Interview

Villagers


Die Postmoderne sagt: Absolute Wahrheit gibt es nicht, selbst objektive Gegensätze sind nur vom Menschen konstruiert. Gut, dass Conor O'Brien, Bandleader der Villagers, kein postmoderner Songwriter ist. Oder vielleicht doch? Wir wagen uns an ein Interview und dekonstruieren die Welt – Stolz und Unzufriedenheit, Glaube und Nihilismus, Schakale und Schweine.

Hallo Conor! Wie läuft die Tour bisher?

Conor O'Brien: Sehr gut, sehr....erleuchtend. Wir sind zum ersten Mal wochenlang pausenlos mit der Band unterwegs, wir lernen uns gerade sehr gut kennen.

Zu gut?

Conor: Nein! (lacht) Wir sind mehr wie eine dysfunktionale Familie. Wir sind die Bundys des Indierock.

Du sagtest einmal, dass du nicht gerne über deine Songs sprechen würdest, da du sie eigentlich nur für die Bühne schreibst.

Conor: Das stimmt schon zu einem gewissen Grade, ja. Aber lass dich das nicht davon abhalten, Fragen zu ihnen zu stellen, wenn du möchtest.

Wenn du gleich die Live-Performance im Blick hast, muss dir Feedback ja sehr wichtig sein.

Conor: Wahrscheinlich, ja. Man sucht ja immer nach Bestätigung, schätz ich mal. Als ich ein kleiner Junge war, ließ ich meine Zeichnungen auch immer überall herumliegen, damit Leute sie finden würden und ich sagen könnte „Ja, die sind von mir“ (lacht). Das ist aber hoffentlich nicht der einzige Grund, warum ich die Songs schreibe, das wäre etwas deprimierend.

Du hast in einem Interview einmal gesagt, dass der Prozess des Songwritings bei dir nur halb bewusst und fast automatisch ablaufen würde. Das klingt nicht danach, als ob du sehr stolz auf die Songs wärst. Damit dissoziierst du dich ja irgendwie von ihnen.

Conor: Nein, ich dissoziiere mich überhaupt nicht; ich bin schon sehr stolz auf sie, da ich eine Menge Arbeit, Disziplin und Anstrengung in sie gesteckt habe. Es passiert beim Schreiben aber sehr viel Überraschendes, das man vorher nicht erwartet hätte. Diese Teile sind dann oft das Herz eines Songs, die Stellen, in denen wirklich die Magie passiert. Andererseits ist jeder Song aber wirklich auch immer eine Art Kompromiss – das Ideal des Songs, den man im Kopf hat, kann man sowieso nie erreichen. An irgendeiner Stelle muss man das einsehen und den Song so nehmen, wie er dann ist. Ich bin stolz auf sie – aber sie stecken trotzdem noch voller Fehler.

Dann darf man als Songwriter ja kein Perfektionist sein.

Conor: Ja, aber ich treibe es dabei schon so weit, wie es geht. Da bin ich ziemlich besessen.

Du meintest einmal, dass die Texte auch oft durch den Klang der Silben zu dir kämen.

Conor: Ja, das kommt häufiger vor. Die Bedeutung erschließt sich dann oft erst, nachdem man den Text bereits geschrieben hab. Vorher hat man dann oft gar nicht vorgehabt, irgendeine Botschaft zu vermitteln.

Das erinnert mich an die Songzeile I'm spitting words, but there's no meaning („That Day“).

Conor: Im Kontext dieses Songs vielleicht schon zu einem gewissen Grade, ja.

Denkst du, dass deine Songs manchmal von sich selber und dem Songschreiben an sich handeln? Quasi auf einer Meta-Ebene?

Conor: Oh, ja, bei „Becoming A Jackal“ ist es auf gewisse Art und Weise so. Das deckt den Prozess etwas auf, es heißt am Ende ja auch: Before you take this song as truth, you should wonder what I'm taking from you, how I benefit from you being here. Der Song referiert da auf sich selbst, und stellt die Ehrlichkeit und Reinheit dieses Charakters in Frage.

Also dir?

Conor: Naja, manchmal glaube ich, dass ich das bin, manchmal, dass ich nur eine Rolle spiele.

Du scheinst die Idee einer absoluten Wahrheit sowieso nicht zu mögen – das wirkt aufgrund der von dir genannten Textstelle so, auch in „The Meaning Of The Ritual“ fragst du: What is this peculiar thing called truth?

Conor: Ja, ich denke auch, dass alles...das ist so ein weites Thema (lacht). Ich erinnere mich noch, dass wir im College über John Ashbery gesprochen haben, einen postmodernen amerikanischen Dichter – auch wenn ich das Wort „postmodern“ nicht mag. Er schrieb über die Idee von Wahrheit und sezierte die ganzen Glaubenssysteme, die es gibt – denn wenn du diese miteinander vergleichst, schließen sie sich immer irgendwie aus, was die absolute Relativität der Welt beweist. Alles weist nur auf sich selbst zurück und kann daher theoretisch auch das genaue Gegenteil bedeuten. Aber hey, ich bin kein Philosoph.

Ja, die generelle Idee ist ja bei vielen postmodernen Autoren, dass es immer mehrere Seiten von (einer) Geschichte gibt und daher keine wirklich wahr sein kann.

Conor: Genau, und das verwende ich gerne in Songs, verschiedene Perspektiven verschiedener Menschen, die Unklarheit verschiedener Meinungen. Das drücke ich gerne aus.

Ist das nicht auch irgendwo nihilistisch? Wer an nichts mehr glaubt...

Conor: Zu einem gewissen Grade, ja, aber ich fühle mich auch nicht, als ob ich mich dieser Ansicht komplett verschrieben hätte. Ich lebe mein eigenes kleines Leben wie jeder andere auch. Ich schreibe vielleicht über solche Ansichten, aber lebe nicht unbedingt danach und bin deswegen ja auch nicht besser als andere. Ich habe immer noch Hoffnungen im Leben und bin auch offen dafür, an einen Gott oder Ähnliches zu glauben. Ich würde vielleicht sogar sagen, dass ich an Gott glaube. Oder die Idee eines Gottes, was auch immer das dann heißt.

Dann wärst du also auch kein „postmoderner Songwriter“.

Conor: Nein, wäre ich nicht. Oder doch? Ich möchte mir da auch kein Label aufdrücken. Ich erkunde nur gerne Dinge, manchmal macht das Spaß, manchmal ist es schmerzhaft. Es ist aber auch eine Form von Disziplin, trotzdem weiter zu machen, und das tue ich.

Für einen Pessimisten könnte man dich ja trotzdem halten, wenn man sich zum Beispiel das Albumcover von „Becoming A Jackal“ anschaut. Es suggeriert ja, dass in jedem von uns ein böser Schakal steckt.

Conor: Vielleicht schon. Ich war von der Idee besessen, Menschen auf die Ebene von Tieren zu setzen. Die meiste populäre Musik verherrlicht ja den sogenannten Unterschied zwischen Mensch und Tier gerne, stellt den Menschen auf ein glänzendes Podest...Ich möchte den Mensch von diesem Podest herunterstoßen. In den Matsch. In die Scheiße (lacht).

Was hat denn gerade der Schakal dir getan?

Conor: Der Schakal ist der selbstsüchtigste Aasfresser aller Kreaturen. Hängt auf Friedhöfen herum, sucht nach Leichen. Von allen Aasfressern sind sie Menschen auch am ähnlichsten, im Vergleich zu Geiern oder anderen. Sie sind zum Beispiel monogam. Und sie sind natürlich von hohem metaphorischen Wert.

An welchem Tier sollte sich die Menschheit denn dann orientieren?

Conor: Am Schwein. Schweine sind sehr intelligente und schöne Tiere, die man nicht einfach schlachten und essen sollte.

Ich hätte jetzt getippt, dass du das damit begründest, dass Schweine 30minütige Orgasmen haben.

Conor: (lacht) Haben sie? Dann nehm ich das eben zurück: Die Menschheit sollte sich an Schweinen orientieren, weil Schweine 30minütige Orgasmen haben.

Photo: Pressefreigabe Domino Records

Jan Martens

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