Festival-Nachbericht

BootBooHook Festival


"Art Brut, Frittenbude, Bonaparte, da kann kein großes Festival mithalten." – die Meinung von Sebastian aus Köln, einem von 5000 Besuchern des BootBooHook-Festivals, scheinen viele Menschen zu teilen. Zwischen der gemütlich dahin plätschernden Ihme und den großen Ziegelschornsteinen des Kulturzentrums Faust liegen unzählige Musikfreundinnen und Musikfreunde im Gras und warten darauf, dass der elektrolastige Sonnabend Fahrt aufnimmt. Und eine ganze Reihe von ihnen trägt "Audiolith"-Shirts und Bonaparte-Masken.

Bis zum Festivalgelände sind Sebastian und seine Freunde derweil noch gar nicht gekommen: Sie entspannen noch an ihrem Campingplatz im Grünen. Der liegt nur einen Steinwurf entfernt und spannt sich auf einem schmalen Streifen entlang der Ihme. "Schwimmen waren wir auch schon", meint Sebastian und mit Blick auf das kühle Nass erscheint das bei den sommerlichen Temperaturen als gelungene Abwechslung. Sie wollen sich dennoch "gleich langsam auf den Weg machen", ergänzt der Kölner – aber was heißt das schon? Kurze Wege und gute Organisation ergeben völlige Entspannung.

Vielleicht liegt auch in der allgemeinen Entspannung ein Grund, warum 24 Stunden zuvor – am Freitagnachmittag – recht wenig los ist, als Get Well Soon ihr Set beginnen; Vielleicht gab es aber auch einfach zu viele Gelegenheiten in jüngerer Vergangenheit die Musiker um Konstantin Gropper zu sehen. Egal – unmittelbar nach Konzertbeginn legt sich die unnachahmliche Mischung aus traurigen Trompetenklängen und xylophongeschwängerter Luft auf das Publikum. Gropper zeigt einen kurzen, untypischen Gefühlsausbruch, kurz darauf hat er sich wieder beisammen. "Es ist immer schwierig, nach einer der besten Bands Deutschlands zu spielen: den Goldenen Zitronen", spricht er in sein Mikrofon. So richtig kann man ihm das in seiner karierten Hose und seinem weißen Hemd nicht glauben, wenn man an Die Goldenen Zitronen zurückdenkt, die die Bühne vor einer Stunde in einer Art Bademänteln bespielt und dabei einen ziemlich rumpeligen Eindruck hinterlassen haben.

Nach einigen Songs vom letzten Album "Vexations" beginnt Gropper abstruse Fakten über Hannover aufzuzählen, die er im Internet recherchiert hat. Nein, es sind nicht die Entertainer-Qualitäten, wegen derer die Zuhörer verweilen. Es sind die Songs von Get Well Soon. Und die nehmen zum Glück deutlich mehr Raum ein als die Ankündigungen. "If This Hat Is Missing I Have Gone Hunting" klingt mit den Shouts wunderbar lebendig und "I Sold My Hands For Food So Please Feed Me" bildet den würdigen Abschluss eines tollen Auftritts.

Als nächstes stehen Junip in den Startlöchern der großen Open-Air-Bühne des BootBooHook. Den Anfang könnte man glatt verpassen, so unscheinbar – optisch wie musikalisch – beginnen die Jungs aus Göteborg. Zunehmend mischen sich in die psychodelisch-monotonen Tracks unangenehme Knarzgeräusche der Sound-Anlage, so dass es nicht Schade darum ist, den Auftritt frühzeitig zu verlassen. Immerhin schickt sich eine weitere, verheißungsvolle Band aus der südschwedischen Küstenstadt an, Hannover zu beschallen: Die Postrocker EF bespielen eine der beiden kleinen Club-Stages. Das Gefühl, was sich angesichts von zweihundert Leuten inmitten der 60er-Jahre-Halle ausbreitet, passt perfekt zu den Gebilden aus fast lautlosen Parts und temperamentvollen Ausbrüchen, die die Schweden in reger Folge kreieren und die sie nach dem dritten Album in Perfektion beherrschen. Nur fünf Tracks umfasst die Setlist – eingerahmt von "ETT" und "Tomorrow My Friend..." – und doch wird es am Ende eine Stunde Spielzeit. Nach kurzer Diskussion mit dem Veranstalter gibt es eine zehnminütige Zugabe.

In der Dunkelheit haben mittlerweile auch Wir Sind Helden ihren Auftritt begonnen und von Konzert-Müdigkeit ist bei Band und Zuschauern wenig zu spüren. Das Gelände ist noch einmal etwas voller geworden, zudem sitzen viele Zuhörer vor dem Eingang und lauschen kostenlos den Texten von Judith Holofernes an diesem August-Abend. Spritzig wie in glorreichen "Denkmal"-Tagen geben sich die Norddeutschen: mitsamt Cover-Einschub von "These Boots Are Made For Walking" im Anschluss an "Nur ein Wort". Etwas rockiger klingen sie als früher, die Bläser sind verschwunden. Die Resonanz auf die jüngeren Songs ist indes verhalten. Trotzdem beschließen Wir Sind Helden den Freitag würdig mit riesigen Schatten und Stroboeffekten – das hätte sicherlich auch den Goldenen Zitronen gefallen.

Das Samstagspublikum ist ein ganzes Stück jünger, was vor allem Frittenbude geschuldet sein dürfte. Die Neo-Raver ziehen ihre treuen Fans an, da macht es auch nichts, dass sie gefühlt schon in jeder deutschen Stadt mit mehr als 50.000 Einwohnern aufgetreten sind. Und klar: Da wo Audiolith-Bands spielen, da ist Party. So kommt in der Dämmerung zum ersten Mal richtige Festivalstimmung auf. "Jetzt macht mal jeder ein bisschen Krach für sein eigenes Leben", fordert Johannes Rögner die Zuschauer auf. Die folgen seinem Aufruf gern. Trotz ausgefallenem Gesangs-Monitor schlägt sich das Trio wacker, aber viel verkehrt machen kann man dieser Tage nicht mit Egotronic- und ClickClickDecker-Coverversionen. Und die ureigenen Songs sind, nun ja, auch nicht das Anspruchsvollste, was der Tag zu bieten hat. Egal, Spaß macht's trotzdem.

Da ist Bonaparte, Headliner des Abends, schon wesentlich umstrittener. Nicht nur musikalisch präsentieren sich die Berliner reichlich limitiert, auch das Auftreten ist wenig stilsicher. Ein Mann in Hochzeitskleidern räkelt sich auf der Bühne, ein geschminkter US-Cop patroulliert durch die Musiker und eine Frau im engen Latex-Kostüm mimt einen Obstkorb und schmeißt Bananen und Weintrauben ins Publikum. Klar ist das Absicht, und wer Theater mag, der darf sich hier unterhalten fühlen. Ständig passiert etwas. Aber wo ist die Substanz? Das Konzept, Tabus zu brechen und Verwirrung zu stiften, ist mehr als durchsichtig. Umso verblüffender, dass es noch immer Früchte trägt: 2009 standen Bonaparte an selbiger Stelle ein ganzes Stück weiter unten im Timetable.

Zum Glück gibt es noch Alternativen in den beiden Clubs. Während im tropisch heißen Mephisto Tusq aus Hamburg ihren melancholischen Indie-Rock hanseatischer Prägung spielen, bringen Transmitter mit einer Mischung aus Drum'n'Bass und Crossover die 60er-Jahre-Halle zum Tanzen. Dazu gibt es knackige Visuals als Extra zum Tagesausklang. Wer dann noch nicht genug hat, der kann auf gleich drei Floors weitermachen – besonders im Blickpunkt die Silent Disco, die trotz mittelmäßigem Sets von Ja!kob & Rampue ohne Ende Spaß macht.

Der Sonntag ist als dritter Festivaltag erst in diesem Jahr hinzugekommen und im Gegensatz zu den beiden anderen Tagen liegt der Fokus einzig auf der Open-Air-Bühne. Hier dürfen sich gestandene Singer/Songwriter präsentieren und die Namen Christian Kjellvander, Timber Timbre, Joan As Police Woman, Thees Uhlmann und Sophie Hunger stehen für Qualität. Das Publikum ist von Familien geprägt, viele scheinen extra für den Tag hergekommen zu sein, insgesamt ist aber weniger los als an den beiden vorangegangenen Tagen. Erstaunlich, wie sich die Zuschauerschaft aufgrund der Tagestickets von Tag zu Tag wandelt.

Obwohl es am Morgen leicht zu tröpfeln beginnt, hält das Wetter und allein das internationale Flair, dass die fünf Künstler verströmen, gibt dem ansonsten eher deutschlastigen BootBooHook einen ganz anderen Anstrich: Während Kjellvander (Schweden) und Timber Timbre (Kanada) zunächst noch mit der sehr übersichtlichen Zuschauerzahl zu kämpfen haben, präsentiert Joan As Police Woman (USA) ihren Soul-Rock einem größeren Publikum – und erhält regen Zuspruch.

Dennoch sind sie alle drei irgendwie nur Vorbands für die beiden Main-Acts des Tages: Thees Uhlmann & Band, der sich mit seinem norddeutschen Charme (und natürlich seiner Musik) die Sympathien der Hannoveraner erobert und zuletzt Sophie Hunger (Schweiz), die mit einem nicht allzu leicht konsumierbaren Auftritt aber großen Gefühlen den Sonntag standesgemäß beschließt. Damit endet die vierte Auflage des übersichtlich-charmanten Festivals, ob eine Neuauflage an selbigem Orte stattfinden wird, steht allerdings noch in den Sternen.








Photo Credits: Mischa Karth, Arne Janßen (Joan As Police Womand und Thees Uhlmann)
Photos (von l.o. nach r.u.): Atmo, Atmo, Camping, Frittenbude, Get Well Soon, Junip, Publikum Open Air, Publikum 60er Jahre Halle, Taxi Taxi, Thees Uhlmann, Joan As Police Woman, Wire, Bonaparte, EF

Mischa Karth, Arne Janßen

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