Festival-Nachbericht

Dockville Festival


Irgendetwas stimmt doch hier nicht: Es ist Freitagabend, es regnet nicht, das Gepäck besteht aus nicht mehr als ein bisschen Geld, Handy und dem üblichen Kleinkram. Aber: Man befindet sich auf dem Weg zu einem Festival. Ohne Zelt, ohne Schlafsack, ohne Gummistiefel. Gut, letztere könnte man später noch vermissen, wenn man dem Wetterbericht trauen darf, aber die restlichen Utensilien sind schlicht und ergreifend überflüssig. Denn wir reden hier schließlich vom Dockville, dem patentierten Elbinsel-Kunst-Musik-Festival. Im Volksmund auch liebevoll „Hamburg-Hipster-Tage“ genannt.

Der Vorteil einer solchen innerstädtischen Veranstaltung liegt auf der Hand: Man übernachtet im eigenen Bett, bei Freunden oder im Hostel. Festival light, sozusagen. Dass die Campingplatz-Tickets dennoch ausverkauft waren, deutet darauf hin, dass das etwas unausgegorene Line-up und/oder die Stadt Hamburg auch einen ganzen Haufen Leute von außerhalb angezogen haben. Wie man später allerdings vernehmen sollte, gab es auch fuchsige Hamburger, die ebenfalls ihre Zelte auf dem schönen, baumbewachsenen Platz aufschlugen – nicht, um dort zu übernachten, sondern um Klamotten und Bier zwischen zu lagern.

Ein Blick auf das Line-up und den Timetable lässt einen etwas ratlos zurück, unsicher, ob die Veranstalter den Besuchern einfach die ganze musikalische Bandbreite bieten wollten oder ob man doch nur mittelmäßige Bands gebucht bekommen hat. Die Klaxons als Headliner? Die sind doch seit gefühlten 100 Jahren schon wieder out. Jan Delay wiederum ist eine Größe, die so und nicht anders zu erwarten war. Dazu gibt es Slime reloaded und Therapy, von denen geschätzte 95% der minderjährigen Besucher noch nie gehört haben. Und zur Begrüßung am Freitagabend veranstalten K.I.Z. eine Federnschlacht und lassen obercoole Sprüche übers Scheißen auf die unschuldigen Besucher-Seelen los. Aber richtig, das ist ja guter Aggro-Berlin-Hip-Hop.

Später gibt es auf der zweiten Bühne noch die ziemlich langweiligen I Blame Coco, genetisch, wenn auch nicht musikalisch eng mit Sting verwandt. Auch Dúné hinterlassen keinen bleibenden Eindruck. Dafür feiern auf der Hauptbühne Wir Sind Helden ihr Comeback nach Judiths Schwangerschaften. Die Freude, wieder auf der Bühne zu stehen, ist sichtlich vorhanden, auch wenns musikalisch noch nicht ganz rund läuft. Ein wenig gehen die Interessen von Publikum (die wollen die Hits) und Band (die wollen ihre neuen Songs präsentieren) auseinander, aber spätestens als Frontfrau Holofernes Witze über das angebliche „Schwarmbewusstsein“ der Zuschauer reißt, ist die Harmonie wieder hergestellt.

Am Samstag geht es – frisch geduscht und ausgeruht, welch ein Luxus – mit den „Festival-Huren“ (Zitat Helga-Forum) von Friska Viljor weiter. Die machen ihren Job ganz ausgezeichnet, was aber bei so viel Live-Routine und gefühlten 1000 Auftritten allein in Deutschland in diesem Jahr kaum ein Wunder ist. Andererseits: Dabei noch so energetisch zu wirken, ist vermutlich auch eine Kunst. Zweitbeste Band des an Highlights etwas armen Festivals, definitiv. Aber geht es hier wirklich um Musik? Zwischen den Bandauftritten gibt es Poetry Slams und gutes Essen en masse, aber vor allem: Kunst, Kunst, Kunst. Und auch das Abhängen auf dem mit viel Holz, Spielplätzen und diversen Sitzgelegenheiten so liebevoll gestalteten Gelände scheint die Hauptaufgabe einiger Besucher zu sein.

Das Wetter hält auch während des eher unspektakulären, aber musikalisch gelungenen Auftritts vom Bombay Bicycle Club. Später geht’s klassisch hanseatisch mit den Sternen weiter und anstelle der schrecklichen Bonaparte wird lieber über das weitläufige Gelände gestreift. Später feiern die Klaxons einen eher rockigen als ravigen Auftritt. Leer ist es hier um die Uhrzeit vor der Hauptbühne, was entweder ein Hinweis auf die Popularität von Frittenbude sein könnte oder darauf, dass der Live-Auftritt der Band offenbart, was sie schon immer war: Mittelmaß. Der Nachhauseweg nimmt übrigens auf Grund eines massiven Mangels an Bussen und Taxis zur S-Bahn-Station Wilhelmsburg mehr Zeit in Anspruch als die Fahrt Southside nach Hannover – naja, fast.

Der sonntägliche Himmel sieht noch bedrohlicher aus als an den vorangegangenen Tagen. Trotzdem sind der versprochene Starkregen und die Gewitter bislang ausgeblieben. Die Hipster der Good Shoes machen den musikalischen Indie-Anfang. Aus irgendeinem Grund hat die Soundqualität im Vergleich zu den letzten beiden Tagen auf der Hauptbühne massiv abgenommen. Es ist laut, und zwar wirklich unerträglich laut. Drüben auf der zweiten Bühne beehren Fanfarlo das Dockville. Hier ist der Sound besser und die Band ganz famos. Kleine, liebenswerte Melodien und ein sympathischer Sänger machen den Auftritt der Schweden zum besten des Tages. Danach gibt es bei den wiedervereinten Slime (einer St.Pauli-Punk-Institution) einen politischen Kracher nach dem anderen auf die Ohren: Baader, Meinhof hingerichtet im Stammheimer KZ. Polizei SA-SS, immer hilfsbereit und immer nett. Ratlose Gesichter bei den Indie-Kiddies.

Also schnell rüber zu den Drums, die sich einmal mehr in Ian-Curtis-Posen und überzogenem Gesang verlieren. Das kann man furchtbar, albern und inszeniert finden – oder sich einfach gut amüsieren. Voll ist es hier auf jeden Fall. Später, zu Jan Delay, schlägt der Regen dann doch noch zu. Land unter. Die Massen flüchten nach Hause, Mama und Papa sammeln ihre Kids ein. Wie gut, dass auf die meisten nur ein paar Autominuten entfernt ein warmes Bett wartet. Festival light eben.

Lisa Krichel

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