Festival-Nachbericht

Greenville Festival 2012


Vom 27. bis 29. Juli fand in Paaren/Glien das erste Greenville Festival statt. Wir waren dabei und haben uns das neue Festival in der nähe Berlins angeguckt.

Ein Festival vor den Toren Berlins zu begründen, ist bei zehntausenden, vielleicht hunderttausenden Musikliebhabern in der Partyhauptstadt der Republik alles andere als eine Schnapsidee. Pendelten die Feierwütigen bis dato zum Hurricane oder zur Fusion – also ein ganzes Stück –, wirkte eine verkürzte Anreise wie eine Win-Win-Situation für Besucher und Veranstalter. Zwar hat sich mittlerweile das Berlin Festival im Herzen der Stadt etabliert, doch das bietet in erster Linie ein gutes Line-Up, mangels Camping aber wenig Festivalfeeling.

Das dachte man sicher auch im Büro des Konzertveranstalters Creative Talent – und hob das Greenville Festival in Paaren/Glien aus der Taufe. Unmengen an Werbung und eine bunte Mischung an Bands von Iggy & The Stooges über The Roots bis hin zu Scooter dürfte einen ganzen Teil der Zielgruppe zumindest einmal ins Grübeln gebracht haben: "Paaren wo? – Kommt man da mit der S-Bahn hin?". Da Berlin und seine durchschnittlichen Besucher zwar sexy, aber arm sind, stellt ein Festival außerhalb der Stadtgrenzen eine Herausforderung an die Logistik dar. Zudem gilt: "Was der Berliner nicht kennt, frisst er nicht" – denn mit Ausnahme der bereits genannten, arrivierten Veranstaltungen verlassen die Berliner ihre Stadt ungern, um feiern zu gehen. Bei einem täglich schier unendlichen Programm in Clubs, Kellern und Multifunktionshallen der Hauptstadt muss alles passen, um der Zielgruppe den Aufenthalt schmackhaft zu machen. Leider krankt das Greenville anfangs genau in diesem Punkt.

Auf die Verbindung zum nächstgelegenen Bahnhof Brieselang hat zwar der Veranstalter keinen Einfluss, wohl aber mag zu überlegen sein, wie man denn bei einem Festival mit "grünem" Anspruch die nicht mit dem Auto anreisenden Gäste per öffentlicher Verkehrsmittel an den Ort des Geschehens bringt. Üblicherweise bietet sich dafür ein Shuttlebus an. Den bietet auch das Greenville-Festival, jedoch mit zum Teil haarsträubenden und vor allem mehrstündigen Fahrpausen, die so manchen Besucher schon am ersten Festivaltag im schnuckeligen, aber musik- und taxifreien Brieselang, fünfzehn Kilometer abseits des Geschehens, stranden lassen.

Nicht viele Gäste finden sich daher in den ersten Programmstunden am Freitagnachmittag ein. Nur einige Hundert von ihnen lungern im Schatten am Rande der Bühnen, obwohl das Festival mit schönstem Sonnenwetter aufwartet. Auf der Main Stage geben The Real McKenzies ihr Bestes, um trotzdem die nötige Atmosphäre zu erzeugen. Doch so richtig Stimmung will nicht aufkommen angesichts des vielen Platzes auf den frisch gemähten Rasenflächen. Olli Schulz, der später die zweite Bühne bespielt, nimmt es mit seinem eigenwilligen Humor. Den kann er sich aber auch leisten, denn im Gegensatz zu seinen Clubkonzerten lassen sich rund 1000 Zuschauer als guter Zuspruch werten. Vor lauter Aufregung scheint er einen Großteil seiner Songs vergessen zu haben. So füllt er die Zeit eben damit, den Zuschauern Anekdoten aus seinem Leben zu erzählen. The Big Pink ergeht es da wesentlich schlechter. Die Briten spielen zwar ein großartiges Set, hauptsächlich mit Songs des zweiten Albums (gegenüber Schulz sitzt hier jede Zeile), doch nur wenige Dutzend Menschen finden den Weg vor die große Bühne, in deren Front locker 5.000 Platz fänden. Ziemlich enttäuschend für eine Band, die es mit "Dominos" immerhin in die oberen Gefilde der britischen Charts geschafft hat.

Gegen Abend wird es dann endlich voller, vor allem bei Deichkind, die auf die exzentrische Show der Flaming Lips noch einen draufsetzen und einen ihrer fast schon legendären Festivalauftritte bestreiten: Im ersten Teil wird das aktuelle Album mit einer bis zum letzten Schritt einstudierten Choreografie gespielt, ehe man zu den Hits "Bon Voyage" und "Krieg" übergeht und schließlich die altehrwürdige Zitze in Form eines riesigen Fasses zu "Roll das Fass 'rein" in die Zuschauermenge fährt, in dessen Mitte sich die Band durchs Publikum ziehen lässt. Das Wetter hält, die ersten Schauer lassen sich Zeit, bis die letzten Zeilen von "Remmidemmi" verklungen sind.

Nur unwesentlich mehr los als am Freitagnachmittag ist am Samstag. Am späten Nachmittag kann sich jeder Besucher einen persönlichen Stand in dem Bereich, der für Verpflegung bereitgestellt ist, aussuchen. Die Pizzabäcker und Trockenfrüchteverkäufer drehen Däumchen. Was jedoch positiv auffällt: Es gibt wenig Werbung, kein nerviges Gedudel der Bars und selbst die Marken-Schriftzüge der Bierwagen sind großflächig überklebt, stattdessen kann Greenville-Bier erworben werden. Welchen Gerstensaft man sich einverleibt, erfährt man erst auf Nachfrage. Das passt in ein – mit Ausnahme der angesprochenen Shuttle-Problematik – gutes Konzept. Viel voller wird es allerdings auch an diesem Abend nicht, obwohl die Acts ein breites Spektrum an Genres bedienen. The Roots geben sich die Ehre und begeistern mit einer bunt instrumentierten Show aus fetten Rhymes, gepaart mit jazzartigen Rockausflügen. HGich.T locken die Besucher in eine riesige Reithalle. Bei allem Platz, den der Raum bietet, ist man während der verstörenden Performance nie so ganz vor den Bandmitgliedern und ihren Umtrieben sicher und wer mutig oder betrunken genug ist, dem geht die Band schon mal an Haut und vor allem Haare. Unmittelbar davor brettern sich Callejon durch ein aggressives Set. Der krönende Abschluss des Tages ist Scooter vorbehalten, die im strömenden Regen ein Best-Of zum Besten geben, zu dem sekündlich Pyrotechnik in den Brandenburger Himmel geschossen wird und zwei wasserstoffblonde Animateurinnen zeigen, was man im Gymnastikunterricht so lernen kann: Hyper, hyper!

Am Sonntag heißt es dann für den eingefleischten Festival-Besucher wie eh und je: Augen zu und durch. Die Kühlakkus sind längst lauwarm, der Pavillon hat dank nächtlichen Unwetters zwei weitere Löcher vorzuweisen und der Sonnenbrand vom Freitag lässt sich problemlos abpellen. Zum meckern und jammern bleibt allerdings noch nach dem Festival Zeit, da an diesem Tag noch ein Highlight ansteht: Iggy Pop himself erweist dem verschlafenen Paaren die Ehre. Den meisten Bewohnern dürfte das angesichts des fortgeschrittenen Durchschnittsalters herzlich egal sein, doch die Unerschrockenen, die die Anreise gewagt haben, kommen voll auf ihre Kosten. Iggy, stolze 65, turnt und springt auf der Bühne herum, wie es so mancher heute 20jähriger nicht in der Lage ist. Mag der Rest der Band nur noch die Stunden bis zum Ruhestand herunterzählen, Iggy selbst kennt kein Alter. Zuvor gab es an diesem Tag die etwas schüchternen 2:54 zu bestaunen, deren Debütalbum perfekt in die kalte Ästhetik der Reithalle passte sowie den Auftritt des Überraschungshighlights O'Children, die sich in Düstermanier eines Nick Cave durch ihr Set schrammelten. Turbonegro zeigten auf der Hauptbühne, dass der neue Sänger Tony Sylvester den neuen Songs zwar gut einheizen kann, die großen Hits aus der alten Zeit jedoch wirkten fernab von dem Sound, den die Band mittlerweile gefunden hat. Zwischendurch bot sich ein reiches Kontrastprogramm von den Donots bis zu den dicken Beats eines Dizzee Rascal.

Zu hoffen bleibt, dass sich das Festival trotz des mageren Zuspruchs im ersten Jahr etablieren kann. Geplant für 2013 wird schon, erste Bands hat man bereits verpflichten können. Selbst eine deutliche Erweiterung des Geländes hält man sich offen. Aber ob es dazu kommt? Schon so einige ambitionierte Musik-Projekte in und um Berlin sind in der Vergangenheit in jenem Boden versunken, aus dem sie gestampft worden sind. Zu wünschen sei dem Greenville ein nachhaltiger Erfolg, denn wenn man die Anreiseproblematik in den Griff bekommt, bietet das Festivalgelände nebst buntem Programm so einiges, was Lust auf mehr Auflagen dieses Events irgendwo da draußen vor den Toren Berlins macht.

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Mischa Karth, Klaus Porst

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