Interview

ULMe


Neulich im Café Bedford: gedimmte Lichter auf spröden Holztischen stellen im Hamburger Schanzenviertel die Weichen auf einen entspannten Feierabend. Gegenüber sitzen mit Lutz (Drums) und Tim (Bass) zwei Drittel von ULMe, des Band gewordenen Riffmonsters aus Hamburg. Ein Konzert steht an diesem Abend nicht mehr an, die Stimmung ist gelassen, das Bier kalt. Und wie sich im Laufe des Gesprächs herausstellt, ist auch das Bedford in der Geschichte ULMes nicht ganz unwichtig. Mit Sänger/Gitarrist Arne fehlt zwar das einzige Gründungsmitglied der Band. Aber schnell wird klar: das ist überhaupt kein Problem.

Moin Leute. Wo wir uns schon in Hamburg treffen und ihr auch hier probt, soll auch gleich mal die erste Frage die Hansestadt zum Thema machen. Wie sieht es mit Konzerten hier aus?

Lutz Möllmann: Wir kommen gerade vom ersten Teil der Tour zu "Tropic Of Taurus", die uns quer durch Europa, unter anderem Tschechien und Österreich, geführt hat. Was Konzerte angeht, ist es in Hamburg sehr schwierig. Wir geben hier welche, aber meistens auch nur einmal im Jahr. Das reicht uns und ich glaube, das reicht Hamburg auch.

Das war jetzt nicht unbedingt die Antwort, die ich erwartet habe. Wo besteht in Hamburg denn das Problem?

Tim Liedkte: Diese Stadt ist komplett übersättigt. Wenn du willst, kannst du hier jeden Abend auf sieben Konzerte gehen. In den letzten fünf Jahren – also seit ich bei ULMe bin – haben wir regelmäßig einmal im Jahr hier gespielt, und eigentlich kommen immer die gleichen Leute. Das ist ja nicht schlimm, aber es sind meist eben unsere Freunde. Ich persönlich spiele lieber in kleineren Orten. Da haben die Leute noch Bock auf Musik.

Lutz: Also...ich will jetzt dieses Ost-West-Gefälle hier nicht in irgendeiner Form forcieren, aber im Osten geht auf jeden Fall mehr. Spremberg zum Beispiel: Keiner kennt es, der Ort ist relativ "braun", hat dadurch aber auch eine relativ starke linke Szene. Wir als politisch völlig sinnfreie Band kriegen da echt guten Zuspruch.

Von der Vorstellung, dass Hamburg ein guter Nährboden für härtere Musik ist, kann man sich also getrost lösen?

Tim: Also ich persönlich kenne nur ganz wenige Menschen, die wirklich in einer Band in Hamburg spielen und damit erfolgreich sind. Eine Großstadt bietet immer einen Nährboden, klar. Aber ein Dorf bietet auch einen. Anhand der Texte von Arne ist es eher das Dorf, das uns prägt. Denn er verarbeitet in erster Linie das ruhige Landleben als den Großstadttrubel.

Wo du gerade Arne erwähnst: Mir ist auf dem neuen Album aufgefallen, dass die Riffs schon sehr im Zentrum stehen. Gerade an Stellen, an denen man geprägt durch normale Hörgewohnheiten den Refrain erwarten würde, erreicht der ULMe-Song oft in Sachen Härte seinen Zenit. Sind die Riffs auch beim Schreiben der Dreh- und Angelpunkt?

Lutz: Ja, meist kommt Arne schon mit einer Idee an, die aber auch schon recht ausgereift ist. Wir orientieren uns sehr an Riffs und das sind auch die Parts, die Arne meist zuerst einfallen. Es macht unseren Sound auch seit jeher aus, dass die Refrains eben nicht catchy sind, sondern eher harte Riffs ausgewalzt werden.

Hat sich diesbezüglich mit der neuen Bandkonstellation auch etwas geändert? Du, Lutz, bist ja gerade erst neu dabei und auch das jüngste Mitglied, zudem spielst du noch für Pendikel Schlagzeug. Merkst du da die gegenseitige Beeinflussung deiner Spielweisen?

Lutz: Ja, klar. Also generell kann man ja sagen, dass ULMe und Pendikel im gleichen Saft schmoren. Auch historisch gesehen: Beide Bands waren früher auf bluNoise, die sich dem Krach verschrieben haben. Pendikel geht mittlerweile auch in eine progressivere Richtung, gewisse Indiereferenzen will ich da auch nicht leugnen. Indie passt zu ULMe nun wieder gar nicht. Bei den Proben mit Pendikel muss ich mich jetzt immer ordentlich zusammenstauchen. Die Grundintention beider Bands ist allerdings gar nicht mal so verschieden. Viele Leute sagen mir, ich würde da eine Art Kompromiss eingehen, beziehungsweise in einem Zwiespalt stehen. Das stimmt aber nicht. Tief im Innern wollen beide Bands das Gleiche, nur mit ganz anderen Mitteln.

Wie war denn eure Sicht auf ULMe, bevor ihr in die Band eingestiegen seid?

Tim: Der lässt sich kaum beschreiben. Ich kannte ULMe schon Ewigkeiten und hatte auch mit den Sissies, meiner alten Band, öfters mit ihnen zusammen gespielt. Da schon war ULMe immer eine meiner Lieblingsbands aus Deutschland. Ich fand' die immer super. Hier im Café Bedford haben mich die Jungs damals gefragt, ob ich gerade was zu tun hätte. Ich hab mich gefreut wie ein kleines Kind...so blöd das jetzt auch klingt. (lacht)

Lutz: Ich kannte die Band vorher nicht so wirklich. Erst als wir 2006 gemeinsam auf Tour waren, hab ich sie kennengelernt. Am Anfang hatte ich den Zugang gar nicht, obwohl ich schon irgendwie beeindruckt war. Das war eine Macht, eine Wand, die dich live gern mal überrollt. Ich bin dann nicht sofort losgezogen, um alle Platten zu kaufen, die Band hatte aber meine Aufmerksamkeit. Dadurch, dass Tim und ich jetzt in der Band sind, denke ich schon, dass der ULMe-Sound sich wandelt und sich konsequent auch wandeln muss, weil Tim und ich völlig andere Charaktere und ganz andere Musiker sind als die alten Bassisten und Schlagzeuger der Band. Das Songwriting war aber schon immer hauptsächlich Arnes Ding. Unsere Aufgabe besteht mehr im Arrangieren und Feilen an den Songs. Manchmal kommt es auch vor, dass basierend auf unseren Grooves ein Song entsteht, wie "My Heart Stops Beating (When Yours Is Near)".

Womit wir die Überleitung zum neuen Album hätten. Bezieht sich der Titel der neuen Platte "Tropic Of Taurus" auf die Wendekreise der Erde oder auf die Bücher von Henry Miller?

Lutz: Auf die Wendekreise. Arnes Sternzeichen ist bezeichnenderweise auch Stier, mal so als Randnotiz. Aber so richtig recherchiert haben wir für den Titel jetzt nicht. Im Wesentlichen sollte da jeder hineininterpretieren können, was er gerne möchte.

Für mich klingt der Titel in erster Linie mächtig.

Lutz: Dann hat er seinen Zweck erfüllt. Das Sinnbild sollte einfach für sich stehen.

Vor dem Album habt ihr eine EP veröffentlicht, genauso wie vor dem letzten Album. Hat das einen bestimmten thematischen oder einen anderen Grund?

Tim: Bei der ersten EP "The Glowing" war ich noch ganz frisch bei ULMe. Das ging so nach dem Motto: "Gucken wir mal, wie es so läuft". Bei der letzten EP "The Sea In Me" war Lutz gerade neu eingestiegen. Das fällt mir gerade erst auf, aber es geschah eben aus demselben Grund. Es ist aber nicht bewusst passiert.

Lutz: Das soll jetzt auch nicht regelmäßig so ablaufen. Wie Tim halt schon sagte: Wir hatten bereits ein bisschen zusammen gespielt und hatten gleich enormen Output. Ins Studio gehen wollten wir aber noch nicht. Mit 'nem guten Freund von uns haben wir das Ding dann also kurzerhand in nem privaten Kino hier in Hamburg live aufgenommen. Es ging nur darum, diese drei Songs möglichst schnell auf Platte zu bringen und unseren rauen, garagigen Sound einzufangen. Das ist natürlich nicht mit dem zu vergleichen, was wir jetzt bei Kurt Ebelhäuser aufgenommen haben.

Wo du jetzt schon euren Produzenten Kurt Ebelhäuser angesprochen hast: Könnt ihr etwas über die Arbeit mit ihm sagen? Sein Einfluss auf die alternative Musikszene Deutschlands ist ja kaum noch zu übersehen.

Tim: Ich muss ja erstmal sagen, dass ich dieses Produzentendasein sehr fragwürdig finde. Bei vielen Bands ist es nämlich einfach so, dass der Produzent wirklich die Zügel in der Hand hält und ganz viel mitmischt. Viele Bands brauchen das auch und manche gehen auch zu Kurt, um sich den letzten Schliff abzuholen. Bei uns war das nicht so. Bis auf ein paar Anregungen hat er sich da rausgehalten.

Lutz: Dieses Eingreifen in die Songs ist Sache eines typischen Pop-Produzenten und genau das ist Kurt nicht. Wir wussten: der Mann ist ein Bruder im Geiste, der weiß, wie die Platte klingen soll. Die wenigen Tipps, die er hatte, haben wir aber dann auch beherzigt. Ich würde aber mal so weit gehen und sagen, dass die Songs nicht anders arrangiert wären, wenn wir woanders aufgenommen hätten. Den brachial guten Sound hätten wir ohne Kurt aber kaum hinbekommen.

Tim: Das war auch eine Herzensangelegenheit. Kurt und Arne kannten sich schon ewig und wollten schon immer mal zusammen arbeiten. Das hat man einfach gemerkt, es war eine super Zeit im Studio.

Wie lang haben die Aufnahmen gedauert?

Lutz: Zwei Wochen. Ursprünglich sollten es sogar nur zehn Tage werden. Ist ja auch eine Geldfrage. Aber das war im Nachhinein eine gute Entscheidung, denn so hatten wir richtig schön Zeit. Das war eher ein Urlaub. So kam letztlich auch "Orpheus" zu Stande, bei dem Kurt am Gesang beteiligt ist. Kurt hatte da so ein Riff und wir den Wunsch, dass er auch auf der Platte zu hören ist. Arne und Kurt haben sich einen halben Tag eingeschlossen und als Ergebnis stand der Song. Lustig ist nur, dass der fertige Song mit der Grundidee von Kurt fast gar nichts mehr zu tun hat - sehr spontane, aber fruchtbare Aktion. Was du auf der Platte nun hörst, ist auch mehr oder weniger ein First Take. Auch der Rest der Platte ist live eingespielt.

Mir ist aufgefallen, dass Arnes Stimme verglichen mit früheren Alben weiter in den Fokus gerückt ist. Würdet ihr dem zustimmen?

Lutz: Das ist eine ganz natürliche Entwicklung, mit Arne selbst hat das gar nicht so viel zu tun. Er hat sich jetzt nicht in den Vordergrund gedrängt.

Tim: Mir – als ULMe-Fan der ersten Stunde – ist aufgefallen, dass sich seine Gesangsstimme im Laufe der Jahre verändert hat. Ich will nicht sagen, dass er jetzt besser singt...aber er ist ein wenig vom Schreien weggekommen. Das macht er natürlich immer noch – Gott sei Dank. Aber dadurch, dass er öfter singt, rückt diese Facette automatisch in den Vordergrund.

Lutz: Bei der Produktion war uns aber schon wichtig – und das war auch die große Ansage an Kurt – den Gesang vielmehr in den Sound der Band einzubetten, als die Songs um ihn herum zu legen. Der Gesang ist das vierte Instrument. Tim hat schon Recht, dass Arne jetzt mehr singt, Songs wie "The Web" sind durchaus radiotauglich – wenn sie denn kürzer wären.

Kommen wir zur letzten Frage: liest man die Presse zur Band, dann stößt man unweigerlich auf zahlreiche Naturmetaphern. Ist das – besonders auch in Anbetracht des Plattentitels – in euren Augen berechtigt?

Lutz: Das ist einfach einhundert Prozent Arne und das passt. Ihm liegt viel an der Natur und aus ihr schöpft er auch einen großen Teil seiner Inspiration. Es kommt auch oft genug vor, dass du auf Tour neben ihm im Bus sitzt und Arne dir irgendwann auf die Schulter tippt und meint: "Wow, schau' dir mal den Sonnenuntergang zu dem Bergpanorama an." Es ist schon richtig, dass Natur bei uns eine große Rolle spielt.

Vielen Dank für das nette Interview!

Gordon Barnard

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