Festival-Nachbericht

Melt Festival 2019


Rekordkulisse, Festivalunterbrechung, Programmänderungen – es ist viel passiert beim diesjährigen Melt Festival. Wie genau das Wochenende ablief und welche musikalischen Höhepunkte in Ferropolis gesetzt wurden, lest ihr hier.

Während der etwas über eine Stunde dauernden Fahrt aus Richtung Berlin ballert Vacants letztjähriges Album "Origins" als ideale Fahr- und Festivaleinstimmungsmusik aus den Boxen. Ziel der Reise: Ferropolis, wo an dem Wochenende vom 19. Juli das Melt Festival stattfindet. Ohne größere Verzögerungen stehen wir wenig später auf dem staubigen Grund des Festivalgeländes, auf dem vor wenigen Tagen noch das Splash residierte. Ein paar Dixies tragen noch deutliche Zeichen, dass es dort etwas wilder zugehen mag – während das Melt sich neben dem Programm vor allem dadurch auszeichnet, ein sehr entspanntes Publikum zu haben. Einige Sorgen vorab gab es dementsprechend, denn sieht man sich das Booking der 2019er Ausgabe an, ist dieses Melt nur ein halbes Melt – und ein halbes Splash. So viel vorab: Grundsätzlich gelang der Spagat. Das Besucherverhalten blieb entspannt und auch für den Veranstalter scheint die Rechnung aufzugehen. Mit offiziell um die 25.000 Besuchern stellte man einen neuen Rekord auf, nachdem es in den letzten Jahren so einige leere Flächen auf dem Gelände und vor den Bühnen gab. Eine der Stärken des Melt ist es, dass man davon am ganzen Wochenende wenig merkt. Durch die breite Bühnenverteilung verläuft es sich auf dem eigentlichen Festivalgelände, sodass nur an einem Ort ein Gefühl der Enge entsteht, aber dazu später mehr.

Auf den ersten Blick ist das Line-up in diesem Jahr deutlich dünner als bei den vorherigen Ausgaben. Bestes Beispiel: Die Hauptbühne. Bislang bis in die Nacht hinein bespielt, treten nun nur noch 4-5 Acts pro Tag dort auf, planmäßig ist gegen zwei Uhr Schluss. Auf der anderen Seite sind es ingesamt sieben Bühnen, auf denen Programm läuft, in der Regel bis zum Sonnenaufgang, auf dem Sleepless-Floor sogar rund um die Uhr. Zudem ist das Melt ein Festival, bei dem die Namen auf den größeren Bühnen zwar wichtig sind, man sich aber auch gut einfach irgendwohin treiben lassen kann. Im Wald am Strand bieten sich so drei kleinere Bühnen an, die immer mal wieder für einen Zwischenstopp zum Tanzen einladen. Highlight ist dabei wohl die Sensi Stage, welche komplett gehäkelt (!) ist.


Foto-Credit: Danilo Rößger/www.allerorts.de

Programmatisch ist der Freitag sehr breit aufgestellt und entspricht am ehesten dem Vintage Melt. Durchstartende Indienewcomer wie Nilüfer Yanya, Giant Rooks oder die zu dem Wetter extrem gut passenden Cari Cari einerseits, großes Elektrogeballer mit Modeselektor andererseits (deren Bass sicher noch in mehreren Kilometern Umkreis gescheppert hat), dazu Entspanntes wie Elderbrook oder HVOB am Strand. Ein einziges Manko lässt sich jedoch schnell feststellen: Die Big-Wheel-Stage, die man nun eigentlich Small-Wheel-Stage nennen müsste. Man hat diesen Bühnen ein neues Grundkonzept verpasst: ein 360-Grad-Innenraum, bei dem in einer Ecke das DJ-Pult versteckt ist. Soundtechnisch eine absolute Bereicherung, nur ist der Kreis sehr klein geblieben, sodass teilweise nicht an tanzen zu denken ist, wenn es von allen Seiten voll ist. Etwas überraschend wirkte im Vorfeld auch die Ankündigung, die gerade erst durchstartende Jorja Smith als Headlinerin zu präsentieren: Eine Rechnung, die absolut aufgeht, so begeisternd und raumgreifend wie die junge Engländerin die Bühnen einnimmt. Mit der "etwas anderen" R'n'B-Künstlerin Sudan Archives am Strand gelingt zudem das nächste Experiment. Ihr Sound ist alles andere als eingängig, immer wieder nimmt sie selbst eingespielte Violinenspuren und Geräusche auf, um diese zu loopen und schließlich drüber zu singen. Das Resultat ist stets gut, der Weg dahin jedoch fordernd. Völlig unverständlich bleibt jedoch nach wie vor, warum RIN gebucht wurde – steht der Autotunerapper doch im Grunde mit seinen sexistischen Texten entgegen jenen immer wieder gezeigten Leitlinien des Festivals. Wäre er lediglich Besucher, würde er genau zu der Art Menschen gehören, die man nicht an diesem Ort haben wollen würde.

Samstag ist Kulturtag! Da die ersten Acts immer erst um 16 Uhr starten, bleibt ein halber Tag für die Besucher, um sich anderen Aktivitäten zu widmen. Da die Temperaturen bereits morgens um 8 bereits wieder dafür sorgen, im Zelt nicht mehr schlafen zu können, zieht es in dieser Zeit die meisten Besucher zum See. Premiere feiert dieses Jahr noch ein anderes Angebot: In Zusammenarbeit mit der Welterbecard können einige kulturelle Attraktionen im Umfeld genutzt werden, was sich durchaus lohnt. Nach Wittenberg und Dessau fahren dabei tagsüber sogar Shuttlebusse. Der diesjährige Samstag wird sich im Laufe des Tages zu einem munteren Würfelspiel an Auftritten, Spielzeiten, Zu- und Absagen entwickeln. Knapp vor dem Festival wird bekannt gegeben, dass Stormzy den inhaftierten A$AP Rocky als Headliner mehr als würdig ersetzt. Freitag taucht dann plötzlich Haiyti an Stelle von Agar Agar im Timetable auf. Samstag dann verschwindet auch letztere wieder und BLVTH steht ab 20:15 Uhr auf der Bühne. BLVTH ist ebenfalls Autotune-Rap und wer auf dem Melt zum ersten Mal mit solcher Musik live konfrontiert wird, muss wohl erahnen, wie es vor vielen Jahren der älteren Generation erging, als Punk aufkam. Offen zur Schau gestellter Dilettantismus, nur dieses Mal nicht auf die Instrumente bezogen, sondern die Gesangsperformance. Wie auch bei RIN: dieses Genre darf gern eine Woche früher an gleicher Stelle stattfinden. Als nächstes kommt, was zu erwarten war: Das Wetter, beziehungsweise Unwetter. Bereits im Vorfeld hatte es sich angekündigt, kurz vor 22 Uhr wird es dann tatsächlich still auf dem Gelände: Erst die Durchsage einer Unterbrechung, wenige Minuten später die Evakuierung. Problem dabei: Zum einen kommt das Gewitter aus Richtung Campingplatz/Parkplätze und zum anderen ist es bereits da. Die Vorlaufzeit reicht nicht, um den etwa 30 Minuten Fußweg entfernten Platz anzusteuern – zumal ein Campingplatz im Gewitter auch nicht die beste Wahl ist, genauso wie der davor liegende Wald auf dem Weg dorthin. Shuttlebusse gibt es vier an der Zahl, die genau einmal fahren. So bleibt vielen auf dem Gelände nur das Unterstellen kurz davor beim Sleeplessfloor, unter dem ständigen Antreiben der Securities, doch bitte Richtung Wald zu laufen. Als Besucher macht sich an dieser Stelle das Gefühl breit, dass für diese spezielle Situation kein wirkliches Konzept erkennbar ist, beziehungsweise die Meldung einfach zu spät durchgegeben wird. Gegen Mitternacht wird das neu zusammengestellte Programm fortgesetzt und diejenigen, deren Zelte das Gewitter überstanden haben, können mit nächtlichen Auftritten von Bilderbuch, Stormzy oder Four Tet in den Sonnenaufgang feiern.


Foto-Credit: Danilo Rößger/www.allerorts.de

Sonntag früh kann man sich ein Bild von den Schäden machen. Quasi sämtliche Pavillons des Geländes sind weg. Besucher, deren Zelte es nicht überstanden haben, können jedoch auf die Hilfe des Veranstalters zählen: Sie können entweder in Gräfenhainichen in einer Turnhalle übernachten, ansonsten stellen die Verantwortlichen auch ein kleines Kontingent an Ersatzzelten. Das Bühnenprogramm verläuft ganz nach Plan, wenngleich nicht ganz fehlerfrei. Parra for Cuva, der ab fünf am Strand zu bestem Wetter den dazu passenden Chillelektro auflegt, geht zwei Mal der Strom aus, was die positive Stimmung ihm gegenüber aber sogar verstärkt. Am frühen Abend steht mit Skepta, der neben Stormzy zweite große Name des Grime, auf der Bühne. Mit seinen Ansagen als "Fitness Instructor", der für "Energy" sorgt, wirkt er wie ein antreibender Sportlehrer, der die Menge zum kollektiven Workout ermuntert. Zum Runterkommen eignet sich wenig später genau das musikalische Gegenteil: Bon Iver geben sich die Ehre. Mit opulenter Lichtshow und einer Best-Of-Setlist ist die Band um Justin Vernon in vielerlei Hinsicht das Bindeglied zwischen verschiedenen Stilen des Festivals. Ist das ältere Material eher indierockig, sind es die Stücke ab "22, A Million", welche mit verzerrten Spielereien nicht zuletzt im Gesang den Bogen ins Elektronische schlagen. Nach diesem sehr intensiven, ja schönen, Auftritt läuft auf den anderen Bühnen noch Programm – wer möchte, kann sich beispielsweise von Arca am Strand anschreien lassen – jedoch ist für viele hier ein passender Festivalabschluss.

Als Fazit bleibt ein trotz der widrigen Umstände und programmatischen Neuorientierung sehr gutes Festival in Erinnerung. Einige Dinge funktionieren nicht so, wie sie sollen (im Laufe des Festivals kommt zudem eine Debatte um die bei Splash und Melt eingesetzte Securityfirma hoch, was eigene Erfahrungen und auch Mitreisende bestätigen). Der Sound ist auf allen Bühnen astrein, über sanitäre Versorgung und/oder Wasserstellen kann man nicht meckern. Auch das Publikum ist über weite Strecken angenehm, rücksichtsvoll und entspannt, wie man es vom Melt gewohnt ist. Bestes Beispiel dafür ist nochmal der Auftritt Bon Ivers, bei dem selbst die ruhigen Stellen angemessen gewürdigt werden. Musikalisch scheint die Rekordbesucherzahl den Veranstaltern in der Ausrichtung recht zu geben, wenngleich dadurch sicherlich einige alte Besucher gehen, andere wiederum kommen werden. Wünschenswert wäre ein flächendeckendes WLAN auf Gelände und Campingplatz: nicht nur für die Instagram-Schönheiten, sondern auch zum Zweck der Sicherheit – die Infos zum Unwetter kamen etwa per App, nur muss man dafür auch Netz haben.


Foto-Credit: Danilo Rößger/www.allerorts.de

Klaus Porst

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