Festival-Nachbericht

Phono Pop Festival 2013


Festivalbesuche sind harte Arbeit: schlechtes Essen, stressige Zeltnachbarn, Staub oder – noch viel schlimmer – Matsch überall, dazu kommen noch Überschneidungen im Timetable, die einen fast zur Verzweiflung bringen. So manch einer hat sich bestimmt schon einmal im Laufe seiner Festival-Karriere gefragt, wieso man sich das eigentlich immer wieder aufs Neue antut. Ja warum denn eigentlich, wenn es doch auch ganz anders geht? Ganz ohne jegliche Festival-Unannehmlichkeiten kommt nämlich schon seit mittlerweile acht Jahren das Phono Pop Festival aus. Wir waren wieder vor Ort und ziemlich verzückt über das dort Gebotene.

Nimmt man von Frankfurt aus die S-Bahn Richtung Südwesten und fährt vorbei am Stadion und dem Flughafen, kommt man irgendwann nach Rüsselsheim. Eine Stadt, deren beste Tage – mit Verlaub – wohl schon eine Weile zurückliegen und deren wirtschaftliches Rückgrat, die Automobilindustrie, die Rüsselsheim einst zu Bekanntheit und Wohlstand verhalf, immer mehr von Detroit aus gesteuert wird. In Rüsselsheim läuft das Premium-Modell der Automarke mit dem Blitz vom Band, doch kaum ein Rüsselsheimer könnte es sich leisten. Das Phono Pop ist, gerade vor diesem wirtschaftlichen Hintergrund, besonders wichtig für die Stadt, hilft es doch, die kulturelle Attraktivität zu gewährleisten. So ist es auch nur passend, dass die letzten vier Auflagen des Festivals im stillgelegten Opelwerk im Herzen der Innenstadt stattfanden.

An zwei Tagen und auf zwei Bühnen konnte man auch dieses Jahr wieder extrem entspannt eine Vielzahl an begeisternden Konzerten in den Gassen zwischen den historischen Gebäuden erleben. Sehr erfreulich ist dabei, dass der Zeitplan so angelegt ist, dass er ohne Überschneidungen auskommt. Wer das Durchhaltevermögen und die Motivation dazu aufbringt, kann also in zwei Tagen 16 Konzerte, eine Lesung und zwei After-Show-Partys mitnehmen. Dazu gehört auch die traditionelle Völkerwanderung zwischen den Bühnen – ist das eine Konzert beendet, hat man fünf Minuten Zeit, um entspannt um drei Ecken zu biegen und zur anderen Bühne zu pilgern. Dass wirklich fast sämtliche Besucher die Möglichkeit dieses Bühnen-Hoppings wahrnehmen, beweist zwei Dinge: zum einen, dass die Macher des Festivals mit der Annahme, ein Festival für Liebhaber zu veranstalten, richtig liegen. Phono-Pop-Fans sind fanatische Musikverehrer, angetrieben von der Suche nach tollen Neuentdeckungen und dem Genuss des erstaunlich abwechslungsreichen Programms. Zum anderen spricht es für das Booking, dass man sich kein Konzert freiwillig entgehen lässt. Tatsächlich könnte man fast sagen, man könne der Band-Auswahl blind vertrauen und selbst dann glücklich werden, wenn man vor dem Festival noch überhaupt keinen der auftretenden Acts kennt. Das liegt wohl auch daran, dass die Künstler vorrangig wegen ihrer Live-Qualitäten gebucht werden und nicht wegen der Zugehörigkeit zu diesem oder jenem Genre. Konkret sah das dieses Jahr so aus, dass mit den Local Natives eine Psychedelic-Folk-Rock-Band direkt vor dem Elektro-Act HVOB auftrat und am darauf folgenden Tag ein melancholischer Songwriter wie Scott Matthew und die energiegeladene neuseeländische Punkband Die! Die! Die! auf der gleichen Bühne zu finden waren.

Schon beim Betreten des Festival-Geländes macht sich ein wohliges Gefühl breit, man trifft auf alte Freunde und Menschen, die in den nächsten Tagen vielleicht noch zu Freunden werden. Dies ist umso wahrscheinlicher, als man angesichts der überschaubaren Größe tatsächlich immer wieder den gleichen Leuten über den Weg läuft und schon bald den einen oder die andere mit Namen kennt. Das Publikum war auch in diesem Jahr wieder durchweg angenehm, keine Sauf-Prolls und eine eher geringe Hipster-Dichte – ein Schild, das mir auf einem anderen Festival dieses Jahr aufgefallen war, trifft es sehr gut: "Endlich normale Leute!". Angesichts der Qualität der Konzerte klappt die erhöhte Serotonin-Ausschüttung auf dem Phono Pop auch gänzlich ohne irgendwelche Hilfsmittel. Schaden kann hierbei natürlich das exzellente Essen, das an dieser Stelle besonders lobend hervorgehoben werden soll, nicht. Die Pasta mit Rucola-Mandel-Pesto vom "Goldenen Hirsch" ist einfach jedes Jahr wieder der Hammer!

Von den einzelnen Konzerten traut man sich kaum, eines besonders hervorzuheben. Ausgesprochen intensiv waren jedoch sicherlich die Auftritte der Suuns und der schon erwähnten Die! Die! Die!. Schade bloß, dass Suuns am Freitag ein klein wenig zu früh gespielt haben, in der Dunkelheit wäre ihr hypnotischer, doch gleichzeitig dynamischer Post-Punk sicher noch eine Spur besser gekommen. Am Samstagabend lieferten The Thermals dann eine unglaubliche Show ab. Vor ihrem Konzert, das auch das letzte des Festival-Wochenendes war, standen die Veranstalter auf der Bühne, bedankten sich artig beim Publikum und plauderten etwas aus dem Nähkästchen über den ersten Auftritt der Thermals beim Phono Pop 2007. Damals spielte die Band sämtliche Songs, die sie zu diesem Zeitpunkt hatte, und bei dem irrsinnigen Tempo, dass sie beim Gig dieses Jahr an den Tag legte, konnte man fast meinen, sie würde dies wieder versuchen – wohlgemerkt sind das mittlerweile sieben Alben und einige EPs! Nach diesem Auftritt bleibt wirklich zu hoffen, der Kommentar der Festival-Macher, die Thermals könnten ab jetzt jedes Jahr Headliner sein, war ernst gemeint.

Mit dem Phono Pop beherbergt Rüsselsheim, diese seltsame Stadt mit Silvias Imbiss-Oase, einer Pension voller Kuscheltiere und einer Innenstadt, in der man an einem Samstagnachmittag um 14 Uhr kaum noch jemanden antrifft, wirklich eine Perle in der deutschen Open-Air-Landschaft – hoffentlich wird das dort zu schätzen gewusst und das Festival bleibt noch lange erhalten!

Christoph Herzog

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