Festival-Nachbericht

Southside Festival


Zehnter Geburtstag, mit 50.000 Besuchern neuer Zuschauerrekord, durchweg strahlender Sonnenschein. Das Southside Festival war auch im Jahr 2008 eine Veranstaltung der Superlative und konnte dabei so einige sinnvolle Verbesserungen aufweisen. Die spärlich vorhandenen Wasserstellen auf dem Festivalgelände wurden zu einer größeren Anlage zusammengefasst, der Campingplatz wurde vergrößert, ein nicht zu kleiner Bereich vor der EM-Leinwand wurde freigehalten, um das ständige Gedränge an den Durchgangswegen zu verringern, und natürlich wurde auch die Zeltbühne wieder genutzt, deren Programm im Vorjahr aufgrund eines Unglücks kurzfristig abgesagt werden musste.

Dazu gesellt sich die Erkenntnis, dass bei so einem Event nichts, aber auch nicht die klitzekleinste Kleinigkeit schief läuft. Jede Band spielt zuverlässig und gekonnt ihr Set, beginnt auf die Minute genau zur angegebenen Zeit und geht ebenso pünktlich wieder von der Bühne, Elbow sogar zehn Minuten vorher. Keine Ausschreitungen, keine Anfeindungen, nichts. Gut, ab und zu muss man die linke Faust heben, weil ein Sänger behauptet, der Kapitalismus sei unser Ende. Aber auch das ist zu schaffen. Es ist, wie es klingt: Irgendwie angenehm, irgendwie langweilig.

Darunter zu leiden haben in erster Linie die (Spät-)Nachmittagsbands. Auf riesiger Bühne spielen sie vor einem viel zu kleinen Publikum, das großteils aus Fans besteht, dazwischen versteckt sich der ein oder andere, der sich die Band "einfach mal ansehen" will. Nach den Liedern wird schön geklatscht, währenddessen ein bisschen getanzt *gähn* und dann erstmal Eiskaffee geholt und Sonnenbrand eingecremt *verdammt ist das heiß*. Die Geschichte, dass man sich bei einem Festival viele neue Fans erspielen könne, klingt in Anbetracht dessen wie ein Märchen.

Dazu im Kontrast wie immer der Campingplatz: Golf spielen; Titten-TÜV; ein zusammengekettetes Grüppchen, das im Entengang ein Lied singt; Leute, die sich über Festivalnahrung und die Farbe des Stuhls - sie reden natürlich von "auf'm Scheißhaus" - unterhalten; nichts als "Titten", "Titten", "Tittääääään" oder wahlweise "Schw...". Die Leute sind hier, um zu feiern. Das merkt man im ersten Moment, wenn man betritt, was drei Tage später nichts als ein riesiger Müllhaufen sein soll, und das funktioniert soweit auch hervorragend, ein bisschen Spaß muss schließlich erlaubt sein.


Photos: Radiohead, Biffy Clyro, Tocotronic

Im Grunde stimmt eben doch, was jeder Veranstalter sowieso schon weiß: Die Besucher wollen Headliner und vier Tage alles vergessen, was ihnen sonst so den Tag vermiest. Alles andere - darunter auch gut 70% der Bands - ist Füllmaterial, das sich der Interessierte wohlwollend anschaut, aber das auch nur mit dem Hintergedanken, wie schön es wohl wäre, wenn diese oder jene Band an diesem oder jenem tollen Ort spielen würde.

So gesehen sind die wirklich herausstechenden Momente überraschend schnell abgehakt. Da waren Radiohead mit aufwendiger Lichtshow, einem überdreht tanzenden Frontmann Thom Yorke und eigenen Kameras - so in etwa die Idee ihrer Scotch-Mist-Versionen umsetzend. "Rain down, rain down on me." Spannend und auch irgendwie süß zu sehen, wie das Publikum bei jedem Radiohead-Konzert genau an den gleichen Stellen "oooh"t. Ein paar Engländer mit Tibet-Fahne am Piano haben hier in mehr als nur einem Song so ziemlich alles richtig gemacht.

Übertreffen konnten das an diesem Wochenende nicht wirklich viele. Sigur Rós, weil sie verträumtes, albernes - hier absolut positiv gemeint - und sich hochschaukelndes, schmerzendes, teilweise qualvolles in einem Set zusammenführten, bei dem einzelne Lieder nun wirklich kaum eine Rolle spielten. Bat For Lashes, weil Sängerin Natasha Khan den düsteren Songs ein unglaublich anziehendes, gar sympathisches Äußeres verlieh. The Chemical Brothers, weil sie gleichzeitig in den Himmel - die Laser - , auf die Bühne - die Videoshow - und auf den Boden - das Tanzen - schauen ließen. Und zu guter Letzt The Notwist, die ihren Stücken eine ungeheure Spannung und Dynamik verliehen, was zumindest zu einem Teil Schlagzeuger Andi Haberl zuzuschreiben war. Zudem war der Auftritt der Weilheimer der einzige, der wirklich überraschte. Erst ging es zu spät los, dann wurde zum Ausgleich etwas länger gespielt und als es vorbei war, fing das bis zum letzten Quadratmillimeter volle Zelt an zu buhen, als hätte der DJ eine Schlagerplatte aufgelegt. Adressat waren die Veranstalter, die The Notwist zumindest nach Besuchermeinung eine viel längere Spielzeit hätten spendieren müssen.


Photos: Bat For Lashes, Publikum, Oceansize

Der Rest lässt sich in ein paar Halbsätzen zusammenfassen: Dirk von Lowtzow jetzt mit grauem Haar und Tocotronic dank ihm noch weiter links als die "Capitalism Stole My Virginity"s von The (International) Noise Conspiracy - Letztere übrigens mit lilafarbenen Anzügen und Sänger Dennis Lyxzen mit rotgefärbten Koteletten die Antistyler des Wochenendes; Maximo Park nach wie vor schmissig, aber seit dem zweiten Album leider mit weniger jugendlichem Überschwang; Foo Fighters mit mitreißendem Stadionrock und trotz ständigem "fucking Rockshow"-Gerede von Dave Grohl auf irgendeine verquere Weise sympathisch; die Beatsteaks haben unglaublich viele Fans; Deichkind auch; Oceansize nicht, dafür beeindruckende und uneingängige Songs.

Für Leute, deren Musikgeschmack irgendwo zwischen Elektro, Pop und Rock anzusiedeln ist, hatte das Southside Festival mit Sicherheit wieder einmal eines der interessantesten Line Ups des Jahres. Was eine besondere Atmosphäre oder liebenswürdige Details angeht, war - so hart es ist, das zu sagen - auch dieses Jahr nichts zu holen. Aber vermutlich wäre das auch zu viel erwartet.

Photo Credits: Thomas Raich

Matthias Kümpflein

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