Vielleicht ist das auch ein weiterer Punkt, warum wir mit der Band so zufrieden sind und keine Veranlassung sehen "fremdzugehen".

Nach eurem experimentellen Debüt und der tanzbaren zweiten Platte habt ihr vor einigen Monaten mit "Smother" ein vom Sound her sehr viel reiferes Album veröffentlicht. Wie habt ihr die Entwicklung eures Songwritings selbst über die letzten paar Jahre wahrgenommen?

Chris Talbot: Nun, zu Beginn waren wir noch die "Angry Boys", die einfach durch jugendliches Ungestüm an die Sache herangegangen sind. Für uns war das erste Album auch nicht unbedingt experimentell in dem Sinn, sondern schlicht und ergreifend Ausdruck unseres damaligen Teenagerlebens. Bei "Two Dancers" wollten wir dann etwas strukturierter vorgehen und den Fokus mehr auf die Melodie legen. Und jetzt, da wir bei "Smother" angekommen sind, war es an der Zeit, andere Instrumente und neue Ideen auszuprobieren. Diesen Reifeprozess nimmt man zwischen 18 und 25 Jahren gar nicht so mit, er passiert einfach. Ich denke auch nicht, dass er schon abgeschlossen ist.

Habt ihr dennoch das Gefühl, dass ihr an einem Punkt angelangt seid, an dem sich bestimmte Facetten eures Sounds gefestigt haben?

Hayden: "You can't run away from the DNA!" (lacht) Es gibt sicherlich eine bestimmte Basis, die immer da sein wird und die sich nur unwesentlich verändert. Das Ziel ist, diese Basis zu verbreitern, um so noch mehr Spielraum in seinem Schaffen zu bekommen. Man muss aber auch irgendwann akzeptieren, wo die Grenzen sind. Sich selbst zu verleugnen, ist ein großer Fehler, den schon viele Bands gemacht haben. Den gleichen wollen wir nicht begehen.

Etwas, das sich verändert hat, ist, dass Ben (Little – zweite Stimme, Gitarre, Keyboard) noch mehr im Gesang involviert ist. War das sein konkreter Wunsch, in der Hinsicht aktiver zu werden?

Hayden: Vielleicht schon, aber dazu muss man sagen, dass vieles bei uns nicht durch Diskussionen entschieden, sondern vielmehr durch einen dynamischen Prozess ausgelöst wird. Das geschieht dann nicht bewusst, sondern ergibt sich einfach aus der Situation heraus. Ich würde sagen, dass viele unserer besten Ideen auf diese Weise entstanden sind. Wenn man immer genau weiß, was jetzt zu tun und zu lassen ist, nimmt das die Magie aus dem Songwriting raus. Die Vorstellung, dass dieser "Dynamo" plötzlich stillsteht und die ganze Romantik mit einem Schlag dahin ist, ist furchtbar. Eine meiner größten Ängste.

Ich könnte mir aber vorstellen, dass die Entscheidung, wer von euch welche Gesangsparts übernimmt, relativ unromantisch ist.

Hayden: Das stimmt. In der Regel ist es so, dass ich die Texte singe, die ich geschrieben habe und Ben diejenigen übernimmt, die er zu Papier gebracht hat. Das hat auch damit zu tun, dass man natürlich die Sätze, die man sich überlegt hat, besser und in der Weise zum Ausdruck bringen kann, wie es ursprünglich die Absicht war. Würde das der jeweils andere machen, käme etwas ganz anderes dabei heraus. Das kann vielleicht ganz interessant sein, aber es macht die Songs weniger authentisch.

Viele Bands suchen sich ja einen besonders langen Song aus, um ein Album zu beenden. Mit "End Come Too Soon" habt ihr genau das jetzt auch getan. Wurde das Stück eigens zu diesem Zweck von euch arrangiert?

Chris: Normalerweise sind wir eine Band, die das Tracklisting erst nach den Aufnahmen aller Songs macht. Bei "End Come Too Soon" war aber relativ schnell klar, dass es der Closer des Albums werden sollte, obwohl am Anfang gar nicht sicher war, wie lange der Song nun wirklich dauern würde. Wenn man jetzt die fertige Version hört, muss man aber auch zugeben, dass es relativ schwer gewesen wäre, den Song irgendwo anders auf "Smother" zu platzieren.

Hayden: Es wäre auch wirklich zu nerdig gewesen, ihn nicht ans Ende zu setzen. (lacht)

Wenn ihr mal selbst einen Blick in die Zukunft wagen wollt: werden sich die Wild Beasts weiter in diese "ruhigere" Richtung bewegen, die sie mit "Smother" eingeschlagen haben?

Hayden: Das würde mich ehrlich gesagt überraschen. Wir fühlen uns live auf der Bühne am wohlsten, wenn wir die Uptempo-Songs spielen und das Publikum richtig mitgehen kann. Ich denke, wir werden daher wieder die Richtung ändern und uns auf schnellere und tanzbarere Songs konzentrieren. Das ist auch meiner Meinung nach eine größere Herausforderung. Es ist schwieriger, einen Song zu schreiben, der ein ordentliches Tempo hat und dem dennoch eine gewisse Schönheit innewohnt als einen Song, der ruhig und majestätisch daherkommt. Wir mögen Herausforderungen.

Hört sich so an, als ob du ein wenig "Two Dancers" hinterher trauerst?

Hayden: Hinterhertrauern ist nicht die richtige Bezeichnung, aber jedes mal, wenn wir Songs aus dem Album spielen, fühlt es sich so an, als ob wir mit dem Sound noch nicht richtig fertig seien und es unsere Pflicht wäre, da weiterzumachen.

Chris: Ich glaube, es war für uns als Band wichtig, dass wir mit "Smother" auch mal ein Album rausgebracht haben, das sich ein wenig zurücklehnt. Es ist wie ein entspanntes Ausatmen, bevor man wieder kräftig Luft holt. Das hatten wir nach den aufreibenden letzten Jahren bitter nötig.

Ich muss natürlich abschließend noch auf die Riots in England zu sprechen kommen. Domino Records war eines von vielen Labels, welches von dem großen Feuer des Sony-Geländes betroffen war, das von Randalierern gelegt wurde. Wisst ihr denn schon, wie viel Schaden verursacht wurde?

Chris: Soweit ich weiß, wurde der komplette Lagerbestand dort vernichtet. Zum Glück lagerte der Großteil der Platten aber im Hauptfirmensitz von Domino und das Label ist auch groß genug, um den Verlust einigermaßen aufzufangen. Wenn ich da an die kleineren Labels denke, wird mir aber richtig schlecht. Die haben teilweise ihre ganze Existenz verloren und werden sich davon auch nicht mehr erholen können.

Könnt ihr als eine Art "passive Opfer" dieser Riots noch sowas wie Verständnis für diese aufgebrachten Menschen aufbringen?

Hayden: Nein, auf keinen Fall. Als ich die Bilder des brennenden Areals im Fernsehen sah, wusste ich im ersten Moment gar nicht, um welches Gelände es sich handelte. Erst am nächsten Morgen wurde uns dann mitgeteilt, dass der Großteil unserer Platten einfach so verbrannt wurde. Wenn es wenigstens einen Grund dafür gegeben hätte! Aber all diese Zerstörung, all diese Gewalt wurde nicht deshalb verübt, um etwas zu erreichen, sondern aus purer und blindwütiger Aggression.

Chris: Es ist kein Vergleich zu den 80ern, als es den Leuten wirklich beschissen ging und die Menschen etwas tun mussten, um die Obrigen auf die Missstände aufmerksam zu machen. Wir leben heute zwar auch nicht in rosigen Zeiten, aber das kann man doch nicht vergleichen! Die Leute gehen auf die Straße und brennen alles nieder, ohne überhaupt darüber nachzudenken, was sie da eigentlich genau tun. Es ist eine Schande!

Hayden: Man kann sich gegen Missstände auflehnen, aber nicht so und nicht diese Menschen aus Hackney oder anderen Stadtteilen in London. Das sind Kids, die, nachdem sie ein Auto angezündet haben, wieder nach Hause gehen und Playstation spielen. Erzähl das mal den Menschen da draußen, die in Ägypten oder sonst wo auf die Straße gehen und denen es wirklich mies ergeht im Leben. Da kann man nur noch traurig den Kopf schütteln.

Benjamin Köhler

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