Interview

Oceansize


Als ihr Debüt “Effloresce” 2003 auf die Musikwelt prallte, fühlte es sich an wie eine Abrissbirne, die auf einen Wolkenkratzer donnert. Und das nicht irgendwo, sondern auf dessen Fundament: Urplötzlich stand da eine junge, virtuose Band mit einem Koloss von Album, das alteingessesene Greisen des Progs nicht nur noch älter aussehen ließ, sondern ihnen mal eben den Sarg zurecht tischlerte. Sieben Jahre später sind Oceansize immer noch dabei. Konserviert in ihrer eigenen Luftblase, während um sie herum Leichen des Musikbusiness an die Wasseroberfläche treiben. Dieses Gefühl, verrät uns Sänger Mike Vennart, beschreibt “Self-Preserved While The Bodies Float Up”, das neue Album der Band. Im Interview erhellt uns der Bandkopf außerdem über griesgrämige Fans, Drogenexperimente und den lustigsten Song, den Oceansize je aufgenommen haben.

Zunächst mal ein paar Fragen zum neuen Album. Wenn Menschen über Musik reden, dann sehen sie das neue Album meist als Reaktion auf seinen Vorgänger. Mit eurer neuen Platte “Self-Preserved While The Bodies Float Up” will das aber nicht wirklich funktionieren. Weder fühlt sie sich an wie eine Reaktion auf “Frames” noch wie eine auf die Vorgänger-EP “Home & Minor”. Wie war es beim neuen Album? Hattet ihr euch ein Ziel gesetzt oder ist die Platte einfach so passiert?

Mike Vennart: Letzteres. Es gibt bei uns praktisch nie Diskussionen darüber, wo wir hinwollen oder wie wir klingen könnten. Wenn wir diskutieren, dann meist über Fehler, die wir in der Vergangenheit gemacht haben oder etwas, was uns am letzten Album nicht gefiel. Bei uns gibt es höchstens Konsens darüber, was wir nicht machen wollen. Aber “Home & Minor” war seicht und leichtfüßig, da hat es uns anscheinend zu lärmenden und heftigen Songs des neuen Albums gebracht. Gleichzeitig wussten wir aber, dass wir keine Metal-Riffs oder ähnlich billigen Scheiß auf der Platte wollten. Wir haben diesbezüglich also immer nach dem Ausschlussverfahren gehandelt.

Ich finde, man konnte euch noch nie wirklich auf ein Genre festnageln, obwohl viele gern Kategorisierungen wie “Neu-Prog” bemühen. Das neue Album verstärkt diesen Eindruck, weil es so kaum zu erwarten war. Passt ihr besonders darauf auf, euch nicht zu wiederholen, weil ihr nicht “festgenagelt” werden wollt?

Mike: In der Hinsicht sind wir in der Tat vorsichtig. Wie jede andere Band wollen wir nicht in gewisse Fallen treten. In erster Linie möchtest du es doch für dich selbst interessant halten und – das klingt jetzt irgendwie billig – den Rest der Band beeindrucken, damit es zwischen dir und deinen Bandkollegen knistert. Weisst du, viele Leute haben das neue Album sehr positiv aufgenommen. Manche nicht, weil sie von uns immer wieder dieselbe Platte erwarten. Aber wir sind total unfähig dazu, dieselbe Platte zweimal zu machen. Selbst wenn wir es wollten, könnten wir es nicht, weil es immer einen Teil in uns geben wird, der das nicht zulässt. Andererseits ist es ja nicht so, dass wir beim Schreiben wirklich darüber nachdenken würden, dass es sich irgendein Mensch überhaupt anhören wird.

Du hast ja gerade von der positiven Rezeption des neuen Albums gesprochen. Kannst du dir vorstellen, dass die neue Paltte für Menschen, die euch schon lange verfolgen, schwieriger aufzunehmen ist als für diejenigen, die jetzt erst einsteigen?

Mike: Wir haben bei jeder einzelnen unserer Platten das Problem, dass die Leute den Vorgänger besser finden. Das Lustige daran ist: Als dieser jeweilige Vorgänger erschien, mochten genau diese Leute den zunächst auch nicht. Unsere Fans sind quasi immer ein Jahr hinter uns (lacht). Sie finden alles, was wir rausbringen, erstmal scheiße. Ein Jahr später feiern sie es ab. Aber auch das ist halb so wild. Wobei ich noch nicht eine schlechte Kritik über “Self-Preserved” gelesen habe. Die Resonanz ist dieses Mal wesentlich breiter, die BBC und auch viele andere Mainstream-Medien haben uns erwähnt. Eigentlich ist das auch egal – mal abgesehen davon, dass es die Band am Leben erhält. Unsere Musik verändern wird es aber nie. Wir haben auch schon mal versucht, uns zu verändern, aber das klappt nicht.

Moment: Ihr habt wirklich versucht, anders zu klingen?

Mike: Da war mal der Versuch, Songs mit dem Gedanken im Hinterkopf zu schreiben, dass die Menschen sie mögen müssten. Das klang kalkuliert und verfälscht. Deswegen landeten diese Ideen auch gleich wieder in der Tonne.

Wie läuft das denn bei euch ab? Ihr betont oft, wie viele Einflüsse ihr unter einen Hut bringt. Jamt ihr also einfach drauflos?

Mike: In der Regel schon. “Frames” war in dieser Hinsicht das Maximum, es bestand fast nur aus Jams. “Home & Minor” war hier schon reduzierter, das neue Album geht sogar noch einen Schritt weiter. So bedacht haben wir noch nie Songs geschrieben. Wir haben das Jam-Ding auch auf dieser Platte versucht. Aber irgendwie war es langweilig. Und da hatten wir kurz die Angst, uns zu wiederholen. Aus dieser Situation heraus entstanden ganz frische und für uns unkonventionelle Ideen wie “A Penny's Weight” oder “Part Cardiac”. Letzterer wurde sogar fast ausschließlich im Studio zusammengesetzt. Bei diesem Song ging das extrem schnell und mit dem Ergebnis sind wir sehr zufrieden.

In einem Interview hast du von einem Track der neuen Platte gesprochen, der “das Heftigste ist, das wir je aufgenommen haben”. Damit meinst du “Part Cardiac”?

Mike: Ja. Denn dieser Song ist einfach lustig, schon fast kitschig. Ich empfinde das bei der meisten harten Musik: Sie ist einfach zum Lachen. Und “Part Cardiac” ist einfach der kriechendste, schleppendste – ja – lachhafteste Song, den wir überhaupt aufnehmen konnten.

Darf man es als Statement betrachten, dass ausgerechnet dieser Track die Platte eröffnet?

Mike: Die Idee hatte Gambler (Gitarrist der Band, Anm. d. Verf.). Ich hatte den Song schon geschrieben und wir waren zusammen auf einem Gig von Part Chimp (Londoner Noise/Sludge-Band, Anm.d.Verf.). Und es war laut, intensiv, mächtig – einfach fantastisch. Da haben wir uns entschieden, die Platte genauso beginnen zu lassen. Gambler hat sich ohnehin die ganze Songabfolge ausgedacht.

Kommen wir mal zu deinen Songtexten: Du meintest einmal, du denkst sehr intensiv über deine Lyrics nach. Ohne jetzt zu sehr ins Detail oder auf konkrete Themen einzugehen: Hat die neue Art und Weise, die Songs von “Self-Preserved” zu schreiben, Einfluss auf deine Texte genommen?

Mike: Nein, nicht wirklich....(überlegt). Diesmal habe ich mich mehr mit düsteren Themen zurückgehalten. Die Texte von “Frames” sind in einer Zeit entstanden, in der es uns beschissen ging. Irgendwie schien alles um uns herum zusammenzubrechen: Jon Ellis, unser erster Bassist, hatte die Band verlassen und hinzu kamen auch noch persönliche Probleme. Das hat alles sehr weh getan und sich auf “Frames” niedergeschlagen. Auch musikalisch findest du auf der Platte wesentlich mehr Molltonarten. Jetzt hingegen geht es uns super. Und das erkennen wir inzwischen. Zwölf Jahre lang, also seit Bestehen der Band, gab es immer wieder Momente, in denen es mit der Band hätte zu Ende gehen können. Jetzt sind wir an einem Punkt, an dem wir uns auf das, was wirklich wichtig ist, besonnen haben. Und damit machen wir jetzt auch weiter. Wir sind glücklich, so wie es ist und machen uns keine Gedanken mehr darüber, wie wir in die Charts kommen oder die dicke Kohle hiermit verdienen.

In dieser sicheren Position seid ihr nicht zuletzt wegen des Studios, das ihr euch inzwischen selbst gebaut habt. Wenn ihr euch jetzt abschottet, besteht da nicht die Gefahr, dass ihr irgendwann nur noch vollkommen verworrenen, kranken Scheiß aufnehmt?

Mike: Also “Frames” fühlt sich für mich schon sehr nach “krankem Scheiß” an. Weitaus mehr als das die neue Platte tut. Deswegen verstehe ich auch, dass es viele damals nicht mochten. Der Punkt ist, dass wir nach zwölf Jahren an einem Punkt sind, an dem Leute wieder neugierig auf uns werden, einfach, weil wir noch da sind. Viele fragen sich: “Wie kann es denn sein, dass die immer noch im Business sind?”. Der Grund ist eigentlich ziemlich simpel: Wir kommen mit dem, was uns am meisten Spaß macht, über die Runden. Das ist auch die Bedeutung des Albumtitels: Wir erhalten unseren kleinen Traum, während die meisten unserer befreundeten Bands sich inzwischen aufgelöst haben, weil sie es auf Biegen und Brechen versucht haben und sie genau das irgendwann angekotzt hat. Und wir, wir hatten Glück. Ich sehe das wirklich nicht als selbstverständlich. Mir kann auch niemand garantieren, dass es uns noch weitere zwölf Jahre geben wird. Bis dahin kann einem von uns die Puste ausgehen. Aber das wäre dann okay. Das gehört zum Altern dazu. Das Leben, das wir als Musiker haben, ist einfach eigenartig.

Ist es da manchmal notwendig, euch mit Nebenprojekten von Oceansize abzulenken?

Mike: Das ist wichtig, ja. Ich war auf der letzten Tour von Biffy Clyro deren zweiter Gitarrist, und auf der nächsten Tour bin ich auch dabei. Nicht falsch verstehen: Oceansize macht uns allen einen Heidenspaß, allein schon das Denken an die Band macht mich glücklich. Das Problem ist, dass du in diesem Denken irgendwann einrastest. Naja, und dann – das klingt jetzt sowas von dämlich – musste ich einfach mal weg, weil ich während der Aufnahmen zum neuen Album an nichts anderes als dieses Album mehr gedacht habe. Da musste ich mal ein paar Wochen raus, um nicht in der Klapse zu landen. Ich habe das Sal (Balamir, Sänger und Gitarrist der mit der Band eng befreundeten Amplifier, Anm.d.Verf.) erzählt und er wusste sofort, was ich meine. Das Ganze hat funktioniert: Während meiner halbjährigen Tour mit Biffy Clyro habe ich so gut wie nie an Oceansize gedacht. Denn die Platte war aufgenommen, aber es dauerte noch etwas, bis sie dann erscheinen würde. Mir hat diese Ablenkung enorm gut getan. Und jeder hat so seine eigene Art der Ablenkung: Steve und Mark haben Kong (eine ziemlich brachiale und schräge Noise-Rock-Band, Anm.d.Verf.) und Gambler hat schon sein Soloalbum “Consolamentum” veröffentlicht. Alle diese Dinge sind für die Band sehr gesund. Ich hätte auch gern noch ein eigenes Nebenprojekt, aber mir fehlt als so eine Art “Bandleader” einfach die Zeit.

Manchmal werdet ihr ziemlich missverstanden, zum Beispiel, als ihr “Home & Minor” als “Slayer-Coveralbum” angekündigt habt und die Leute euch das tatsächlich geglaubt haben...

Mike: Das war auch wieder Gambler. Der Grund dafür sind diese ganzen hochseriösen Blogs von Bands, die sich selbst so todernst nehmen. Das ist doch affig. Wir nehmen die Musik auch ernst und arbeiten auch hart daran, aber wir fangen nicht an, von uns in der dritten Person zu reden oder sowas. Wir schreiben in Blogs und bei Myspace einfach so, wie wir auch reden. Das ist viel interessanter als dieser hochgestochene arrogante Scheiß.

Ihr versucht also nicht absichtlich, missverstanden zu werden?

Mike: Das würde doch niemand versuchen, oder? Ich denke nur, wir machen es den Leuten manchmal etwas schwerer, uns zu verstehen.

Aber kann darin nicht auch der Reiz liegen? Einfach ein paar Dinge im Dunkeln zu lassen? Du redest ja auch fast gar nicht über deine Songtexte.

Mike: Kann schon sein, dass uns das unterbewusst reizt. Die Sache mit den Songtexten ist die: Wenn ich mich jetzt hier hinsetze und dir erkläre, wovon jeder einzelne Song handelt, dann ist das nicht nur todlangweilig, sondern ich würde mir wie ein anmaßendes, selbstgefälliges Arschloch vorkommen. Vor allem macht es jegliche Interpretation zunichte und zerstört das Gefühl, das du mit ihm verbindest. Du hörst den Song danach vielleicht nie wieder so wie früher. Ist doch besser, wenn du deine eigenen Ideen hast. Meine Texte sind mein eigener, kleiner Irrgarten (lacht).

Kommen wir zur letzten Frage: Angeblich wart ihr bei großen Teilen der Aufnahmen zu “Effloresce” auf halluzinogenen Pilzen? Stimmt das?

Mike: Oh ja...beim Schreiben der Platte waren wir ziemlich drauf. Das war praktisch unsere erste Bandprobe. Wir haben uns mit ein paar Bieren hingesetzt, uns besoffen und dann kam irgendwer mit diesen Pilzen an. Wir haben einige Songs an dem Abend geschrieben. “Amputee” und “Saturday Morning Breakfast Show”, glaube ich. Und noch andere. Aber das war damals. Wir waren ja noch jung (grinst).

Kannst du dich erinnern, wie sich das angefühlt hat?

Mike: Nein, nicht so richtig. Also wir hätten ohne die Pilze sicherlich nicht genauso geklungen. Ich weiß nicht, es ist schwer zu sagen. Jetzt bin ich wesentlich ruhiger als früher, deswegen kann ich mich in mein damaliges Ich schwer hinein versetzen. Eine Menge merkwürdiger Faktoren waren damals mit im Spiel, als es mit der Band losging. Die haben mich zu einer sehr bitteren, nachtragenden Person gemacht. Aber so fühle ich nicht mehr. Wie es mit der Musik war, weiß ich echt nicht mehr. Was sich verändert hat, ist, dass wir uns wesentlich weniger auf unsere ganz offensichtlichen Einflüsse verlassen und stattdessen unsere eigene Stimme finden. Denn wenn etwas ähnlich klingt wie etwas, das bereits da war, dann wird man sich in Zukunft nicht daran erinnern.

Vielen Dank für das Interview!

Photo by Martin Cohen.

Gordon Barnard

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Rezension zu "Self Preserved While The Bodies Float Up" (2010)
Rezension zu "Frames" (2007)

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