Interview

Long Distance Calling


Instrumentalmusik ist nicht mehrheitstauglich? Murks! Bitte mal die deutschen Albumcharts bis einschließlich Platz 36 durchstöbern und dann staunen. Genau dort hat sich nämlich diese Woche der selbstbetitelte Drittling von Long Distance Calling breit gemacht. Und sogar das Fachblatt für Nischenmusik schlechthin – der Focus – macht "Long Distance Calling" zu seinem Album der Woche. Reißt hier eine Band nun alle gängigen Grenzen ein? Was ist da los? Wir wollen es wissen und treffen die Gitarristen der Band, David Jordan und Florian Füntmann, zum Interview im Hamburger Knust.

Eure Tour scheint super zu laufen, man hört schon von ausverkauften Konzerten. Habt ihr eigentlich viele Metalheads im Publikum?

David Jordan: Ja, das hat man gerade gestern in Köln mal wieder gemerkt. Während der Songs gab es da Metalgabeln und Anfeuerungsrufe. Das ist ja eigentlich eher im Metal üblich. Aber Normalos kommen auch zu unseren Gigs. Dann gibt es noch die Altrocker, so Mitte 40. Die Menge ist bunt, aber das ist doch super. Besser als eine total homogene Gruppe.

Ihr verkauft also mächtig Tickets, das neue Album bekommt durchwegs gute Rezensionen und euer Ruf als Live-Band eilt euch inzwischen voraus. Darf man jetzt das Wort „Durchbruch“ in den Mund nehmen?

Florian Füntmann: Ja, was heißt „Durchbruch“? Das ist natürlich relativ. Es kann auch schon ein Durchbruch sein, sich eine konstante Fanbase erspielt zu haben – auch wenn sie nur aus 50 Leuten besteht. Oder Durchbruch heißt, dass man eben gleich 5 Millionen Platten verkauft. Das ist ein schwieriges Wort.

David: Es läuft momentan natürlich extrem gut. Es gibt sehr viel positive Resonanz. Für uns persönlich ist das definitiv ein Durchbruch, aber nicht auf so eine Art und Weise, auf die man den Begriff sonst benutzt.

Merkt ihr in Sachen Resonanz einen Unterschied zur letzten Platte?

David: Ja, dieses Mal ist es noch wesentlich mehr. Und die Resonanz, die Rezeption ist noch viel weiter gestreut.

Über den Begriff „Post-Rock“ haben wir gerade schon gesprochen. Ihr seid mit dieser Schublade auch nicht so ganz glücklich, oder? Was stört euch daran?

David: Post-Rock, das sind für uns lange Flächen, viel Atmosphäre – was ja auch cool ist – und dann der Ausbruch aus allem. Das ist dieser Standardbogen im Post-Rock, der immer abgefahren wird. Und das machen wir eigentlich nicht mehr. Bei uns gibt’s mehr Parts, es ist dynamischer, es passiert mehr und das in kürzerer Zeit.

Flo: Ich muss sagen, ich habe nicht unbedingt ein Problem damit, wenn die Leute uns als Post-Rock bezeichnen. Vor allem, wenn jemand den Begriff benutzt, um uns einschätzen zu können und das dann weiter zu erzählen. Da gibt’s Schlimmeres. Diesen Stempel haben wir wohl auch wegen unseres ersten Albums „Satelite Bay“. Die war nun mal wesentlich mehr Post-Rock als alles, was danach kam.

Der Auftakt für eure aktuelle Tour stieg in Münster. Ist die Stadt noch immer euer Zentrum als Band?

David: Ja, das hat sich nicht geändert. Drei von uns – Janosch, Flo und ich – wohnen ohnehin noch dort, Reimut stammt ursprünglich aus einem Vorort von Münster. Das ist schon unser Zuhause. Ich muss auch sagen, dass ich mich dort nach wie vor am wohlsten fühle. Es ist entspannt, angenehm und nicht so hektisch wie Hamburg. Außerdem habe ich da noch meinem Job in einem Gitarrenladen.

Wer sich mal eure bisherigen Tourpartner anschaut, findet ein ziemlich buntes Ensemble, bei dem bestimmt auch viele Bands dabei sind, die ihr selbst schätzt. Mit wem kamt ihr am besten klar, was war euer Highlight?

Flo: Für mich waren das Anathema. Ich höre die, seit ich 15 bin, habe mir auch die aktuelle Scheibe noch gekauft. Da bekommt man es schon mit der Ehrfurcht zu tun. Und dann waren die auch noch unfassbar nette und entspannte Typen. Wir haben viel mit denen gefeiert und sie haben uns auch nach der Tour noch nach Paris eingeladen.

David: Sehr sympathische Band, da stimme ich zu. Mein Highlight waren aber Opeth. Von denen habe ich alle Platten. Und dann erfahren wir zwei Tage vor ihrem Gig in Münster, dass wir die Vorband sind. Die Vorfreude und die Erwartung war riesig. Und die waren super nett, aber auf diese skandinavische Art und Weise. Also etwas schweigsamer, aber dafür aufrichtig.

Kommen wir mal zum neuen Album: Welchem Konzept folgt „Long Distance Calling“?

Flo: Das grobe Konzept ist das Weltall, die Ferne, auch Fernweh – was zufällig auch mit unserem Bandnamen einhergeht. Und in Verbindung damit deine eigene Rolle im Universum. Also die eigene, verschwindend geringe Rolle in diesem riesigen Kontinuum.

Wie du gerade meintest, heißt das Album nun wie eure Band. Ist das ein Zeichen dafür, dass das Album auch genau dem Sound entspricht, den ihr erreichen wolltet?

David: Ja, absolut. Sowohl was das Songwriting angeht, als auch in Sachen Produktion ist „Long Distance Calling“ das Album, auf das wir die letzten Jahre hingearbeitet haben. Bewusst war uns damals nicht, dass wir da hin wollten. Aber jetzt wissen wir, dass es genau das Album ist, das wir haben wollten.

Ich finde, die Platte fließt noch besser als die anderen beiden. Die Tracks sind noch enger verwoben, es ist euer zusammenhängendstes Werk. Seht ihr das ähnlich?

Flo: Schon. Wir wollten ein Album machen, das noch etwas facettenreicher ist als seine Vorgänger, gleichzeitig aber auch nicht locker lässt. Eins, bei dem ganz ruhige Parts und richtig harte Sachen aufeinander treffen und dann ineinander greifen.

Die Produktion trägt dazu auch einen großen Teil bei, die Platte klingt voller und weniger trocken als „Avoid The Light“, die ihr mit Kurt Ebelhäuser (Blackmail, Scumbucket, Anm. d. Verf.) aufgenommen habt. War der neue Sound erklärtes Ziel?

David: „Avoid The Light“ klang nach Kurt und nicht nach uns. Und das war zu der Zeit auch cool, weil wir selber nicht so genau wussten, wohin es gehen sollte. Da hat uns Kurt ein bisschen an die Hand genommen und an den Sound der Platte herangeführt. Dieses Mal wollten wir unseren Sound selbst finden. Unter anderem auch deswegen, weil uns viele Leute gesagt haben, wir würden live ganz anders klingen als auf Platte. Deswegen haben wir uns für „Long Distance Calling“ wesentlich mehr Zeit für Sounds genommen, noch mehr gejammt, noch länger an den Arrangements gefeilt.

Flo: Wir haben uns schon vor den Aufnahmen mit unserem Produzenten Benjamin Schäfer getroffen und ihm ganz genau erklärt, wie die Platte klingen sollte. Wir waren uns dann auch ziemlich schnell einig, weil Benjamin ein ähnliches Klangbild im Kopf hatte. Benjamin ist heute übrigens auch hier, wenn wir heute also verkacken, gibt es richtig einen auf den Deckel (lacht).

Wie ist das mit Reimut, der bei euch für Sounds, Elektronik und Keyboards zuständig ist: Kann man ihn als euren Joker bezeichnen?

David: Naja, er bringt eine weitere Facette ins Spiel. Die Songs, gerade die neuen, sind relativ rifflastig und da gibt Reimut dem Ganzen mehr Fläche, er füllt die Songs auf, macht sie variabler. Meist fügt er seine Sounds erst ein, nachdem wir die Songs zu viert im Proberaum geschrieben haben. Reimut wohnt in Berlin, deswegen schicken wir ihm dann die rohen Ideen als Demos per Mail. Er sagt dann auch mal, wenn was scheiße ist, ist also zusätzlich noch unsere Qualitätskontrolle.

Flo: Der einzige Song, der nicht so entstanden ist, ist der letzte auf dem neuen Album – „Beyond The Void“. Den hab ich zu ca. 80 Prozent schon mit Reimut geschrieben, als ich ihn mal in Berlin besucht habe. Da war es genau anders herum, sein Sound war zuerst da.

Läuft es mit eurer Tradition, pro Album einen Song mit einem Gastsänger aufzunehmen, auch so wie mit Reimut? Oder schreibt ihr diese Songs ganz anders?

Flo: Das Besondere an den Songs mit Gesang ist, dass wir die eigentlich immer erst schreiben, wenn die Bestätigungsmail eintrifft und wir wissen, wer sie singen wird. Das ist auch ganz gut so, der Song muss schließlich zum jeweiligen Sänger passen .John Bush (Ex-Anthrax, Armored Saint, Anm. d. Verf.), der auf unserem neuen Album „Middleville“ singt, kann man nicht einfach einen ganz ruhigen Elektro-Song vorsetzen – das würde nicht so gut klingen.

Mit John habt ihr dieses Mal schon einen ziemlichen Kracher mit an Bord geholt. Wer bekommt die nächste Mail? Maynard James Keenan? Mike Patton?

Flo: Nach John jetzt noch nachzulegen, wird richtig schwer. Auf die Suche haben wir jetzt schon keinen Bock (lacht). Bei Mike Patton wäre ich natürlich sofort dabei, aber mit dem zu arbeiten, ist sicher kein Zuckerschlecken. Der Typ ist übelst stressig, oder?

David: Die Arbeit mit John war übrigens super. Dem haben wir den Song geschickt und eine Woche vor Deadline hatten wir schon den fertigen Track mit Gesangsspuren zurück – fertig gemischt und gemastert. Wir mussten an dem Song nichts mehr machen. Entspannter geht’s nicht.

Und wer sind eure Wunschkandidaten als Sänger für die nächste Platte?

Flo: Von seiner Musik her ist das so eine Sache, aber rein stimmlich wäre ich ja sofort für Sting. Ja ja, ich weiß: Musik für ältere Herren, schon klar. Aber interessant wäre das doch.

David: Ich hätte gern Phil Collins!

Flo: Also, nee. Da bin ich raus, sorry. (lacht)

David: Nee, mal ernsthaft: Super wären Corey Tailor von Slipknot oder Chino von den Deftones. Oder natürlich Tom Waits, das wär geil! Das ist dann mal was total Anderes. Deine Idee mit Maynard von Tool ist uns auch schon gekommen, ist aber wahrscheinlich auch schwer machbar, denn der Mann ist kein einfacher Charakter. Und davon, wie man an ihn rankommt, rede ich erst gar nicht.

Flo: Wie auch immer, es macht uns jedes Mal wirklich einen Mordsspaß, zu sehen, was die Leute aus unseren Songs machen. Deswegen wird die Tradition auch fortgesetzt.

Wir sind gespannt. Vielen Dank für das Interview!

Photo: Pressefreigabe Superball Music

Gordon Barnard

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Rezension zu "The Flood Inside" (2013)
Rezension zu "Long Distance Calling" (2011)
Rezension zu "Avoid The Light" (2009)

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