Festival-Nachbericht

Appletree Garden Festival 2018


Kann das eigentlich sein, dass nach einem Festival gefühlt wirklich alle, ja alle!, glücklich nach Hause fahren? Das kann sein, denn das Appletree Garden Festival war in diesem Jahr vielleicht noch einen Ticken perfekter, als es ohnehin schon ist.

"Das Appletree ist das neue Haldern!", höre ich auf dem Campingplatz einen zufriedenen Menschen sagen. Alle, die schonmal auf den beiden Festivals waren, werden nicht verschweigen können, dass es eindeutige Parallelen zwischen dem Haldern Pop und dem Appletree Garden gibt. In die Verlegenheit, die beiden Liebhaber_innen-Festivals miteinander zu vergleichen, kommt man nicht zuletzt, seit das Appletree ebenfalls ein schönes Spiegelzelt als zusätzliche Bühne zu bieten hat. Beide Festivals sind ländlich gelegen, haben ein ähnliches Line-up und diese ganz besondere Atmosphäre. Nur, dass das Haldern irgendwann aufgehört hat, sich verbessern zu wollen und sich zufrieden zurück gelehnt hat, um sich seinen ruhmreichen Bauch zu kraulen. Beim Appletree passiert das Gegenteil. Vielleicht auch, weil es noch so viel jünger ist (es ist gerade 18 geworden). Aber es scheint jedes Jahr besser zu werden – und dabei bleibt es dennoch klein und gemütlich.

Wer ein paar Beispiele haben möchte: Es gibt Wein in Weingläsern, ja, echten Gläsern zu genießen. Die Preise sind absolut in Ordnung – für eine Wodka-Mate zahle ich nicht mehr als im kleinen Underground-Club und ich bekomme sie ebenfalls in der Halbliter-Glasflasche. Bei den Essensständen gibt es auch ein paar ausgefallenere Delikatessen. Zum Beispiel die Sushi-Bowl, die die beiden Inhaberinnen des Geschäfts noch persönlich zubereiten. Wer möchte, fährt mit der Bimmelbahn ins Freibad oder macht einen gemütlichen Spaziergang durch die nette Ortschaft von Diepholz. Wer sich lieber weiterbilden oder anders austoben möchte, besucht einen Workshop am Vormittag. Um Thai-Massage zu lernen zum Beispiel, das klassische Bauch-Beine-Po-Training mit Personaltrainer Mike zu überstehen oder auch die Tanzimprovisation zu genießen. Von der ist sogar Olli Schulz so beeindruckt, dass er glatt ein Video davon in seiner Insta-Story posten muss. Gehetzt werden muss überhaupt nicht, denn fast keine Konzerte überschneiden sich. Was noch entspannter war, bevor es das Spiegelzelt als zusätzliche Bühne gab, ist immer noch absolut aushaltbar im Vergleich zu anderen Festivals. Ist ein Konzert zu Ende, schlendert man die paar Meter unter den Bäumen zur nebenliegenden Bühne oder ins Spiegelzelt, in das man ohne Wartezeit und Zusatzkontrolle rein und raus gehen kann. Falls man mal etwas Ruhe braucht, legt man sich in eine Hängematte oder auf die Picknickdecke unterm Blätterdach. "Spielplatz" heißt dieser wunderbare Bereich, über dem ein riesiger Diamant als Discokugel prangt, der nachts glänzt und leuchtet, während DJs die Afterhour nach den Konzerten bespielen. Auf dem gesamten Gelände sind überall schöne Dekorationen zu finden und auch die Menschen sind Dank Schminkstation mit viel Glitzer überaus dekorativ. Viele von ihnen tragen außerdem witzige Totems mit sich, die tagsüber hübsch aussehen und nachts schön leuchten.

Da es unglaublich heiß ist während des gesamten Festivals, hat das Organisationsteam bereits im Vorhinein schlaue Vorkehrungen getroffen. Dem großartigen und riesigen Monstermaul, das die Eingangspforte zum Festivalgelände bildet, wurden Wasserdüsen eingebaut, die beim Durchlaufen die Besucher_innen freundlich besprenkeln. Es gibt auf dem Gelände genügend Waschbecken und Wasserstellen, um Wasser zu zapfen oder sich abzukühlen – beste Accessoires sind daher auch eine Henkeltasse, die an der Bauchtasche befestigt mitgetragen wird oder eine Sprühflasche, mit der sich im Publikum zwischendurch Abkühlung verschafft werden kann. Für die Toiletten muss niemand zahlen, auch, wenn es "echte" Klos mit Spülung sind. Dafür sind interessanterweise die Dixies auf dem Campinggelände oft sauberer und mit weniger Wartezeit zu nutzen als die WCs.

Nach so viel Lobhudelei an die Organisation des Festivals jetzt endlich zur Lobhudelei für das Booking beziehungsweise die Bands und Künstler_innen, die auftreten. Am Donnerstag spielen Altin Gün auf der Mainstage und sorgen für Muskelkater bei denen, die nach Tanzanleitung minutenlang mit erhobenen Armen tanzen und mitschnipsen. Isolation-Berlin-Sänger Tobias Bamborschke wirkt in seinem Sommerhemd und den kurzen Shorts fast wie ein Sunnyboy und liefert eine großartige Show ab, Vök bieten 1a-isländischen Elektro-Pop. WhoMadeWho spielen den vielleicht musikalisch professionellsten Auftritt, der dabei gleichzeitig stimmungsmäßig phänomenal ist, vor allem, als sie den "Flat Beat" live in einen Song hineinspielen, als würden sie mit Platten mixen. Völlig zurecht sagen sie auf Deutsch: "Wir sind die WhoMadeWho aus Dänemark! Wir sind viel geil!".

Der Freitag geht gut los mit Sam Vance-Law, der eine echte Überraschung ist und Fans von Get Well Soon und ähnlich schönem Indie gefällt. Ider sind super sweet und überzeugen spätestens mit ihrem besonderen Cover von Outcasts "Roses" und dadurch, dass sie sich gegenseitig Komplimente auf der Bühne machen. Während eine Sängerin von Ider ein silber-glänzendes Kleid trägt, wallen auf der Bühne hinter den Parcels riesige Vorhänge in ganz ähnlicher Optik. Die Parcels und danach Bukahara bieten phänomenale Shows, bei denen ausgelassen getanzt wird. Noga Erez lässt das Publikum im hübschen Spiegelzelt zu ihrem brachialen Trap-Pop ausrasten, The Notwist mixen und frickeln grandios Techno mit verspieltem Elektro und Weval schließen daran mit ihrem ebenfalls sehr tanzbaren Elektro-Experimenten super an. Dendemann macht zwar auch gute Stimmung, das aber vor allem durch das Hook-Klauen von seinen jüngeren Kolleg_innen. Vor allem Dexter scheint es ihm angetan zu haben.

Nachdem die beiden vorangegangenen Tage schon so großartig sind, erscheint das Programm am Samstag erstmal zweitrangig. Aber es kann immer noch mit einigen Glanzstücken aufwarten. Ilgen-Nur eröffnet den Festivaltag mit ihrer unglaublichen Stimme und grandios-witziger Zurückhaltung. Später taucht sie beim letzten Song des Konzerts von Die Nerven nochmal auf deren Bühne auf und ergänzt deren Show als "geheimer Gast" perfekt. Goldroger, die deutschen Hip Hop mit Livegitarre und DJ machen, haben das eventuell euphorischste Publikum, das absolut glücklich und dankbar als Zugabe den selben Song nochmal annimmt, da das Repertoire ausgegangen ist. Grizzly Bear dagegen sagen von sich selbst, dass sie nicht gerade die Samstag-Nacht-Party-Band sind, aber jetzt einfach mal das Beste draus machen würden. Daniel Rossen (Sänger und Gitarrist) feiert mit dem Auftritt in seinen Geburtstag hinein und bekommt dafür vom Publikum wunderbar schiefe Ständchen gesungen. Zur mitreißenden Musik von Acid Arab kann sich dann wieder wachgetanzt werden, um zum Abschluss des Festivals die Grandbrothers im Spiegelzelt zu bewundern, die mit ihren mehrschichtigen Klängen Musiker_innen wie Nils Frahm in nichts nachstehen.

So voll mit großartigen Reizen und eventuell einem kleinen Sonnenbrand können alle am Sonntag glücklich wieder nach Hause fahren und sich endlich von dem schwarzen Staub, der vom Boden in alle Poren eingedrungen ist, gründlich abwaschen. Die schönen Erinnerungen an dieses zauberhafte Festival werden allerdings noch sehr lange unabwaschbar im Kopf bleiben.

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Marlena Julia Dorniak

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