Festival-Nachbericht

Rock Am Ring (Carsten)


Ein mit Blut und Kissen werfender Dickbauch, mit Autoteilen musizierende Kaiser und eine Band die draußen auf dem Parkplatz spielt.

Freitag

Erstmal der anscheinend highlightlose Tag. Nachmittags dürfen auf der Center die H-Blockx ein bißchen durchschnittsrocken und auf der Alterna die Kiddies zu den 5 deluxen Sternen hüpfen. Danach könnte es dann schön werden. Max Herre stellt sein Soloalbum erstmals live vor und hätte bestimmt auch ein paar Freundeskreis-Klassiker für uns dabei gehabt. Aber was will man machen? Man muss ja rüber zu Motörhead. Die kämpfen erstmal gegen die Technik. Dock Lemmy ist sichtlich erfreut mal wieder vor so großem Publikum zu spielen. Er raunt ein herzliches "Fuck You" in die Runde und haut rein. Schade das man nix hört. Irgendwann geht es selbst dem Drummer auf den Wecker und er springt auf um den Tonmann am Bühnenrand zu attakieren. Danach haut er zum Abreagieren ein Drumsolo und von da an geht es auch mit dem Sound bergauf. Als Lemmy von der Bühne geht, steht bereits ein Roadie bereit um ihm in den Mund eine Kippe, in die linke Hand ein Handtuch und in die rechte eine Jacky-Cola-Mischung zu drücken. Wenn einer Rock’n’Roll verkörpert, dann er. Immerhin scheint die Mischung doch nicht allzu hart gewesen zu sein, denn Lemmy kann um 01 Uhr immer noch stehen. Und zwar an der Talent um sich seinen jungen Kollegen Danko Jones anzuschauen. Der langweilt uns inzwischen, weil er wieder die gleiche Setlist hat wie schon im vergangenen Jahr und auf der Tour [>>>] und selbst zwischen den Songs die gleichen Ansagen spricht. Doch seinem Livemotto "We Sweat Blood" macht er alle Ehre. Er rockt und rotzt und alle die das halt nicht schon kennen, finden besonders seine Rock&Roll-Hommage an Joe Strummer, Joey Ramone und Johnny Cash am Ende beeindruckend. Und wenn er sich mal ne neue Show überlegt, darf er auch ganz sicher mit Lemmy touren.

Dazwischen geschah aber so einiges auf der Alterna: The Streets, der Sprechgesang-Held aus England, zieht auch hierzulande inzwischen die Massen. Die Umsetzung des Garagen-Beats funktioniert mit Band wunderbar. Drummer und Gitarrist turn the songs into the Rock. Yeah Baby! Am Ende gibt es „Fit but you know it“ und die Menge hüpft die Grashalme nieder. Erst auf Platte nun live mehr als überzeugt. Langsam verstehen wir den Londoner Hype um ihn. Danach erfüllen The Roots die neue Tradition, dass nun jährlich eine Band die White Stripes am Ring covern muss, solange sie nicht selber kommen.

Aber dann meine Damen und Herren! Große Umbauarbeiten. Etwa ein dutzend Instrumente müssen verkabelt werden, dazu großes Bühnenbild und fettes Lichtshow. Große Ereignisse werfen ihre Roadies vorraus. Und dann geht es endlich los. Seeed spielen eine ihrer wenigen Liveshows im Heimatland, da sie dieses Jahr im Ausland Fuß fassen wollen. Und wenn sie auch auf den dortigen Festivals so auftrumpfen, werden sie bald europaweit die Könige des Dancehall/Reggae sein! Die drei Männer am Mikro haben die schicksten Kostüme des Festivals und schwingen passend das Tanzbein. Nach der Hälfte sind sie müde und lassen das dann drei schnieke Tänzerinnen übernehmen. Hit folgt auf Hit, Coverversion auf Coverversion (Nein. Keine White Stripes!) und die drei improvisieren immer wieder und streuen neue, passende Wortfetzen ein, die mal auf deutsch, mal englisch oder auch auf jamaikanisch vorgetragen werden. Am Ende "Musik Monks" und die Combo aus Berlin hinterlässt ein staunendes Publikum. Ja, so haben ja noch nicht mal die Fetten Brote hier vor zwei Jahren die Alterna-Crowd niedergerockt! Man verleiht ihnen flugs den Titel der "besten nationalen Liveband" und dreht sich dann schnell zum Turm um, um die Arbeit des Mischers zu beklatschen. Selbst Musikexpress-Chefredakteur Christian Stolberg steht mit offenem Mund am Sponsorenbus und meint es wäre der beste Sound den er je auf einem Festival gehört habe. Und dieser Mann hat schon so einiges gesehen. Da ist man doch froh, dass man Korn hat ausfallen lassen. Die sollen nämlich genau die andere Seite des Sounds kennengelernt haben.

Spät nachts dürfen dann Kaizers Orchestra auf dem fast leeren Gelände nochmal ran. Die haben wieder die halbe Autowerkstatt ihres Königs mitgenommen und machen mit Felgen, Reifen und Blechen herrlich skurille und pompöse Musik. Das ist natürlich unzugänglich und komplex, wodurch auch viele in’s Zelt flüchten. Sleep now! Ein langer Tag steht bevor.

Samstag

Der beginnt um 15:00 Uhr mit Jet, die -wie bereits im Jahr zuvor die Dandy Warhols- am Vodafone-One-Hit-Wonder-Syndrom leiden. Alle warten auf „Are You Gonna Be My Girl“. Da geht natürlich einiges, aber sonst war das eher okay und man macht sich nicht mehr ganz soviel Sorgen, dass sie das Southside abgesagt haben.

Nickelback scheinen seit dem Bizarre 2002 täglich mindestens 25 Stunden im Proberaum verbracht zu haben und irgendjemand muss Chad Kroeger zu Weihnachten dann auch noch eine Stimme geschenkt haben. Die Band klingt nun richtig gut und sie haben auch sichtlich Laune. Gleiches gilt für Muse, die zwar Videoleinwand, Lichtshow und Luftballons in der Garage daheim lassen mussten, aber denoch endlich mal die Centerstage rocken. Frontsau Matt Bellamy schreit und heult in’s Mikro wie eine Feuerwehrsirene und schrammelt sich die Finger blutig.

Zwischen beiden musste man dann noch schnell zu den Beatsteaks, die den Geburtstag von Armin’s Mama feiern. Am Anfang die neuen, etwas langweiligeren Durchschnitts"punk"stücke. Doch am Ende purzeln mit „Hand In Hand“, „Let Me In“ und dem grandiosen „Kings Of Metal“-Cover die Hits. Die kleinen Rumpelpunks dürfen sich im Schlammgraben vor der Bühne ordentlich einsauen und die da oben „haben alle fünf einen Steifen“ (Armin). Jaha, was will man mehr? Auf keinen Fall den Altschuh Bad Religion, also wieder rüber zur Center. Da hängen wieder mal Faithless am alten Problem nix gutes neues zu haben. "Insomnia" und "God Is A DJ" entfachen immer noch ihre Wirkung, aber der neue spirituelle (?) Kram eignet sich dann doch eher mal zum Plausch mit dem Nachbarn, Bier besorgen oder am Zaun entsorgen.

Danach dann die Headliner des Jahres. Die -laut Veranstalter- heißeste Band der Welt: Die Red Hot Chili Peppers. John Frusciante ist mal wieder bestens gelaunt, wie immer, denn Konzerte sind für ihn wie Spielplätze für Kinder. Das ändert aber nichts am unterirdisch schlechtem Sound, der die Band dröge wirken lässt. Gegen Ende soll es dann besser geworden sein und „Give it away“ soll der Knaller gewesen sein, hat man später gehört. Selbst konnte man sich nicht überzeugen, man musste ja rüber zu Turbonegro. In der Schlammgrube sind schon alle bereit für „some Darkness.“ Turbojugend Oslo, Turbojugend St. Pauli, Turbojugend Kabul, Turbojugend Bagdad. Alle sind sie da. Nur der Keyboarder nicht mehr so richtig. Dem schalten sie nach kurzer Zeit das Mikro aus, weil er ständig etwas erzählen will. Er fällt in den Bühnengraben, bearbeitet sein Keyboard auf die etwas andere Art und schmeisst ständig seinen Mikroständer um. Apropos Ständer: „I Got Erection“ gibt es zum Schluss, davor alles von „Get It On“ über „Ride With Us“ bis „Fuck the world“. Tolle Setlist, eingespielte Band mit grandiosem Sound und ein bestens gelaunter Hank, der seine Jugend mit Blut und Federn versorgt. Haben definitiv gerockt und somit steht es 2:0 für die Alternastage.

Sonntag

Sagen wir besser gleich 3:0, denn diesen Sonntag hat ja sowieso der Indie-Gott persönlich zusammengestellt.

Los geht es mit Kashmir, die zwar in Roskilde schon auf der Centerstage vor 50.000 Leuten gespielt haben, aber sich nun hier vor etwa 200 beweisen müsssen. Die Stimme des Sängers liegt angenehm im Ohr und der Sound ist wieder einmal mehr einwandfrei. Was ein grandioser Mischer doch da das ganze Wochenende an der Alterna saß. „The Aftermath“ gibt es zum Schluss leider ohne Mundharmonika, aber denoch überzeugt. Danach dann die eigentlich immer guten Weakerthans. Währenddessen großer Umbau auf der Center. D-I-C-K leuchtet es auf. Sasha kämpft zwar anfangs noch gegen gegen Buhrufe, doch gibt den Massen das was sie wollen: Die Hits des Wochenendes. Und so erstrahlen "Give it away", "In the shadows" und "Complicaded" in neuem Gewand. Nach einer Zeit nervt es und man flucht, das so einer doch nix bei Rock am Ring zu suchen hat, aber zigtausend vor der Bühne sind wohl anderer Meinung. Schnell wieder zu den "guten Menschen" vor der Alterna flüchten. Da geben einem die französischen Pop-Helden Phoenix mehr als man erwartet hatte. Danach dann die oft als Coldplay-Pausenclowns geschimpften Starsailor, die aber inzwischen auch hierzulande auf eine große Fanbase setzen können. Der Sänger verfängt sich im Kablesalat von Mikro und Gitarre, spricht neben das Mikro und wirkt so als seie es sein dritter Auftritt überhaupt. Nicht durchkonzipiert, total durcheinander und gerade deshalb so menschlich und nett. "Alcoholic" ist der Hit des Sets, den auch alle schon mitsingen. Inzwischen ist kein Platz mehr vor der zweiten Bühne zu finden, denn die Sportfreunde Stiller sind spätestens seit ihrem Neuling "Burli" die neue deutsche Superband. Und wer will denn bitteschön die Playbackshow von Linkin Park sehen? Eben keiner. Deshalb ist es hier so voll und die Sporties präsentieren neben jede Menge Witzen eine rockige Playlist, die allerdings zu wenig Klassiker enthält. Und wie schon beim Hören der Platte erahnt, wird "Ich roque" zum Song des Festivals. Tausende hüpfen auf und nieder - immer wieder! Ja, wir sind der Meinung das war SPITZE! Burli-Shirts nach hinten, Guten-Tag-Shirts nach vorne. Judith fällt erstmal fast rückwarts von der Bühne und fragt vorsichtig: "Wer hat uns alles schonmal live gesehen?" Die Arme rasen nach oben und die Helden-Frontfrau fängt an zu lachen: "Wo habt ihr denn bitteschön alle reingepasst?" Es folgen die scho nach einem Album unzählbaren Helden-Hits: "Aurelie", "Guten Tag",... Und dann wird es nochmal eng für die Sporties. Vielleicht ist der Festivalsong des Jahres ja doch "Denkmal". Den Refrain singen tausende mit und es läuft einem ein Schauer über den Rücken. Dann die Hosen, die gestern bereits ein "Geheimkonzert" auf dem Parkplatz vor dem Einlass gegeben haben und nun . Da sie kein neues Album zu präsentieren haben, gibt es ordentlich Best Of und viele Coverversionen. Denoch kommt bei den Hosen langsam etwas wie Routine zum Vorschein. Campino klettert einmal mehr an derselben Stelle auf's Bühnendach und kurz vor der Wahl noch ein paar linke Sprüche gegen Politik, damit die Punks auch alle zufrieden gestellt sind. Zum Abschluss gönnt man sich noch ein wirkliches Highlight: Ben Harper auf der Alterna. Bitte wer hat den denn gebucht? Kennt doch hier kein Mensch, ist aber natürlich schön,das für so einen zwischen dem ganzen Mainstream noch Platz ist! Ben Harper hat eine grandiose Liveband um sich versammelt und verzückt sein Publikum mit ruhigem Reggae. Danach will man eigentlich noch Moloko sehen, aber der Reporter muss gehen. Außerdem soll man ja gehen wenn es am schönsten ist.

Und sonst so?

Marek schließt die Nordschleife kurzfristig und versetzt hunderte Stammbesucher in Entsetzen. Als Ausgleich gibt es einen arg schrägen Hügel, der bereits am ersten Tag vom Regen weggeschwemmt wird. Die Bändchen sind babyblau und nun schneller erhältlich, da es auf jedem Campingplatz Ausgaben gibt. Das Bier ist noch immer teuer und abgestanden. Und am Ende macht Marek himself noch ein paar schöne Versprechen: R.E.M., Coldplay und System Of A Down will er nächstes Jahr holen. Aha! Dann mach mal. Hat ja dieses Jahr mit AC/DC, U2 und Eminem schon so gut geklappt. Aber eigentlich egal. Wir kommen trotzdem wieder...

Carsten Roth

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Bye-Bye



Am 5. Januar 2021 haben wir éclat eingestellt. Mehr Infos hierzu gibt es auf unserer Startseite!