Interview

Sookee


"Das ist ja das Schreckliche am Menschsein, dass du dir selbst nicht entkommen kannst", meint Sookee. Was ihr überhaupt hilft, die Gedanken mal abzuschalten, bevor der Kopf explodiert, bei all dem In- und Output, das verrät sie im Interview. Außerdem lest ihr von problematischen patriarchalen Strukturen, die sie in ihrer eigenen Sozialisation erleben musste, welche Serien Sookee gerne schaut, was ihr peinlich ist und welche Bedeutung die Musik von Outkast für sie hat.

Sookee, die queerfeministische Rapperin aus Berlin, häkelt gerne. Zum Entspannen und während sie Serien schaut. Seit neuestem häkelt sie kleine, hübsche Seepferdchen, wie sie sie in "Queere Tiere" besingt. Eins davon hatte sie am Nachmittag vor dem Konzert am Jahnplatz in Bielefeld versteckt und davon ein Video auf Facebook gepostet. Die Person, die es gefunden hat, durfte es als Eintrittskarte zum Konzert nutzen. Solche netten Fanaktionen, viele witzige Ansagen zwischen den Songs und Jennifer Gegenläufer als sehr passender Support brachten gute Stimmung ins Forum.

Welche Serien hat Sookee denn zuletzt beim Häkeln angeschaut? "Ich warte gerade total sehnsüchtig auf die neuen Staffeln von 'How To Get Away With Murder', 'House Of Cards' und 'Orange Is The New Black', gleichzeitig gucke ich aber '13 Reasons Why' und auch 'The Killing'". Zur Zeit wird '13 Reasons Why' (im Deutschen 'Tote Mädchen Lügen Nicht') auf Grund der Art, wie der Selbstmord der Hauptdarstellerin in der Serie thematisiert wird, ziemlich kontrovers diskutiert. "Ich finde es total gut, dass dort Mobbing, Slutshaming und Bodyshaming zum Thema gemacht werden", meint Sookee. "Klar hat die Serie etwas Romantisierendes. Eigentlich sollte kein Gefühl von 'Ich will so sein wie die' entstehen, was natürlich schwierig ist, denn sie ist so eine tragische Figur und so schön und schlau. Selena Gomez produziert die Serie mit. Die hat sich auch mit einigen Darstellerinnen der Serie das Semikolon tätowieren lassen. Das Semikolon stellt etwas zwischen Leben und Tod dar. Die Initiatorin der Aktion war für viele die Sprecherin für Menschen mit Depression und Suizidgedanken und wurde für ihre Stärke bewundert. Nun hat sie sich aber tatsächlich vor kurzem selbst das Leben genommen. Darum kann ich verstehen, wenn die Serie und alles drumherum gerade sehr kritisch diskutiert wird."


Foto-Credit: Lukas Haese

Wann hat Sookee Zeit, sich über all das zu belesen, wenn sie so viele Serien anguckt, so musikalisch und politisch aktiv ist, ein Kind groß zieht und nebenbei noch ein Leben führt? "Ich bin konditioniert, voll schnell Zeug zu erfassen und alles mitzubekommen, was um mich herum passiert. Mein Level an In- und Output ist schon ziemlich groß. Vielleicht explodiere ich irgendwann einfach. Aber ich bin ja selbstständig, alle Dinge, die mich interessieren, kann ich in meine Arbeit mit einbinden." Da Sookee sich für Bücher interessiert, habe ich ihr zum Durchblättern "Good Night Stories For Rebel Girls" mitgebracht, ein Buch, in dem weibliche Personen, die die Welt verändert haben, dargestellt werden. Welche der Persönlichkeiten findet Sookee besonders beeindruckend? "Die beiden, die mir hier besonders aufgefallen sind, sind Yoko Ono und Rosa Parks. Yoko Ono, weil die Leute ständig vergessen, was sie alles geleistet hat und dass sie eine tolle Künstlerin ist. Sie wird immer nur angeklagt, angeblich die Beatles kaputt gemacht zu haben. Rosa Parks darum, weil ich über Outkast auf sie gekommen bin. Ein tolles Beispiel, wo politische und geschichtliche Referenzen in einen wahnsinnig tollen Song verpackt wurden und Leute wie die kleine Sookee darüber Rosa Parks kennengelernt haben." Auch mit Sookees Songs geht es manchen Leuten ähnlich. "Das macht mich richtig demütig", meint Sookee. Wenn sie rückgemeldet bekommt, dass ihre Songs etwas in anderen bewegt haben, findet sie es nicht gerade einfach, damit umzugehen, auch wenn sie glücklich darüber ist.

Sookee hat viel Wichtiges zu sagen, spricht ständig mit Menschen, hält Vorträge, gibt manchmal vier Interviews an einem Tag. Wünscht sie sich da nicht manchmal einfach, nichts sagen zu müssen? "Ich hab tatsächlich immer mal auch ein großes Bedürfnis nach Ruhe. Ich bin halt Vielrednerin und es gibt auch Momente, wo mir meine Stimme voll auf den Keks geht. Das ist ja das Schreckliche am Menschsein, dass du dir selbst nicht entkommen kannst. Du bleibst immer da. Andere kannst du kacke finden, raus schmeißen, dich trennen. Aber mit dir selbst musst du immer klar kommen. Ich finde das philosophisch voll das Problem! Deswegen finde ich Schlafen total gut. Denn dann hast du mal deine Ruhe. Außerdem finde ich einfach mal die Fresse halten total gut. Das Problem ist, dass es dann meistens Leute abbekommen, denen ich total nah bin. Wenn meine Mutter anruft und ich dann nichts mehr sagen kann, dann tut das mir auch total leid."

Wenn man über Sookee liest, kommt es so rüber, als hätte sie eine ziemlich gute Sozialisation genossen, in einem linkspolitischen Elternhaus, umgeben von coolen Personen. Stimmt das? "Meine Mutter ist großartig! Sie hat aber leider in den Mühlen der patriarchalen Reproduktionszuweisung gesteckt. Sie hat kein eigenes Leben geführt, bis wir aus dem Haus waren. Meine beiden Väter sind nicht so die Glanznummern gewesen, um ehrlich zu sein. Ich habe ziemlich deutlich innerhäusliches Patriarchat miterlebt. Ich hatte keine guten männlichen Identifikationsfiguren. Auch zu sehen, dass meine Mutter sich dem so unterworfen hat, war schwierig auszuhalten. Aber sie ist eine großartige Frau und ich liebe sie und bin sehr stolz auf sie. Sie unterstützt mich bei allem total." Gab es denn außerhalb von ihrem Elternhaus Personen, die Sookee positiv beeinflusst haben? "Als Kind war ich totale Einzelgängerin und als Jugendliche war ich dann echt von ziemlich vielen Idioten umgeben, das war kein toller Freundeskreis. Das kommt zum Beispiel im Song "Die Freundin Von" durch. Und dann gab es aber Einzelpersonen, wie Marius, meinen Drummer. Mit dem bin ich befreundet, seit ich siebzehn bin. Er hat tolle Eltern! Die haben ihm genau die richtigen Sachen beigebracht. Er ist respektvoll, erzählt nie Scheiße. Ich bin so froh, dass er dabei ist. Wir sind auf Tour acht Leute im Bus und er ist die eine Cis-männliche Person darunter, aber alle sind fein mit ihm. Er ist nicht geschlechtertheoretisch gebildet, aber er macht intuitiv genau das Richtige. Er ist einfach ein korrekter Mensch."


Foto-Credit: Lukas Haese

Auch in "Who Cares?" spielen Sookees Sozialisation und die Rolle ihrer Mutter eine große Rolle. Wie kam es da eigentlich zur Zusammenarbeit mit Charlotte Brandi von Me And My Drummer? "Wir haben den gleichen Freundeskreis. Was Me And My Drummer machen, ist mir manchmal musikalisch zu ill. Bis die mal ein Album aufnehmen – da kommt dann hier noch ein Glöckchen und hier noch Cemballo und so weiter. Dafür bin ich nicht musikalisch genug. Aber ich peile natürlich, wie viel Liebe da drin steckt! Charlotte hat mir irgendwann mal im Suff gesagt: 'Ok, Sookee, wenn du mal ein Feature brauchst, dann sag Bescheid!' Darum musste ich das Angebot unbedingt annehmen. Das Sample im Song ist übrigens aus dem Dschungelbuch-Film, von der Szene, in der das Mädchen von ihrer reproduktiven Rolle erzählt und Mogli zu den Menschen lockt. Das ist ziemlich krass!"

In Anlehnung an die aktuelle Ausstellung "100 Gründe rot zu werden" in Dresden, in der es um Scham geht, frage ich Sookee, wofür sie sich zuletzt geschämt hat. "Oh, ich kenne das Fachwort für die Angst vorm Erröten. Das ist 'Erythrophobie'. Habe ich aus so einem Wissensspiel gelernt. Wofür ich mich schäme: Wenn ich Leute übergehe, Sachen nicht peile, jemandem Unrecht tue und es mir dann noch rückgemeldet wird – das finde ich mega peinlich." Es macht den Eindruck, dass Sookee sich sehr gut selbst reflektieren kann. "Aber das nervt ja auch voll. Dieser Skill geht ja auch anderen Leuten auf den Keks. Darum scheitern auch Therapien bei mir immer. Weil ich meinen Kopf nicht ausgeschaltet bekomme. Ich bin halt voll der Kopfidiot, mir fehlt der ganzheitliche Aspekt. Die Momente, in denen ich es schaffe, das Leid der Welt einfach mal nicht an mich ran zu lassen, sind selten."

Von Smile And Burn gibt es aus dem letzten Interview ein paar eher fiese Fragen an Sookee. Die erste lautet: "Wenn ihr eine Person aus der Band rausschmeißen müsstet – Wen und warum? (Leben + Tod)". Sookee muss nicht lange überlegen: "Mich selber, damit ich die Entscheidung nicht treffen muss!". Die nächste Frage: "Wie würde ein gemeinsames Kind aus Drummer und Bassist heißen? – Jochen zählt nicht.". Da Sookee keinen Bassisten in der Band hat, müssen DJ und Drummer her halten. "Bernhard?!", überlegt Sookee. In dem Moment geht die Tür auf und Sookees DJ kommt rein. "Lass uns Bernhard*ine nehmen! Dann kann das Kind selbst entscheiden", überlegen sie sich gemeinsam. Für die letzte Frage von Smile And Burn soll Sookee sagen, welche Band sie am meisten hasst. Sookee grinst und antwortet: "Oooh, ich finde Cro sehr scheiße!!"

Sookee schreibt auch wieder drei Fragen für die nächste Band auf und beantwortet diese auch gleich selbst: "Was ist schöner: Einschlafen oder Aufwachen?" – "Einschlafen! Denn ich liebe diesen Moment, wenn einfach langsam alles ausfadet und dann kommt Ruhe. Du bekommst den Moment nicht zu fassen zwischen Bewusstsein und Nichtbewusstsein und die Reflexion setzt aus." "Welche Superkraft hättest du gern?", ist Sookees nächste Frage. "Zwei Dinge hätte ich gern", meint Sookee. "Zum einen Unabfuckbarkeit und zum anderen Menschen heilen können. Ein leichter Größenwahn, aber das wäre toll!". Die finale Frage lautet: "Wieso? Weshalb? Warum?" – "Weil." antwortet Sookee. Mehr gibt es ausnahmsweise mal nicht zu sagen.

Das Interview wurde zusammen mit Albrun Seiert geführt.

Marlena Julia Dorniak

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