Interview

Monochrome


Mindestens 99% der Musiker würden ihren Job wohl sofort an den Nagel hängen, wenn sie von der Musik leben könnten. Monochrome gehören nicht dazu. Trotzdem sehen sie sich nicht als die großen Verweigerer, als die sie immer hingestellt werden. Warum bei Monochrome alles so ist, wie es ist, erklärte uns der Sänger der Band, Marc Calmbach.

Hallo Marc. Reden wir über euer neues Album "Caché". Was erwartet den Hörer darauf?

Marc Calmbach: Ich denke, wenn man mit der Musik der Band vertraut ist, ist es nicht so, dass man vom Stuhl fällt und denkt: "Das ist ja was total anderes". Aber die Attribute, die von den Leuten, die's gehört haben, genannt werden, gehen in die Richtung, dass es aufs erste Hören ruhiger wirkt, dass man aber nach mehrmaligem Hören feststellt, dass es ja doch nicht so eingängig ist wie anfangs gedacht. Ich denke, es ist weder ein Riesenschritt nach hinten noch nach vorne, es ist eher ein Schritt nach links oder nach rechts oder in 'ne unbestimmte Richtung.

Ich denke schon, dass man es als melodischer und - wenn man so will - poppiger beschreiben kann.

Marc: Der Begriff Pop ist zum einen völlig aussagelos, finde ich und...

Oder sagen wir harmonischer, beziehungsweise dass es einfach weniger lärmende Stellen gibt.

Marc: Es gibt immer noch Momente, in denen gebrochen wird. Pop ist ein Stilmittel für uns als Hardcoreband... (überlegt) Hardcore würde ich für uns nach wie vor als Sinndach ansehen, nicht als ästhetisches Dach, in dem wir uns aufhalten, aber schon als Sinndach. Und deswegen denke ich, dass wir vielleicht gar nicht in der Lage sind, den total typischen Popsong zu schreiben, sondern alles bleibt irgendwie immer verhaftet von unserer Vergangenheit in diesem Punk- und Hardcore-Kontext.

Der Pressetext widmet sich fast ausschließlich dem Begriff "Caché" als etwas "dahinterliegendes" und als "Zwischenspeicher". Wenn wir jetzt schon von Sinndächern reden... Ist das etwas, was ihr euch so ausgedacht habt oder ist das auf den Verfasser des Textes zurückzuführen?

Marc: Roger Behrens ist bekanntermaßen ein Popwissenschaftler und Philosoph, der sich sehr viel mit kritischer Theorie und Popkultur auseinandersetzt. Ich fand das ganz interessant, weil er mal über die Platte Laser "A View From The Exterior" in 'nem Nebensatz geschrieben hat, dass das unser Blick von außen auf Pop war. Und bei Éclat hat er gemeint, dass Pop genauso zerbersten oder zerplatzen bedeutet wie Éclat auch und dass es dann aber trotzdem wieder bis zu einem gewissen Maße 'ne Verweigerung gegenüber Pop ist. Und diesmal hab ich dann einfach gemeint: "Hey, mach mal was zu Caché, zu Versteck". Das Schöne ist zum einen, dass, wenn du's in Großbuchstaben schreibst, es der CACHE ist, also der Speicher, und zum anderen ist Caché das Versteckte, und es gibt darauf viele Kleinigkeiten, die in diese Richtung gehen. Zum Beispiel, wenn wir singen "9 million rainy days repeating endlessly", dann ist das, weil ich einen Jesus-and-Mary-Chain-Song gehört hab, der "9 Million Rainy Days" heißt. Man kann also denken, dass es die Single ist, die du dir immer wieder anhörst - was bei mir in dem Moment so war - oder man kann es eben auch konkreter verstehen. Das sind so diese Spuren, die wir aufnehmen, sowohl von der Instrumentierung her, dass wir uns Sachen rausgreifen und abändern, oder auch textlich. Bei Simon & Garfunkel zum Beispiel heißt es "50 Ways To Leave Your Lover" und wir schreiben einfach "50 Ways To Love Your Leaver". Das ist so eine Art Steinbruch, von dem wir uns hemmungslos bedienen.

Ganz ähnlich haben das The Notwist vor kurzem in der Intro gesagt: Sie tun nichts anderes als sich bei allen möglichen Bands zu bedienen und auf der anderen Seite kommen dann wieder Bands, die sagen, sie bedienen sich bei Notwist.

Marc: Bei uns ist das ganz komisch. Es sagen viele, "was sind denn eure Einflüsse, man hört sie irgendwie so, aber trotzdem erkennt man euch klar als Monochrome". Ich würde auf keinen Fall behaupten, dass wir keine Einflüsse hätten, ganz im Gegenteil. Nur machen wir das schon ziemlich lange, und ich denke, dass die Einflüsse einfach immer mehr verschwinden. Und es war bei uns damals natürlich auch 'ne ganz andere musikalische Sozialisation. Das, was wir gehört haben, ist wahrscheinlich dem, was Notwist gehört haben, sehr ähnlich und das bleibt irgendwie immer hängen. Aber es ist einfach so, dass das aus diesem kurzlebigen Popgedächtnis verschwindet, so dass Leute, die etwas jünger sind, und dann darüber schreiben, einfach nicht mehr wissen, worauf wir uns eigentlich beziehen. Von dem her sag ich immer, es ist nicht so, dass wir keine Referenzen hätten, es ist nur so, dass das immer mehr verdeckt stattfindet.

Ist nicht gerade auch das die Kunst? Dass man eben alles aufsaugt und es dann mit 'nem starken eigenen Charakter wiedergibt?

Marc: Es gibt Bands, die machen das noch viel offensichtlicher, benutzen das viel stärker als Stilmittel. Ich glaube, Popkultur ist immer eine Art Zitationsmaschine im Leerlauf. Du greifst Dinge auf, die letztendlich alle schon da waren. Ich glaube auch nicht, dass Notwist eine avantgardistische Band in dem Sinne sind. Notwist wollen das wahrscheinlich auch gar nicht sein und legen das ganz ehrlich offen - wie wir auch - und sagen letztendlich, wir gucken halt was da ist und - das ist wie ne Bricolage - setzen es dann einfach wieder zusammen. Ähm... (überlegt) was war die Frage? Ich bin jetzt irgendwie abgedriftet.

Ich hab keine Ahnung.

Marc: Es ist nicht so, dass wir denken, es muss jetzt total freaky sein. Der ganz schlimme Begriff Crossover trifft ja auf uns nicht zu. Zum Beispiel das, was Primus und andere gemacht haben - dieses Zusammenführen von Jazz und Rock und Punk - , das findet bei uns und bei Notwist und solchen Bands viel, viel subtiler und viel mehr im Verborgenen und viel unauffälliger statt.

Ich finde, das ist auch der Unterschied zu dem, was man für gewöhnlich mit dem negativ belegten Wort Pop bezeichnet. Caché ist zwar auf der einen Seite sehr eingängig - und das soll es auch sein - , aber doch passiert im Hintergrund unglaublich viel.

Marc: Ich kann dir sagen, dass dieser Begriff Pop oder, wenn wir eine andere Färbung von Pop nehmen und von Indie sprechen... Dann kann ich dir sagen, dass es ein Indiepublikum gibt und es gibt ein Indiepublikum. Beispielsweise sind wir mal für die Kooks für zwei Termine bei irgendeiner komischen Tour eingesprungen, als die für eine Woche die hipste Band der Welt waren - da sind die in den UK-Charts auf eins gegangen und mussten Promotermine wahrnehmen - , und die Leute haben uns natürlich ausgepfiffen. Die haben das überhaupt nicht verstanden. A) wollten die natürlich die Jungs mit den Locken und den Streifenpullis sehen und B) konnten die einfach nichts mit uns anfangen. Und ich denke mal, dass diese strukturelle Verweigerung gegenüber dem, was wir nicht gut finden oder dem... Sagen wir so: Es gibt zum Beispiel Läden, da wollen wir nicht spielen und da ist auch gleichzeitig das Publikum, das uns nicht hören will. Das gibt es einfach noch. Es gibt Indie als Gattung, als Fach in nem WOM oder Mediamarkt, und es gibt Indie - immer noch - als gewisse Haltung gegenüber Musik, gegenüber Läden und gewissen Strukturen, in denen man sich bewegt. Und ich gehe mal davon aus, dass es immer noch Leute gibt, die 'ne starke Offenheit an den Tag legen und die eben zum Beispiel Läden besuchen, die von einem gewissen Vibe an Weirdness geprägt sind und das ist auch, wo wir uns wohlfühlen.

Du hattest vorhin schon einmal Hardcore als eure Herkunft - in dem speziellen Falle als Sinndach - erwähnt. Was bedeutet das für euch?

Marc: Hardcore war zunächst mal vor 20 oder 15 Jahren für uns alle wichtiger als heute. Damals war das ein sehr starker Identitätsanker, ganz einfach deswegen, weil wir Kids oder Jugendliche waren. Und Hardcore war zu der Zeit natürlich auch viel, viel mehr eine Randerscheinung. Diese Dichotomie von Mainstream und Underground ist heute dagegen gar nicht mehr haltbar. Deswegen hatte das natürlich auch einen anderen Stellenwert, ohne das jetzt romantisch verklären zu wollen. Aber das ist schon etwas, was ganz stark in uns hängen geblieben ist. Und nicht nur im musikalischen Sinne oder wie wir die Band fahren, sondern auch im persönlichen Leben. Es hat einfach 'ne hohe Sozialisationsqualität und wir haben das sehr verinnerlicht. Beispielsweise auch, dass wir nicht auf Booker angewiesen sind und dass wir mit einer einzigen E-Mail noch Konzerte buchen können. Das sind so diese Nachwehen von dem Hardcoreding, wovon wir auch heute immer noch zehren - auch von der ganzen Vernetzung der Szene. Es gibt da Leute, die haben vor 12, 13, 14 Jahren Konzerte mit uns gemacht und die machen das noch immer, und wir sehen einfach keinen Grund, damit zu brechen. Natürlich bekommen wir in bestimmten Städten von größeren, hipperen Läden auch Anfragen. Aber wir sagen: "Warum sollen wir in Dresden im Lokal XY spielen, wenn wir im AZ Conni jedes Mal mit 250 Leuten das Ding ausverkaufen seit fast 15 Jahren?" Es gibt keinen Grund, damit zu brechen. Es ist billig, die Leute sind cool. Da sind wir schon fast konservativ in der Richtung.

Kann man daraus zum Beispiel auch den Grund ableiten, weswegen ihr so wenig Konzerte spielt? Eben weil ihr sagt, ihr wollt euch durch eure Jobs auch soviel Freiheit erarbeiten, dass ihr nichts von diesem Gedankengut aufgeben müsst?

Marc: Erstmal sind wir tatsächlich 'ne Hobbyband. Der Grund ist aber eher, dass bei uns eine ganz breite Interessenlage vorhanden ist. Dass Musik eben eine wunderschöne Sache ist, aber die vor allem als eine Art - das klingt dann gleich immer so esoterisch - Ausgleich dient. Ich denke aber auch, dass wir in anderen Bereichen unsere Sache so gut machen, dass uns das genauso viel gibt und dass wir das auch unbedingt weitermachen wollen... bei mir mit so wissenschaftlichen Dingen, beim Gitarristen, der jetzt ein Tonstudio gebaut hat. Gerade dadurch, dass wir so verstreut wohnen, ist die Musik auch ein Grund, sich immer mal wieder zu treffen. Um hier nochmal fünf Euro ins Phrasenschwein zu werfen: Es ist für uns mehr als die Summe der einzelnen Teile. Das ist auch fast schon so altherrenmäßig. Wir sagen, lasst uns mal wieder treffen und ein bisschen proben, und dann machen wir mal wieder eine Platte.

Es ist also auch wirklich so, dass ihr die Musik nicht zu eurem hauptsächlichen Lebensinhalt machen wollt. Wenn man zum Beispiel jetzt schon vor Albumrelease auf eurer Webseite die Ankündigung für eine Hand voll Konzerte sieht und dann steht sofort etwas in der Richtung wie "dieses Jahr werdet ihr uns nicht besonders häufig sehen" daneben, dann ist das zumindest ungewöhnlich.

Marc: Naja, auf der einen Seite sind wir natürlich in ein beschissenes System eingebunden. Es gibt halt 30 Tage Urlaub oder noch weniger und davon müssen wir die Platte aufnehmen, uns zu den Proben treffen und dann bleibt da gar nicht mehr viel übrig. Das sind so Dinge, die mit Mitte 30 eine Rolle spielen, die kann man nicht einfach wegargumentieren. Wir nutzen dann ja immerhin noch zwei Wochen im Jahr, um Konzerte zu spielen. Aber man muss auch sagen, dass der Erlebniswert für uns im Ausland einfach höher ist. Wenn wir am Meer sind oder in Paris, Barcelona, Madrid, dann spielen da einfach auch so Touridinge mit rein. Zu dieser Verweigerungssache nochmal: Wir legen keinen Wert darauf, dass Leute schreiben, dass wir die totalen Verweigerer gegenüber allem sind und dass wir ganz unbeeindruckt unser Ding machen. Das ist von uns keine bewusste Haltung. Das ist wie, wenn du bei mir den Kühlschrank aufmachst und du keine Fleischprodukte findest. Das ist für uns normal. Darüber wird auch gar nicht groß gesprochen, das ist einfach so. Es gibt ja so viele Musiker, die dann sagen, dass man nach Berlin ziehen muss. Oder die Amibands geben alle ihre Jobs auf und gehen erstmal ein Jahr auf Tour und die sagen dann, ihr müsst euch einfach mehr darum kümmern. Ich hab in meinem Leben noch nie irgendwo angerufen und gefragt: "Dürfen wir auf eurem Festival spielen?". Wir haben noch nie auf dem Haldern gespielt, nie auf dem Melt!, auch nie auf'm Immergut, nie auf dem Southside...

Das ist schon heftig, wenn man sich anschaut, was die sonst so buchen. Da wundert man sich eher, wieso die nie auf euch zugekommen sind.

Marc: Wir wurden tatsächlich nie gefragt. Man kann jetzt so hochnäsig sein und sagen: "Das ist ja ganz interessant, dass wir seit 15 Jahren Musik machen und keiner von denen bekommt's mit". Und so viele europäische Bands gibt's zumindest meiner Meinung nach nicht, die einigermaßen interessant sind. Aber es ist nicht so, dass wir denken, es muss jetzt unbedingt das Telefon klingeln. Es ist halt einfach so, wie es ist. Wir können ja auch Festivals spielen, aber eben halt in Spanien am Mittelmeer, wo 1000 oder 2000 Leute da sind. Das ist uns lieber als auf 'ner Parkplatzbühne um 15 Uhr.

Kommen wir nochmal zur Platte und meiden den Popbegriff. Sie ist also vielleicht ein bisschen harmonischer, eingängiger, melodiöser, was auch immer, vielleicht auch mehr weiblicher Gesang.

Marc: Ich glaube eben nicht, dass das so ist. In der Mitte sind zum Beispiel einige Lieder, die sehr stark nach vorne gehen. Hätten wir die an den Anfang gestellt, hätten alle gesagt: "Boah, die rocken ja total". Es ist ja auch dieses typische Rezensionsding, dass man in die ersten drei Lieder reinskippt und anhand dessen dann die Platte bewertet. Diese Presseinfo haben wir auch ganz bewusst von nem Intellektuellen schreiben lassen, der sich auf 'ne andere Art über Musik verständigt, einfach um diesem Ding aus dem Weg zu gehen, dass jeder einfach zwei Sätze aus der Presseinfo abschreibt. Die Platte beginnt vor allem anders und sie ist auch anders strukturiert, aber was die Anteile angeht, da achten wir natürlich schon darauf, dass die einigermaßen ausgeglichen sind.

Wie macht ihr das bei dem weiblichen Gesang eigentlich? Geben Helm und du vor, was wie gesungen werden soll?

Marc: Wir machen das eigentlich zusammen. Häufig treffen sich erstmal die Instrumentalisten und machen ein Layout, dann schicken wir das rum, jeder macht seine Hausaufgaben und der Gesang kommt am Ende dazu. Das ist eigentlich relativ ungewöhnlich. Häufig ist es auch so, dass ich 'nen Song bekomme, bei dem 'ne bestimmte Stelle als Strophe gedacht war, und ich mach dann 'nen Refrain daraus, weil ich einfach nicht wusste, wie die Teile deklariert sind. Meistens machen Kate und ich den Gesang zu zweit, nehmen zuhause auf und gucken dann weiter. Es ist in der Tat sehr, sehr viel Patchwork, auch dadurch, dass wir soweit voneinander getrennt wohnen. Außerdem muss man sehen, dass wir die Songs häufig nach zwei Proben oder so aufnehmen. Es ist jedenfalls nicht so, dass wir ein dreiviertel Jahr an 'nem Song arbeiten. Im Gegensatz zu früher sind wir da wieder wesentlich schneller geworden.

Deswegen kam das Album jetzt wohl auch wesentlich früher, als man es hätte erwarten können.

Marc: Gerade vor dem Hintergrund, dass jeder von uns eigentlich ziemlich busy war, ist es schon interessant, dass wir schon nach zwei Jahren wieder eine neue Platte gemacht haben.

Interessant finde ich auch die Abwendung von der Mehrsprachigkeit. Es gibt zwar noch französische und deutsche Liednamen, aber die Texte sind durchgehend - oder zumindest fast - englisch. Wie kam es denn dazu?

Marc: Da steckt eigentlich keine richtige Logik dahinter. Meistens ist das einfach da, sei es bei den Namen der Songs oder auch bei den Texten. Ich schließe auch gar nicht aus, dass wir mal wieder eine Platte auf deutsch machen. Vielleicht spielt auch unbewusst ein bisschen mit rein, dass von uns erwartet wird, dass hier und da ein Satz mal französisch ist und wir uns dem ein bisschen entziehen wollten. Aber ich glaube, wir sind da weniger verkopft, als man vielleicht glauben mag.

Matthias Kümpflein

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Rezension zu "Caché" (2008)
Rezension zu "Éclat" (2006)

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