Interview

John Vanderslice


John Vanderslice ist der netteste Mensch, den man sich vorstellen kann. Schon bei der Begrüßung nimmt er einen freundschaftlich in den Arm, er vergewissert sich, dass das Aufnahmegerät auch funktioniert und er würde am liebsten jeden, den er trifft, auf die Gästeliste für das Konzert setzen. Aber John Vanderslice hat auch viel zu sagen. Sei es über sein neues Album, Politik oder auch den Wunsch in Deutschland zu leben, aber lest selbst...

John, dein neues Album beginnt mit einer Akustikgitarre und auch sonst zieht sich das Instrument wie ein roter Faden durch die Platte. Gab es irgendeinen speziellen Grund, warum dem so ist?

John Vanderslice: Mich interessierten Akustikgitarren mehr und mehr. Ich finde, E-Gitarren sind aus irgendeinem Grund so schwer aufzunehmen. Seit Jimmy Page mit Led Zeppelin den E-Gitarrensound perfektioniert hat, kann man in dieser Richtung nicht mehr viel herausholen. Bei Akustikgitarren ist das anders. Man kann den Sound jeder Gitarre auf so vielfältige Art und Weise verändern, dass mir die Idee, mich stärker auf Akustikgitarren zu fokussieren, immer besser gefiel. Deshalb gibt es auf dem Album auch so viel davon zu hören. Außerdem ist es ja auch das Instrument, mit dem ich die Songs schreibe. So hat es die Gitarre meiner Meinung nach auch verdient, bei den Aufnahmen gehört zu werden.

Du hast bereits im Vorfeld von "Emerald City" viele Songs über die Stadt Baghdad geschrieben und jetzt hast du ein ganzes Album nach einem Gebiet dieser Stadt benannt. Warum übt Baghdad eine so starke Faszination auf dich aus?

John: Für mich ist die Geschichte um diese Stadt eine unglaublich interessante und es ist somit für mich unmöglich, nicht über sie zu schreiben. Ich kann nicht einmal genau festmachen, was genau mich jetzt so an Baghdad fasziniert. Vielleicht sind es solche Kleinigkeiten wie "Emerald City" - ein Gebiet, welches für unsere US-Truppen ja eine grüne Zone darstellt. Gleichzeitig ist "Emerald City" aber auch die Hauptstadt in "Der Zauberer von Oz". Also steht ein Begriff sowohl für einen Kriegsschauplatz und für das wunderschöne Land Oz. Wir verrückt ist das denn bitteschön?

Baghdad wird neben dem deutschen Bundestag auch in deinem neuen Song "Kookaburra" erwähnt. Kannst du ein wenig auf den Song eingehen, da der Text doch sehr kryptisch ist?

John: Klar. Viele haben mich übrigens schon nach der genauen Bedeutung des Textes gefragt. Also es geht im Wesentlichen um den Anfang vom Ende der Welt und dieser hat zu tun mit Elektrizität, die vom Himmel kommt. Es verläuft so ähnlich wie bei der Entstehung des Lebens: Ein Blitz kommt vom Himmel und aktiviert die Zellen in irgendeiner Wasserpfütze, aus der dann Leben entsteht. Daher dachte ich mir, wenn ein Blitz so mächtig sein kann, Leben zu geben, dann kann er auch in der Lage sein, es zu nehmen. In der heutigen Zeit hat der Blitz dann eben die Form von all den zerstörerischen Dingen, die wir durch Elektrizität erschaffen und die uns irgendwann alle töten werden. Der Song ist quasi ein Weltuntergangsszenario. "White on white" im Chorus stellt dabei der Ascheregen all der zerstörten Dinge dar und die Aufzählung all der wichtigen Örtlichkeiten, wie eben des Bundestags oder des Capitols, soll verdeutlichen, dass sogar die größten Machtzentren der Welt einem Armageddon nicht standhalten können.

Du hast ja auch einen Tourfilm namens "Tiny Telephone" gemacht und im Internet hochgeladen, was ich eine sehr gute Idee fand. Wer hat denn den Film gedreht?

John: Oh Scheiße, ich kann mich nicht einmal mehr an die Namen dieses Typens erinnern (lacht). Ich glaube, er hieß Scott. Der Nachname fällt mir nicht mehr ein. Der war ganz schön angepisst am Ende, weil alles so ewig gedauert hat mit uns.

Warst du in diesen ganzen Prozess irgendwie involviert?

John: Ja, wir mussten für die Aufnahmen das ganze neue Album in zwei Tagen einstudieren. Das war furchtbar stressig und anstrengend. Nachdem alles fertig war, fand ich die Videos zwar toll, aber ich habe mich auch daran erinnert, wie stressig das alles gewesen ist. Wir wollen das zwar irgendwann mal wieder machen, aber für einige Zeit haben wir jetzt erstmal die Schnauze voll von dem Filmbusiness (lacht).

John, es war auch das erste Mal, dass wir dich auf dem Frontcover des Albums sehen durften. War das deine Idee?

John: Ja, das war meine Idee und alle meine Freunde haben im Nachhinein gesagt, es wäre eine bescheuerte Idee gewesen (lacht). Aber ich finde das gar nicht! Das Foto ist super und es sieht gleichzeitig gut und seltsam aus. Das ist einfach eine bizarre Szene, wie ich da neben dieser Frau auf dem Boden sitze. Und das war nicht einmal gestellt! Die Frau wohnt in meiner Nachbarschaft und als wir herumfuhren, sah ich sie da sitzen. Da hab ich mich dann einfach zwanzig Minuten daneben gesetzt und fertig war der Shot.

Dein alter Freund und Produzent Scott Solter war auch dieses Mal wieder bei der Entstehung von "Emerald City" dabei. Inwiefern hat sich seine Rolle im Laufe der Jahre geändert?

John: Er wurde im Laufe meiner Karriere immer mehr in die Aufnahmen miteinbezogen. Er verdiente sich sozusagen seinen Einfluss auf die Entstehung der Alben, weil seine Ideen so gut sind und er auch ein unglaublich gutes Gespür dafür hat, welche Songs letztendlich auf ein Album drauf kommen. Ich wäre da jedes Mal total überfordert.

Ich habe gelesen, dass du dich dieses Mal besonders auf Promotion im Internet konzentriert und dabei die Printmedien fast komplett vernachlässigt hast. Ich denke, du hast schon die neuen Wege des musikalischen Vertriebs rechtzeitig erkannt. Glaubst du, dass die Zukunft der Musikindustrie ausschließlich im Internet zu finden ist?

John: Ja, ich glaube, dass die Idee eines physikalischen Tonträgers in vier bis fünf Jahren gestorben sein wird. Heutzutage ist es halt so, dass man über CDs so gut wie gar nichts mehr verdient. Der ganze Aufwand um die Gestaltung, Songauswahl usw. lohnt sich überhaupt nicht mehr, wenn man sich danach mal die Verkaufszahlen anschaut.

Aber ist das nicht total traurig, keine Musik mehr in den eigenen Händen halten zu können?

John: Natürlich. Es liegt eben auch an den Künstlern, besonders schöne Aufmachungen der CDs oder des Vinyls zu schaffen. Wenn die sich anstrengen, wird es auch in Zukunft viele Liebhaber geben, die sich weiterhin dann diese Veröffentlichungen zulegen, auch wenn sie die Musik wahrscheinlich günstiger im Internet erwerben könnten.

Und was kann die Musikindustrie hinsichtlich dieser Entwicklung tun?

John: Nichts, außer sterben (lacht). Nein, es gibt ja auch andere Wege, Geld zu machen. Die Labels müssen sich eben zum Beispiel darauf umstellen, die Konzerte zu organisieren. Es zeichnet sich schon seit Jahren ab, dass die Touren wesentlich mehr Geld in die Kassen spülen, als es der Verkauf von Platten tut.

Du hast ja in der Vergangenheit ziemliche Probleme mit den US-Behörden gehabt, weil sie deiner französischen Freundin kein Visum für die USA ausstellen wollten. Hat sich da mittlerweile was getan?

John: Ja, wir sind mittlerweile deswegen verheiratet, obwohl ich mit einer Heirat eigentlich gar nichts anfangen kann (lacht). Jetzt hat sie endlich eine Green Card bekommen, nach zwei Jahren Beamtenterror!

So hast du ja einige Erfahrungen mit der US-Regierung und ihren Systemen gemacht.

John: Ja, sie töten zwar jede Menge Leute, sind aber trotzdem total nervig (lacht).

Jetzt muss ich natürlich mit einer politischen Frage kommen. Die Wahl um den neuen US-Präsidenten ist ja spannender als je zuvor. Ich glaube, sogar wir Deutsche schauen mehr zu euch rüber, als auf unsere eigene Politik zu achten. Verfolgst du diesen Wahlkampf auch mit einem so großen Interesse?

John: Ohja! Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals so von einem Wahlkampf begeistert worden zu sein. Wenn Obama gewinnt, wird es solch enorme Veränderungen geben! Ich denke, solche Veränderungen hat es in den USA dann seit langer, langer Zeit nicht mehr gegeben.

Also glaubst du, dass die Demokraten gewinnen werden?

John: Ich denke, die Demokraten können es sich sehr schnell versauen, wenn sie nicht aufpassen. Die Republikaner sind so unglaublich erfahren und haben auch viel mehr Geld als die Demokraten. Aber das Land ist einfach reif für eine Veränderung und die konservativen Ketten müssen jetzt endlich wieder abgelegt werden.

Ganz andere Frage: Bist du jemals mit dem Vorhaben gestartet, dich hinzusetzen und einfach so einen Hit zu schreiben?

John: Ich wünschte, ich hätte das irgendwie geschafft, dann wäre ich jetzt womöglich total reich (lacht). Im Grunde schreibe ich einfach die Songs, die sich in meinem Kopf befinden und offensichtlich sind das keine Welthits. Manchmal denke ich mir aber schon: "Hmmm, ich wünschte ich hätte jetzt den oder den Song geschrieben."

Was für Songs wären das denn?

John: Ich hätte gerne "Karma Police" von Radiohead geschrieben. Oder ein paar Neil-Young-Songs. Oder welche von Fiona Apple. Ohje, da gibt es ganz schön viele Sachen, die ich gerne geschrieben hätte. Sogar einige kommerzielle Hip-Hop-Sachen finde ich großartig, weil sie diese unvergessbaren Melodien oder Beats haben. Sowas von Dr. Dre oder 50 Cent.

Das hört sich danach an, als ob du vielen Musikgenres recht offen gegenüber stehst?

John: Ich finde, wer sich ausschließlich mit einem Genre beschäftigt, verpasst viel zu viel gute Musik. In meinem Ipod befinden sich gerade Sachen wie die neuen Alben der Battles, der Evangelicals oder Beethoven. Drei völlig unterschiedliche Sachen. Vielleicht ist auch nicht jeder so fanatisch wie ich und hört sich wirklich alles an, aber das braucht man letztendlich auch gar nicht. Die Bereitschaft, verschiedener Musik offen zu begegnen, reicht da, finde ich, schon vollkommen aus.

Du bist jetzt schon sowohl in den USA, als auch in Europa viel herumgekommen. Worin bestehen deiner Meinung nach die wesentlichen Unterschiede in der Lebensweise der Leute?

John: Ich denke, die Lebensqualität ist hier in Europa etwas höher als in den Staaten. Für mich entspricht es hier einer idealeren Art zu leben. Es gibt hier ein besseres Transportsystem, die Gesundheitsvorsorge ist besser, die Architektur und Kunst ist hier viel bedeutender als in den USA. Außerdem hat man hier immer das Gefühl, von einer kleinen Gemeinschaft zur nächsten zu kommen, wenn man die verschiedenen Städte bereist. In den USA ist das alles viel reservierter und anonymer. Schon alleine, dass man hier auch mal quer durch die Stadt laufen kann, ohne einem Auto zu begegnen, ist doch absolut fantastisch! Deshalb kann ich mir es auch durchaus mal vorstellen, in Heidelberg oder auch hier in Freiburg zu wohnen.

Tatsächlich? Dann halte ich mal einen Gästelistenplatz auf der nächsten WG- Party für dich frei.

John: (lacht) Scheiße, jetzt hab ich mich wohl in was hineingeritten. Was solls, meine E-Mail-Adresse hast du ja.

Benjamin Köhler

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Rezension zu "Emerald City" (2007)

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