Interview

Joan As Police Woman


Vielleicht war es das zu viele Korn-Trinken auf ihrer ersten Deutschland-Tour, das sie so abgehärtet hat... Joan Wasser, aka Joan As Police Woman, erzählt uns im Interview, was sie so stark gemacht hat. Außerdem sprechen wir über ihren Perfektionismus und was sie von anderen Musikern hält, z.B. von ihren Label-Kollegen, den Editors.

Bevor Joan As Police Woman am Abend die Bühne betritt und mit einer souveränen Show das Publikum begeistert, treffen wir sie im Forum in Bielefeld zum Interview. Als wir den Raum betreten, unterhält sich Joan noch mit ihrem Tourmanager, der sich sofort freundlich entschuldigt und den Raum verlässt. Joan bleibt im Drehstuhl sitzen, in dem sie umher schwingt und begrüßt uns selbstsicher und ohne große Emotionen. Muss ja auch anstrengend sein, ständig diese Interviews zu führen... jedenfalls herrscht in dem kleinen, ungemütlichen Büroraum, in dem wir uns treffen, anfangs nicht gerade die motivierteste Stimmung. Nach ein paar Sätzen geht diese aber steil nach oben und wir bekommen viel von einer talentierten, starken Frau zu hören.

Durch deine Live-Performance, deine Songs und im allgemeinen deine Präsenz wirkst du auf mich wie eine unglaublich starke Frau. Ich könnte mir vorstellen, dass du vor allem für viele jüngere Mädchen ein tolles Vorbild bist. Wenn du nun an junge Frauen und Mädchen denkst, welchen Tipp würdest du ihnen mit auf den Weg geben?

Joan: Generell würde ich immer sagen: Vertrau dir selbst! Wenn sich irgendetwas nicht richtig anfühlt, dann ist es nicht richtig. Natürlich kann ich das nun so sicher sagen, in meinem Alter, früher war das für mich auch nicht so klar. Ich habe lange gebraucht, um wirklich so sicher zu sein und auf meine Intuition zu vertrauen.

Ich habe darüber gelesen, dass du einige harte Zeiten in deinem Leben hattest. Du wurdest z.B. adoptiert, hast schwere Krisen durchlebt, was hat dir geholfen, so stark aus allem raus zu gehen?

Joan: Nun, ich wurde als Baby adoptiert, meine Eltern waren immer meine Eltern, das hat also keinen Unterschied gemacht. Aber was ich definitiv sagen kann, ist, dass ich immer mit voller Wucht in alles reingegangen bin. Dadurch habe ich viele großartige Dinge erlebt, ein aufregendes Leben geführt, es war aber sehr häufig auch sehr schmerzvoll. Wenn du nun solch ein "survivor" bist, wie ich es bin, gehst du hoffentlich aus schwierigen Situationen schlauer raus, als du reingekommen bist. Was mich zu der starken Person gemacht hat, die ich jetzt bin, war auf jeden Fall, dass ich mir selbst erlaubt habe, verwundbar zu sein. Man könnte meinen, dass das eigentlich eine Schwäche ist, aber das ist es nicht, es ist eine richtige Stärke. Als Teenager und junge Frau hatte ich so viel Wut in mir, ich war so oft richtig angepisst von allem. Ich fühlte mich von niemandem verstanden. Wahrscheinlich war das so, weil ich meine ganz normalen Ängste permanent unterdrückte. Ich habe nie zugegeben, dass mir etwas Angst machte, habe immer nur unglaublich mutig und kugelsicher getan und als ob mich nichts berühren könnte. Im Endeffekt machte mich das sehr unglücklich. Ich habe lange gebraucht, um das zu überwinden. Nun versuche ich, zu meinen Ängsten zu stehen, ich bin angreifbar, ich will nicht die Dinge verheimlichen, die mir früher unangenehm waren. Ich denke, verletzbar zu sein und ehrlich zu mir selbst, das hat mich so weit gebracht.


Photo Credit: Elisabeth Moch

Wenn du davon sprichst, ehrlich mit dir selbst zu sein: wendest du häufig die Methode an, die du mal beschrieben hast, in der du dich und deine Gefühle von außen betrachtest?

Joan: Ja, ich bin immer damit beschäftigt, die logische und die emotionale Ebene meiner Gefühle abzuwägen. Ich bin eine sehr emotionale Person. Ich muss mich immer wieder daran erinnern, dass meine Gefühle zwar unglaublich wichtig sind, dass sie aber keine Fakten sind. Im Buddhismus geht es viel darum, aus sich selbst heraus zu treten und sich von außen zu betrachten, um aus einem solchen Gefühlschaos heraus zu kommen. Das ist aber sehr schwierig und braucht viel Aufmerksamkeit. Ich brauchte auch viel Hilfe von meinen Freunden, bis ich dahin gekommen bin.

Wenn du gerade davon sprichst: fällt es dir schwer, Hilfe von Außen anzunehmen?

Joan: Nun, ja, auch das war ein langer Prozess für mich, bis ich das geschafft habe. Aber ich bin immer wieder in Situationen gekommen, in denen ich keine andere Wahl hatte. Andere um Hilfe zu bitten, ist oft immer noch unangenehm und braucht einige Überwindung. Aber auch hier musste ich es auf die harte Tour lernen – es scheint, als sei das der einzige Weg für mich.

Nach all der harten Zeit übermittelst du mit "The Classic", deinem neuen Album, nun die Botschaft, dass du jetzt die beste Zeit deines Lebens hast. Wie kommt das?

Joan: Ach, es war ein langer Prozess. Ich habe immer eine Menge vergangenen Kram und harte Erinnerungen mit mir rumgetragen. Irgendwann bin ich an den Punkt gekommen, dass ich das alles los werden möchte. Auf einmal war da so viel mehr Platz in meinem Leben, für gute Erfahrungen, neue Möglichkeiten. Das war ein großartiges, beglückendes Gefühl.

Hat das Songwriting dir dabei geholfen?

Joan: Definitiv! Oft ist es so, dass ich erst durch das Songwriting bemerke, wie ich mich wirklich fühle. Was aber auch beflügelnd auf mich gewirkt hat, war die Einsicht, dass ich schon so viele tolle Alben veröffentlicht habe und die Leute sie mögen. Das hilft mir total! Mir ist es wichtig, was andere über mich denken! Ich glaube, dass jeder, der sagt: "Oh, mir ist egal, was andere über meine Musik denken" (verstellt die Stimme ins Lächerliche), lügt! Es ist mir definitiv wichtig, wie meine Musik ankommt! Ich fühle mich weniger alleine, wenn ich die Rückmeldung bekomme, dass sich andere in meinen Songs wiederfinden.

Witzig, dass du ansprichst, dass dir wichtig ist, dass andere dich mögen. Ich wollte dich nämlich auf die erste Songzeile des letzten Albums, "The Deep Fields", ansprechen. Da singst du: "I want you to fall in love with me!". Ich finde, in diesem Satz steckt sehr viel Provokation, aber auch viel Wahrheit. Wie ist das, genießt du es, Fans zu haben, oder ist es dir manchmal ein wenig zu fanatisch und aufdringlich?

Joan: Nun... ich liebe es, Liebe mit Menschen auszutauschen und auch mit anderen zu kommunizieren. Die meisten Fans sind wirklich großartig! Aber natürlich gibt es ein paar, die übertreiben – was nichts mit mir zu tun hat, sondern was einfach in deren Person begründet ist. Menschen, die fanatisch sind, müssen dies irgendwo rauslassen. Natürlich mögen sie auch meine Musik, aber sie brauchen eine Person, auf die sie alles fokussieren können. Ich weiß ja selbst, wie wichtig Musik ist, wie wichtig sie in meinem Leben ist. Es gibt nichts, das so wirkt, wie Musik es tut! Musik ist wirklich ein Geschenk! Sie lässt mich alles vergessen. Wenn ich nicht selbst Musik machen könnte, wäre ich sehr, sehr unglücklich. Sie ist wie Kommunikation für mich. Es gibt immer Musik in meinem Kopf. Die kann mir niemand nehmen! (lacht)


Photo Credit: Elisabeth Moch

Wann hast du angefangen, Musik zu machen?

Joan: Ich habe mit acht Jahren angefangen, Geige zu spielen. Damals gab es an normalen öffentlichen Schulen in den USA ein Programm, dank dem du für 10$ im Jahr ein Instrument ausleihen konntest. Das heißt, jeder konnte ein Instrument lernen! Das war einfach toll! Natürlich gibt es das Programm mittlerweile nicht mehr, was sehr schade ist. Überall wird Geld für Kunst eingespart. Ich habe sehr gerne Geige gespielt und habe es sogar später studiert. Aber ich habe auch immer so viele andere Arten von Musik geliebt! Als ich ins College kam, habe ich angefangen, mit Bands zu spielen und zu touren. Auf meiner ersten Tour war ich übrigens in Deutschland! Damals habe ich bei der Band The Dambuilders gespielt.

Ich habe eine witzige Geschichte über dich und deine erste Tour in Deutschland gehört! Auf einem Konzert in Hamburg hast du mal erzählt, dass du damals so viel Korn getrunken hast, dass du ihn seitdem nicht mehr sehen kannst.

Joan: Du kennst Korn also? Ist das ein bekannter Alkohol in Deutschland?

Ja, aber ich würde ihn niemals so trinken!!

Joan: Korn ist SO ekelhaft! Ich würde ihn auch nie wieder trinken! (schüttelt sich, lacht)

Ich wechsle mal schnell das Thema (lache). Ich habe hier ein Interview-Buch, in dem ich jeden Künstler eine Frage für den nächsten aufschreiben lasse. Die letzte Frage kam von deinen Label-Kollegen, den Editors. Kennt ihr euch?

Joan: Ich weiß, dass sie meine Label-Kollegen sind, aber ich kenne ihre Musik nicht.

Ok... sie hören jedenfalls gerne deine Musik an!

Joan: Es ist nicht so, dass ich sie nicht mag, es ist nur so, dass ich keine Ahnung habe, wie sie klingen! Magst du ihre Musik?

Ja, auf jeden Fall! Das Konzert war großartig und auch sonst mag ich sie gerne.

Joan: Cool, ich bin froh, dass ich so gute Label-Kollegen habe (lacht). Wie klingen sie?

Sie werden oft mit Joy Division verglichen, oder auch mit Interpol.

Joan: Interpol? Oh mein Gott, Interpol sind für mich eine schlechte Joy-Division-Cover-Band! Vielleicht mag ich die Editors dann doch nicht!

Die Editors haben aber wirklich viele gute Songs, wahrscheinlich weißt du es gar nicht und kennst doch einige davon vom Radiohören.

Joan: Höchstwahrscheinlich nicht. Ich höre kein Radio.

Wie hörst du dir Musik an? Und woher erfährst du über neue Musik?

Joan: Meistens lerne ich neue Musik über den Austausch mit Freunden kennen. Oder ich checke immer wieder, ob meine Lieblingskünstler etwas Neues gemacht haben. Sufjan zum Beispiel. Aber ich interessiere mich kaum für aktuelle Musik. Wenn mir jemand etwas ans Herz legt, dann ja, aber von alleine nicht.

Ich wollte dir ja eigentlich die Fragen der Editors an dich stellen. Es gibt zwei Fragen von ihnen, eine Spaß-Frage und eine ernsthaftere. Die erste lautet: Welchen Torwart aus der Premier League magst du am wenigsten? (lache)

Joan: Nun, das mag vielleicht für manche witzig sein... ich weiß nicht einmal, welcher Sport gemeint ist... wahrscheinlich Fußball... Ich hab keine Ahnung. Ich könnte nicht einen Namen eines Fußball-Spielers nennen. Das Einzige, was ich denke, wenn ich ein Fußball-Spiel sehe, ist: wow, die Jungs sind richtig gut trainiert und rennen eine Menge, was mich ziemlich beeindruckt (alle lachen).

Gut, kommen wir zur zweiten Frage: Im Konzept des "Multiversums" erlebst du gerade ein mögliches Leben in einer Unendlichkeit möglicher paralleler Leben. In welchem anderen Leben würdest du lieber leben? (Anm. d. Red.: Das sagten die Editors, als sie hörten, dass die nächste Interview-Partnerin Joan sein wird: "Oh, cool! Sie wird diese Frage lieben!")

Joan: Entschuldige bitte?!?! (zieht die Augenbrauen hoch) Im was?! Multiversum? Ich will einfach nur hier und jetzt bei diesem Interview sein!

Ich frage mich gerade, ob du dir immer noch die Musik der Editors anhören möchtest...

Joan: Ja, doch! Die zweite Frage war ja ganz süß!

Ok, nun bist du an der Reihe. Was ist deine Frage?

Joan: Ich werde nichts über Fußball oder das Multiversum schreiben! Ok... ehm... ich denke gerade darüber nach, was ich gerne über einen anderen Künstler wissen möchte... du bringst mich zum Nachdenken!! (überlegt, schreibt lange auf) Wenn während einer Live-Performance etwas anfängt, schief zu gehen, ob technisch, oder weil du einen Song schlecht singst oder spielst – hast du einen Trick, um dich selbst zurück zur Show zu bringen, sodass du nicht in deinem Kopf gefangen bist und dich zurück in diesen Moment bringen kannst?

Wow, das ist eine lange Frage! Kannst du sie für mich beantworten?

Joan: Klar! Das passiert dauernd: irgendetwas geht schief oder ich werde ganz obsessiv und denke: verdammt, das hätte ich anders sagen oder spielen sollen. Ich bin immer fasziniert davon, wie ich reagiere. Manchmal denke ich einfach nur: was soll's, wen interessiert's?! Und andere Male hasse ich mich selbst. Technische Schwierigkeiten machen mir nicht so viel aus. Andere rasten dabei völlig aus. Aber das ist mir relativ egal, weil es nichts mit mir zu tun hat. Aber wenn ich z.B. nicht so gut singe, wie ich es gerne gemacht hätte, muss ich mich wirklich hart daran erinnern, dass ich diese Show nicht für mich spiele. Ich spiele sie für die Leute, die von überall her gekommen sind, die sich auf die Show freuen und die nicht unbedingt jedes Detail kennen, das ich vielleicht falsch gemacht haben könnte. Dann muss ich mich von meinem eigenen Denken befreien und die Show für diese Leute weiterspielen. Manchmal klappt das gut, manchmal ist es echt hart. Es hängt von meiner Laune und Verfassung ab. Ich bin schon viel besser darin, es zu akzeptieren, aber ich muss es weiter üben. Es gab Momente in der Vergangenheit, in denen minimale Fehler fast die ganze Show ruiniert hätten, weil ich so gefangen war in meinem Perfektionismus.

Es macht doch eigentlich gar nichts aus, wenn man einen Fehler macht oder ihn eingesteht! Das ist nur menschlich und macht den Musiker sympathischer. Wie ist es denn bei dir, wenn du nach der Show über die Show nachdenkst, was bleibt mehr hängen: die super Momente, oder die, in denen du einen Fehler gemacht hast?

Joan: Wie gesagt, ich bin schon viel besser darin geworden, es nicht so wichtig zu nehmen, wenn mir ein Fehler passiert. Ich weiß, dass, egal, wie schlecht es war, das Konzert immer noch auf einem hohen Level an Qualität war. Die Leute würden nicht raus rennen und schreien (rauft sich die Haare, schreit, alle lachen). Es sind eher kleine Details, an denen ich lange gearbeitet habe. Ich möchte sehr professionell sein, ich möchte nicht die Zeit anderer Leute rauben oder kaputt machen. Ich hoffe, dass du beim nächsten Interview jemanden hast, den die Frage interessiert! (zu sich:) Das Multiversum, niedlich... (lacht)

Ich bin schon gespannt, wer die Frage beantworten wird. Oh, wo ich gerade deinen Ring sehe: Das ist der Ring vom Album-Cover! Bist das du auf den Fotos?

Joan: Ja, das bin ich (ahmt die Pose nach). Ich habe mich selbst gold angemalt. Ich würde niemandem empfehlen, das zu tun. Es ist ziemlich schwierig, du merkst erst, wie viel Haut du hast. Und es ist hart, es wieder ab zu bekommen. Ich habe es drei Wochen später noch hinterm Ohr gefunden! (alle lachen)

Marlena Julia Dorniak

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Rezension zu "The Classic" (2014)
Rezension zu "The Deep Field" (2011)
Rezension zu "To Survive" (2008)

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