Festival-Nachbericht

Rantakala & Das Finnen-Festival


Der finnische „Strandfisch” ist vorbei, Elbphilharmonie und Jimi Tenor haben eine Woche lang die Stadt Hamburg am Lagerfeuer musikalisch unterhalten, Horizonte erweitert und erfolgreich versucht, gedankliche Schranken einzureißen. Im Vorbericht wurde über die offenen Baustellen der Elbphilharmonie geunkt und tatsächlich ist kurz vor Beginn des Finnen-Festivals „Rantakala“ eine weitere hinzugekommen. Offenbar plant der Verband der deutschen Konzertdirektionen, gegen die Elbphilharmonie und ihren künstlerischen Leiter Christoph Lieben-Seutter zu klagen. Plakativ formuliert lautet der Vorwurf, die Elbphilharmonie-Konzerte würden staatlich subventioniert jene Musik in die Stadt bringen, die auch kommerziell erfolgreich veranstaltet werden kann. Noch platter: Es kann doch nicht sein, dass jemand die teuerste Konzertkarte für das Concertgebouw Orchester Amsterdam für 85 Euro anbieten kann – da muss man doch mindestens 170 Euro für verlangen. Aber hier soll es nicht um die Probleme der Elbphilharmonie und ihre Bewertung gehen, sondern der Kern soll hier eine unvollständige Rückschau auf Rantakala sein.

Durch Spenden und die Stiftung Elbphilharmonie finanziert brachte die Elbphilharmonie Jimi Tenor, Tony Allen, JPP, das Lau Nau Trio, Pekka Kuusisto, UMO, Kimmo Pohjonen und manchen mehr auf die Hamburger Bühnen zwischen Kampnagel und St. Pauli Kirche und ließ so klangliche Grenzen zwischen Folk, Klassik, Jazz, Pop, Electro und Afrobeat in sich zusammenfallen. Die letzten zwei Tage des Festivals beinhalteten einige der Highlights des Programms. Einerseits fand sich am Freitagabend Kimmo Pohjonen mit seinem Accordion Wrestling auf Kampnagel ein. Die Veranstaltung verkörpert in gewisser Weise die Essenz des Festivals. Grenzen werden überwunden, (fremde) kulturelle Eigenschaften näher gebracht, Lernen und Unterhaltung in einem. Pohjonen – der schon mit dem Kronos Quartet auf der Bühne stand – führt in einer Veranstaltung, die irgendwo zwischen Buffalo Bill’s Wild West Show und Yamato angesiedelt ist, die alte Tradition fort, Ringkämpfe mit Musik zu untermalen. Dabei überzeugen sowohl seine Energie wie auch der durchchoreographierte Ablauf der Show, der beginnend mit einer fiktiven Ur-Sage bis in die Jetztzeit, das Ringen thematisiert und mit Pohjonens Akkordeonspiel umkleidet. Den größten Charme gewinnt die Show tatsächlich durch ihren bezaubernden Mangel an allerletzter Perfektion. Pohjonens Accordion Wrestling ist – beziehungsweise war im Rahmen von Rantakala – eine ungemein kurzweilige Unterhaltung. Die scheinbare Absurdität des Arrangements tritt vollkommen in den Hintergrund.

Dieser vorletzte Abend des Festivals wurde im Uebel & Gefährlich zu Ende gebracht, wo zwei der Hauptprotagonisten der Woche, einerseits der Geiger Pekka Kuusisto und andererseits Jazzer, Produzent, Multi-Instrumentalist usw Jimi Tenor sich zur Electronic Night Session trafen. Selbst wenn Tenor auch an diesem Abend sein Saxophon mitbrachte, stand doch das Aufeinandertreffen von elektronischen Klangerzeugern und klassischem Instrument Geige (in diesem Fall einer 260 Jahre alten) im Zentrum des Abends. Wie nicht anders zu erwarten, bot dieses Miteinander der Gegensätze – inklusive Tenors selbstgebauter Insrumente – sehr unterschiedliche Ergebnisse. Zwischen Überraschendem und Absurdem, zwischen nahezu Missglücktem und fast Genialem war alles dabei. Gerade diese Vielfalt der Ergebnisse trug jedoch zum Reiz des Abends bei, den nachfolgend Desto mit einem am Dubstep orientierten Set beendete. Natürlich konnte Tenor es nicht unterlassen, sich auch da noch mit einzuklinken. Erstaunlich war, wie schwer es offenbar ist, klassische Instrumente und moderne elektronische Klangerzeuger in echtem Miteinander zu verbinden. Vielfach standen beide Ebenen doch wie unzusammenhängend nebeneinander – kooperierten so separiert, aber dennoch harmonisch. Wie schon das Zusammenwirken von (Pianist) Francesco Tristano und (Produzent) Moritz von Oswald, und wie auch das ein oder andere Recomposed-Album der Deutschen Grammophon, zeigte auch das Zusammenspiel von Kuusisto und Tenor an diesem Abend, dass die Verbindung von „Klassik“ und „Electro“ noch lange nicht ausgereizt ist. Obwohl in gewisser Weise maximal voneinander entfernt, können Stilrichtungen im Zusammenspiel ganz neue Ergebnisse hervorbringen.

Auch am Abschlussabend des Festivals standen sowohl Jimi Tenor als auch Pekka Kuusisto im Docks mit auf der Bühne. Der eigentliche Hauptakteur – im Sinne von demjenigen, der die meiste Arbeit machte – war UMO, das Uuden Musiikin Orkesteri Jazz Orchester. Die erste Hälfte des Abends bestand aus jüngerem finnischem Jazz von Mikko Hassinen, Kirmo Lintinen und Kari Heinilä – die letzteren beiden sind die aktuellen künstlerischen Leiter von UMO. Das Orchester überzeugte in seiner Spielfreude ebenso, wie es erneut der für die letzten Stücke hinzukommende Pekka Kuusisto tat. Zwischen fast klassischem Swingjazz-Sound und eher progressivem Klang bot diese erste Hälfte des Abends mehr als einfach nur gute Unterhaltung. Im zweiten Teil standen Jimi Tenor und Kompositionen von ihm im Mittelpunkt. Am Schlagzeug wurden Tenor und UMO zudem von Afrobeat-Legende Tony Allen unterstützt. Musikalisch pendelte dieser Teil des Abends zwischen Filmscore, Jazz und Afrobeat und gestaltete sich so einerseits einfach schön und andererseits fast tanzbar.

Vielleicht war Tenors Präsenz in dieser Hälfte und auch im ganzen Festivalprogramm etwas zu dominant, aber es ändert nichts daran, dass das Konzept von Rantakala und die im Ergebnis präsentierten Konzerte eine echte Bereicherung waren. Das Festival erweiterte in vielfacher Hinsicht Horizonte: die der Hamburger nicht nur nach Helsinki, sondern den von U- zu E- und vermutlich auch den von E- zu U-Musik. Rantakala machte Lust auf mehr. Mehr finnische Musik, mehr Grenzen minimierende Experimente und auch mehr Elbphilharmonie(-Konzerte). Wobei: Wie viele Konzerte aller Genres ließen sich mit den Baukosten der Elbphilharmonie subventionieren, wie viele Kulturstandorte retten? Besser nicht drüber nachdenken und genießen.

Fotocredit: Jussi Virkkumaa, Freigabe: Elbphilharmonie

Oliver Bothe

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