Bye-Bye éclat – persönliche Statements unserer RedakteurInnen!



Zu Beginn des Jahres 2021 haben wir unser Herzensprojekt éclat beendet. Uns allen hat das sehr viel bedeutet, wir haben über Bands und KünstlerInnen geschrieben und gestritten, sind in Musik eingetaucht, und wir haben Freundschaften geschlossen, waren gemeinsam auf Festivals und Konzerten. Hinter éclat stehen musikbegeisterte Menschen und ein paar davon melden sich im folgenden nochmal abschließend zu Wort und berichten von ihrer Zeit mit und bei éclat.



ANDREAS PETERS:

Als ich am 10. Oktober 2008 meine erste Rezension für (damals noch) helga-rockt.de veröffentlichte, gab es das Magazin schon seit wahnsinnigen 5 Jahren. 5 Jahre, eine damals schon unglaublich lange Zeit. Niemand hätte ahnen können, dass wir die Geschichte gemeinsam noch 12 Jahre weiterschreiben würden.

Aber fangen wir vorne an. Bevor ich auch nur auf die Idee kam, mich bei Matthias und Ben zu bewerben, verging einige Zeit. Kennengelernt habe ich das Magazin und seine Macher und Schreiber über das Forum des Hurricane Festivals ungefähr 4 Jahre vorher. Ich war der gefühlt einzige Jugendliche in einer kleinen Stadt im Rheinland, der sich für Indie-Musik zu interessieren schien. Die einzigen Fenster zur Erweiterung meines Horizonts waren der Musikexpress, die Visions und das Intro Magazin. Und dann lernte ich im Hurricane-Forum Gleichgesinnte kennen, die nicht nur meinen Geschmack teilten, sondern mich vor allem für neue Musik zu begeistern wussten. Ich weiß noch, wie einige aus dem Forum regelmäßig Mixtapes-CDs miteinander teilten und wie ich sehnsüchtig vor dem Briefkasten saß und auf die heiße Ware wartete. Es war die Zeit, in der meine fixe Idee, Musikredakteur werden zu wollen, immer greifbarer wurde. Folgerichtige studierte ich Germanistik, Anglistik, Kultur- und Medienwissenschaften an der Uni Bonn und begann für verschiedene Formate zu schreiben, bis ich 2008 dann schlussendlich bei helga-rockt.de anheuerte und fortan Teil dieses tollen Projektes werden sollte. Promo-CDs flatterten in meinen Briefkasten, Konzert- und Festival-Akkreditierungen und ein Interview sollten folgen. Für "Helga" und später éclat zu schreiben war irgendwann eine Selbstverständlichkeit. Auch dann, als ich mich schon lange entschlossen hatte, kein Musikjournalist zu werden. Die Damen und Herren der Redaktion, die ich leider nie persönlich kennenlernen durfte (und die mich fortan für einen Bot halten sollten), wuchsen mir ans Herz.

Nun, Dinge ändern sich. Aus den Promo-CDs wurden digitale Bemusterungen, die zunächst vor Release zur Verfügung gestellt wurden und irgendwann dann erst zum Release selbst. Die Streaming-Kultur hat der Musikindustrie ihren Stempel aufgedrückt und auch persönlich änderte sich einiges. Private Projekte, berufliche und familiäre Entwicklungen ließen immer weniger Zeit dafür, neue Musik in der Tiefe kennenzulernen, wie es damals im studentischen WG-Zimmer tagein, tagaus der Fall war. Und so wurden es auch immer weniger Rezensionen, die ich beizutragen vermochte. Die pure Existenz dieses tollen Magazins ließ mich eine lange Zeit glauben, dass vieles eigentlich noch so sei wie damals. Als alles möglich war und Mixtape-CDs von (eigentlich) Fremden aus dem Internet das Highlight der Woche. Nun ist es vorbei. Das Ende von éclat legt Zeugnis ab von diesen Veränderungen, ist letztlich das greifbare Ende einer unfassbar tollen Ära. Für mich ist es nun Zeit, nach vorne zu blicken.

Ich möchte allen Beteiligten danken. Für großartige Diskussionen (im Hurricane-Forum und auf dieser Seite), für Inspiration, für Unangepasstheit, für Passion, für die Liebe zum Detail und für diese tollen Beiträge über die letzten 17 Jahre hinweg. Ganz besonderer Dank geht an Matthias und Ben. Dafür, dass ihr euer (oder darf ich sagen "unser"?) Herzensprojekt so lange auf diesem hohen Niveau am Leben halten konntet und dafür, dass ihr diese schwierige Entscheidung zum wahrscheinlich richtigen Zeitpunkt getroffen habt.

An alle anderen: schickt euch weiter Mixtape-CDs (oder von mir aus Playlists), begeistert euch für Musik und genießt dieses einmalige Gefühl, eine großartige Platte zum allerersten Mal zu hören. Das kommt nicht zurück.

Ich schließe mit dem letzten Satz meiner ersten Rezension: "...und plötzlich fühle ich mich wie damals, nur dass ich etwas älter bin und sie etwas weiser". Es ging um Tomte. Was wusste ich damals schon?

Danke für die Zeit, ich werd's doll vermissen!


BENJAMIN KÖHLER:

Alles begann Anfang der Nullerjahre damit, dass ich bei ringrocker.com (RIP) Carsten kennengelernt hatte. Der war ähnlich musikbegeistert wie ich und hatte bereits einen Musikblog namens helga-rockt.de ins Leben gerufen. Ich weiß nicht mehr, ob ich ihn gefragt habe, ob ich mitmachen darf oder andersrum. Jedenfalls trafen wir uns wenig später bei ihm in Mainz und klebten Heckscheibenaufkleber mit dem helga-rockt.de-Schriftzug auf unsere Autos. Dieser Schriftzug ging übrigens erst mit meinem Honda Civic in 2020 in Rente, aber das nur am Rande...

Wir waren Feuer und Flamme und wollten die Seite so schnell und so groß wie möglich aufziehen. In diversen Musikforen (RIP) haben wir Leute angeheuert, die zum Teil auch bis zum Schluss an Bord blieben. Erst waren wir zu sechst, dann zu zwölft und plötzlich über zwanzig Redakteurinnen und Redakteure. Irgendwie kam ich zu dem Titel "Chefredakteur". Wahrscheinlich, weil irgendwer für Ordnung sorgen musste. Das konnte ich schon immer gut.

Carsten musste sich dann irgendwann entscheiden: diese Art von Musikjournalismus weitermachen oder doch lieber Events und Konzerte veranstalten. Gott sei Dank hat er sich für Letzteres entschieden. Die Konzert-/Festival-Landschaft im Rhein-Main-Gebiet wäre sonst nicht so dermaßen aufgeblüht in den Folgejahren. Matthias war dann fortan der zweite "Chef" neben mir und wir haben uns von Beginn an super ergänzt: Er übernahm den ganzen Administrationskram mit Labels und der Website und ich war für "das Personal" zuständig.

Wir produzierten Rezensionen und Interviews wie blöde, hatten teilweise mehrere Leute auf einzelnen Festivals am Start. Nur der Name war uns mittlerweile peinlich geworden, also musste ein neuer her. In dem kompliziertesten Auswahlprozess ever ist es dann schließlich éclat geworden. Ich war damit bis zum Schluss zufrieden, auch nachdem ein Parfüm-Vertrieb irgendwann schamlos das Logo kopiert hatte und wir über Facebook zahlreiche Fehlgeleitete abspeisen mussten.

Neben dem Schreiben von eigenen Texten hat es mir immer am meisten Spaß gemacht, neue Schreiberlinge zu finden, sie bei ihren Fortschritten zu unterstützen und dann irgendwann allein laufen zu lassen. Bei manchen wusste ich sofort: Das wird nix! Bei anderen war mir ebenso direkt klar, dass die weit besser schreiben konnten als ich. Menschlich hat es auf jeden Fall fast immer gepasst. Mit ganz vielen (ehemaligen) Redakteurinnen und Redakteuren verbinden mich immer noch feste Freundschaften und die werden auch nach dem Ende von éclat hoffentlich erhalten bleiben.

Ohnehin war das alles ja weit mehr als ein Zusammenschluss von Musiknerds, die ein paar Zeilen zu ihren Lieblingsbands ins Internet blasen. Wir hatten Forentreffen in Köln und Hamburg, gingen komplett schwarz-weiß-rot gekleidet auf ein White-Stripes-Konzert, haben zusammen sämtliche Festivals in Europa unsicher gemacht und keine Ahnung wie viele Stunden einfach nur über Musik gequatscht. Da kommt jetzt natürlich auch viel Wehmut auf über die alten Zeiten. Aber wir werden uns sicherlich auch noch in Zukunft treffen, wenn wir alt und grau geworden sind.

Ich bin jedenfalls dankbar für all die tollen Jahre und kann jede/n nur ermutigen, selbst so eine Musikseite zu gründen oder sich irgendwo anzuschließen. Die Erfahrungen, die ich bei éclat gemacht habe, würde ich nicht missen wollen. Und ich gehe auch nicht mehr darauf ein, warum jetzt Schluss ist. Das haben wir schon getan. Stattdessen gibt es von mir noch ein kleines Best-of ausgewählter Interview-Anekdoten. Viel Spaß und bis dann!

Mother Tongue
Mein erstes Interview. Ich war so nervös, dass mir fast schlecht war. Zu meinem Entsetzen erfuhr ich auch noch vor Ort, dass die ganze (!) Band bei dem Interview dabei sein würde. Zum Glück war ich ebenfalls nicht allein und hatte Unterstützung von Marcus, und meine damalige Freundin filmte das Ganze dann auch noch. Das Interview lief natürlich viel besser als befürchtet und ich lernte an dem Tag, dass Musiker auch nur normale Menschen sind. Irritiert war ich nur davon, dass der Sänger während unseres Interviews etliche Brötchen mit Olivenöl verdrückte.

The (International) Noise Conspiracy
Es war schweinekalt und wir warteten schon Ewigkeiten vor der Location, um das Interview zu machen. Es war vereinbart worden, dass uns der Tourmanager abholt. Der kam aber einfach nicht und telefonisch erreichen konnte man ihn auch nicht. Mit den Worten "Ich geh hier nicht ohne Interview weg" tat Elm dann das, was man nie tun sollte: Er ging zum geparkten Tourbus und hämmerte an die Tür. Nach einiger Zeit machte ein sichtlich "genervter" Dennis Lyxzen auf. "Ja, was ist denn hier jetzt mit dem Interview, Dennis?" Dennis: "Welches Interview?" Mexican Standoff... Dennis: "Wartet kurz, ich hole Ludvig, den Bassisten".

Nada Surf
Ich holte Sänger Matthew Caws mittags nach dem Soundcheck an der Location für das Interview ab. Der hatte aber erst mal andere Pläne und wollte sich einen kleinen Plattenspieler und Boxen kaufen, die er zusammen in einem Koffer als "mobiles" Soundsystem überall hin mitnehmen konnte. Also waren wir erst mal shoppen. Und danach Mittagessen. Und dann im Tourbus, um Platten zu hören. Das Interview haben wir dann irgendwann vergessen. Beinahe auch noch das Konzert, denn der Manager rief pünktlich zur Vorband an, um zu fragen, ob Matthew denn noch auftauchen würde. Ich habe ihn dann Jahre später noch mal zum Interview getroffen und wir haben uns herzlich über die Episode amüsiert.

Mogwai
Erstes und einziges Interview in Strasbourg. An der Location will mich natürlich erst niemand reinlassen. Es entwickelt sich ein Überzeugungsgespräch in schlechtem Englisch (vom Türsteher) und noch schlechterem Französisch (von mir). Schließlich hat er Erbarmen und führt mich in den Backstagebereich. Dort klärt das Management erst mal auf: Klar, der macht ein Interview hier! Erstmal durchatmen. Das Schlimmste hab ich hinter mir. Bis ich die erste Antwort von Stuart Braithwaite erhalte. Es ist ein Satz. Und auch seine Antworten zu den folgenden Fragen werden immer nur aus einem einzigen Satz bestehen. Ich probiere alles, doch der schottische Sturkopf kommt mir kein Schritt entgegen. Zum Abschluss möchte ich ihm eins auswischen und frage ihn, ob er bei der anstehenden WM für England ist. Er lacht und wir trinken noch ein Bier.

We Are Scientists
Auf dem Haldern-Pop-Campingplatz kam plötzlich ein Anruf rein. Ob wir We Are Scientists interviewen wollen. In einem Augenblick geistiger Umnachtung hatte ich sofort zugesagt. Das war wohlgemerkt noch in einer Zeit, in der man eben nicht mal eben an Ort und Stelle ins Internet konnte... Vorbereitet hatten wir natürlich nix. Mit Elm kurz beraten: Lass uns doch das klassische Entweder/Oder-Interview machen! Erste Frage: New York Yankees oder New York Mets? Antwort: Wir mögen keinen Baseball. Zweite Frage: Festival oder Einzelkonzert? Antwort: Ist uns egal. Ich tauschte mit Elm nervöse Blicke aus und wir wechselten in einem Akt völliger Verzweiflung zu irgendwelchen Standardfragen. Es waren die peinlichsten 15 Minuten ever. Das Interview ist nie erschienen.


DANIEL WALDHUBER:

Ich möchte nicht zu viel der persönlichen Worte verlieren, denn letztlich steckt davon in allen meinen Texten eine ganze Menge. Dafür bin ich éclat nach all den Jahren am dankbarsten, dass ich über das Schreiben meine Sinne für Musik noch mehr geschärft habe als zuvor, mir klarer geworden ist, wann ich etwas bedeutsam finde, und wann nicht, und warum.

Von in Cafés auf Reisen in Vancouver bis zu der heimischen Uni-Bibliothek damals im Studium, wenn ich eigentlich anderes zutun hatte, hab ich überall über Texten und letztlich über Musik gebrütet. Einige Platten hätten sich mir definitiv nicht in dem Ausmaß erschlossen, das mir das Schreiben gegeben hat. Einige wunderbare Gespräche, allen voran das mit Adam Granduciel 2014, einen Atemzug bevor The War On Drugs durch die Decke gingen, werde ich nie vergessen. In der letzten Zeit hatte auch ich weniger Zeit, aber die durchs Schreiben erlangte Blickweise auf, oder viel mehr Hörweise der Musik wird bleiben. Das werde ich immer genießen. Danke éclat, ich werde Dich vermissen.


JAN MARTENS:

Ich erlaube mir einfach mal, diesen Abschiedstext mit genau dem Wort zu beginnen, das ich während meiner éclat-Zeit immer von der Seite verbannt sehen wollte: "Ich". Zuwider war mir immer der Versuch, sich mittels seiner Texte selbst profilieren zu wollen, die Rezension zum Tagebuch über die Begegnung mit dem Album umzufunktionieren, beim éclat-Bewerben auf Facebook zufällig immer vorrangig die eigenen Beiträge zu erwähnen oder auch nur im Konzertbericht quasi jedes Mal zu betonen, wie unverschämt Raucher auf Konzerten doch seien. Liebe KollegInnen, fühlt euch angesprochen, wo nötig :-)

Dabei sind nicht wenige Erinnerungen, die man an éclat, an ca. 450 Rezensionen und diverses mehr hat, dann doch eher ich-bezogen und teils schon etwas egoistisch: Das freudige Gnihihi, wenn statt eines schnöden Streams unerwartet ein schönes Digipack in den Briefkasten flatterte, wie schön es war, dank Gästeliste mal weniger betuchte Freunde auf ein Konzert mitnehmen zu können oder vor allem das unglaubliche Glück, für éclat mit Musikern sprechen zu können, ohne die ich heute nicht wäre, wer ich bin: Brian Fallon, Matt Berninger, Jónsi. Aber wie das mit Glück und Freude nun mal so ist – man teilt sie am besten.

In vielen dieser Texte wird man dementsprechend nun lesen, wieviele tolle Leute man durch éclat kennenlernen durfte – da ich so einige selbst dort mal mehr, mal weniger anschleppte, war es für mich mehr die Erfahrung, Menschen besser oder auch nur anders kennenzulernen. Durch Klaus merkte ich, dass es auf der Misanthropenskala anscheinend noch einige Stufen höher geht. Gordon beneidete ich immer dafür, wahrscheinlich nachts in der Achterbahn eine bessere Rezension zu einer kaputten Spieluhr schreiben zu können als ich nach langem Grübeln zu einer Herzensplatte und Lisa, mit der mich immer mehr verbunden hat als nur der gemeinsame Hang zu unausstehlicher orthographischer Pingeligkeit.

An alle anderen, die mir vor éclat dann doch unbekannt waren: Ben, irgendwann werden wir eine Band oder einen Künstler finden, bei dem wir uns sogar auf ein Album einigen können, das wir beide mögen. Yves, Respekt, dass du deine Fantasiesprache all die Jahre bei Facebook und auf Treffen durchgezogen hast. Marlena, warum sind unsere Förderlehrer eigentlich nicht so ein Sonnenschein wie du? Und Andreas, dich grüß ich richtig, sobald du uns endlich mal deine Existenz bewiesen hast, okay? Und danke an alle éclat-Fremden, die meine Texte gelesen haben. Irgendwie hab ich immer bezweifelt, dass das wirklich jemand tat. Egoproblem, anyone? Wer noch mal quatschen oder ein Bier bei einem vielleicht irgendwann mal wieder stattfindenden Konzert trinken will: einfach mal den Titel der letzten von mir rezensierten Platte checken.

Nun kommt das Ende jedoch passend zu einer Lebensphase, in der die Auto-Playlist sich erschreckend oft zu einem Switchen zwischen Radio21 und Radio Ostfriesland zurück entwickelt hat und Platz 1 der Spotify-Charts wohl eh bald vom "Leo Lausemaus"-Intro eingenommen werden wird. Es bleibt der Rückblick auf viel Musik, die im Gedächtnis bleibt und auf vielleicht noch mehr, die beim Schauen auf die Liste eigener Rezensionen nach einem "Böhmische Dörfer"-Sampler wirken. Was bitte sind ein "Knucklebone Oscar" oder "U.S Christmas"? (Die Antwort: zumindest ausnahmsweise keine 3,5/5).

So long and...ihr kennt den Rest.

Jan

PS: Jetzt könnt mich ruhig in den Gag einweihen, Leute – ihr fandet doch damals nicht ernsthaft Destroyer geil, oder?


KLAUS PORST:

Knapp dreizehn Jahre ist es nun also schon her, dass eine vormals flüchtige Festivalbekanntschaft namens Jan Martens via irgendeines mittlerweile vergessenen Messengers meinte, "helga rockt" suche noch Autoren. Helga wer? Nun, in frühen Vorzeiten galt "Helga!" als banal-pubertärer Festivalruf und dieser musikbezogene Begriff diente nun einigen Mittzwanzigern als Anlaufstelle für Musikkritiken. Das Angebot war natürlich hochverlockend. Die legale Streamingindustrie steckte noch in ihren Kinderschuhen und somit ging ein guter Anteil des geringen Haushaltsbudgets für mehr oder minder Blindkäufe musikalischer Natur flöten. Helga-Rockt sollte daher in zweierlei Hinsicht eine große Chance sein: Einerseits Zugangsweg zu neuer Musik, andererseits natürlich die Eitelkeit, den eigenen Musikgeschmack unbekannten Menschen auf die Nase binden zu können.

Gesagt, getan. Bewerbungstext zu "Alles wieder offen" der großartigen Einstürzenden Neubauten geschrieben und wenig später lag sie dann im Briefkasten: Die erste eigene Promo-CD. "In The Future" von "Black Mountain". Von da an waren Helga, beziehungsweise die spätere, sehr sinnvolle Umbenennung zu éclat, stetiger Begleiter und verantwortlich für einige wunderschöne Momente des Lebens. Jan dürfte seine Anfragen mittlerweile bereut haben, angesichts tausender das/dass- und Kommafehler in den Texten.

Seien es nette Einladungen zu Konzerten oder Festivals wie dem Open’er, Melt! oder Popkultur, wo 2018 mit Anna von Hausswolff das beste erlebte Konzert verbucht werden konnte, oder das atemberaubende Preview zu "Blackstar" einige Wochen vor Release in einem Berliner Planetarium ohne die tragische Hintergrundgeschichte zu ahnen, die dieses Album mit sich bringen würde. Dazu natürlich die hunderten Entdeckungen aus der nicht enden wollenden Redaktionsliste der zu verteilenden Neuerscheinungen. Tolle Erfahrungen, die einem das Gefühl gaben, irgendwie dazu zu gehören zum Kreis der schreibenden Zunft.

Nun also, zu Beginn 2021, exakt dreizehn Jahre nach "In The Future", dieser letzte Text, nachdem das großartige "Odin’s Raven Magic" schon einen passenden Schlusspunkt unter die redaktionelle Arbeit setzte. Da kann es natürlich nicht anders sein, als dass melancholische Traurigkeit vorherrscht über das Ende dieses tollen Projekts. Andererseits ist jetzt noch ein guter Zeitpunkt dafür. Lebensmittelpunkte verschieben sich mit der Zeit und so ist es auch hier bei den Verantwortlichen der Fall. Anstatt ewig lang auszufaden, wie es früher in vielen Songs der Fall war, endet also das Kapitel éclat – nicht mit einem großen letzten Knall, sondern mit dem Wissen um den richtigen Zeitpunkt.


LINA NIEBLING:

Texte über Musik zu schreiben und Worte für Klänge zu finden. Alben wieder und wieder zu hören und zu merken, dass sich das eigene Hören verändert, der Zugang zur Musik ein anderer wird und Zwischentöne hörbarer. Manche Alben brauchten mehrmaliges Hören, um zu begeistern, andere schafften es direkt und ein paar gelang dies auch gar nicht.

Schreiben für éclat war immer auch die Möglichkeit, sich viel Zeit für ein bewusstes Hören zu nehmen, neue Interpret:innen und Bands kennenzulernen und sich voller Begeisterung für deren Rezension einzutragen, um sie auch anderen zu beschreiben. Woche um Woche dann die Freude am Dienstagabend, wenn neue Rezensionen veröffentlicht wurden und ich mich durch die Texte lesen und die Musik hören konnte. Éclat war auch das Sich-von-anderen-begeistern-Lassen, das Betreten eines schier endlosen Musikuniversums und -wissens und ein Medium des Austauschs. Andere mit einer ähnlichen Begeisterung für Musik zu treffen und dafür einen Ort mit zu gestalten, der jedem und jeder zugänglich ist. Éclat war vieles und dafür Chapeau für so viel Engagement und Liebe zur Musik. Nun denn, liebes éclat-Team, liebe Leser:innen – das war's. Genug der Worte. Nur eins noch: Danke.


LISA DÜCKER:

Als ich 2009 mit dem Abi fertig war, hatte ich einen Plan: Ich wollte studieren und dann Musikjournalistin werden. Ich hatte schon ein wenig Erfahrung bei meiner Lokalzeitung gesammelt und war von der Idee begeistert, nur noch über Musik schreiben zu können. Was könnte cooler sein, als den ganzen Tag Musik zu hören, auf Konzerte zu gehen und mit Bands zu sprechen – und dann auch noch dafür bezahlt zu werden?!

Es kam natürlich alles etwas anders als geplant. Über Jan kam ich Anfang 2011 zu éclat und obwohl ich zuerst etwas eingeschüchtert war, war ich auch froh, endlich ein Outlet für meine Musiknerderei zu haben. Eine meiner ersten Rezensionen schrieb ich über das selbstbetitelte Album von Jupiter Jones. Ja genau, das ist das mit "Still", einem der meistgedudelten Songs der deutschen Radiogeschichte. Damals fand ich es noch super, dass eine meiner damaligen Lieblingsbands ein wenig Airplay bekam: "Mein Gott, dann läuft es eben im Radio. Dann gibt es da wenigstens auch mal was Gutes zu hören." Konnte damals ja noch niemand ahnen, wie sich der Song und die Band entwickeln würden.

Den Plan, Musikjournalistin zu werden, habe ich relativ schnell wieder aufgegeben. Im Studium entdeckte ich meine Leidenschaft für die Sprachwissenschaft und je mehr ich mich damit beschäftigte, umso weniger Zeit blieb mir für Musik. Aber dank éclat hatte ich die Möglichkeit, jahrelang über meine Lieblingsbands zu schreiben und auch immer wieder neue für mich zu entdecken. Besonders gerne habe ich auch von Festivals berichtet, vor allem vom Reeperbahn Festival.

Ab 2018 habe ich dann nur noch Text korrigiert. Meine letzte Rezension habe ich zu "I've Tortured You Long Enough" von Mass Gothic geschrieben. Ich gab dem Album damals nur 3 von 5 Punkte (typisch – ich glaube, 3 von 5 ist die Wertung, die ich insgesamt am häufigsten vergeben habe). Und auch hier lag ich wieder daneben: Das Album hat mich noch lange begleitet und stand am Ende des Jahres an der Spitze meiner Charts. Hinterher ist man eben immer klüger. Ich denke aber, dass ich insgesamt doch häufiger den richtigen Riecher hatte.

Meine Zeit bei éclat war lang und aufregend und voll guter und nicht so guter Musik und großartiger Festivals und toller Menschen. Es war schön mit euch, ich werde euch vermissen!


LEWIS WELLBROCK:

Jeder hat diese einschneidenden Momente, von denen der Musikgeschmack geprägt wird. Ob es nun eine Platte der Eltern, ein Musikvideo bei MTV oder ein zufälliger Konzertbesuch ist. Bei mir ist einer davon die erste gelesene Rezension bei éclat. Als mein Musikgeschmack mit frischen 16 Jahren primär aus den ersten beiden Billy-Talent-Alben, einer willkürlichen Mischung konvertierter Youtube-Videos, ROCK TRL und dem aktuellen Hurricane-Line-Up bestand, gelangte ich durch Zufall auf die Rezension von Declan de Barras "A Fire To Scare The Sun" auf helga-rockt.de. Damals war mir natürlich noch nicht bewusst, wie stark diese Rezension, dieses Album und diese Website mein Leben prägen würde. Dafür bin ich meinem Kollegen Klaus für immer dankbar, auch wenn ich mir vorstellen kann, dass er eher ungern mit meinem Musikgeschmack in Verbindung gebracht werden möchte.

Seit diesem Text ist viel Zeit vergangen, Declan de Barra schreibt nun Fernsehserien und ich gerade meinen letzten von mehr als 150 Texten für éclat. Nach dem ersten Klick auf helga-rockt öffnete sich für mich eine andere Welt. Wenn so fantastische Musik wie de Barras bis dato an mir vorbei gegangen war, was gibt es da noch? Beinahe gierig hörte ich mich erst durch die vergangenen Bestenlisten, dann durch alles, was mindestens 4 von 5 Punkten bekam. Innerhalb weniger Monate begann ich meine Hörgewohnheiten komplett zu ändern. Das Lastfm-Mitschnitt-Programm lief auf Hochtouren. So begleiten mich seither die ersten Klänge des Debüts von Bon Iver und führten im Endeffekt zum besten Konzert meines Lebens und Freundschaften, die bis heute bestehen.

Aber nicht nur die besprochenen Platten, auch die Autoren auf helga-rockt haben mich beeinflusst. Durch ein zufälliges Treffen mit Jan auf dem Appletree Garden 2010 bot sich mir eine Mitfahrgelegenheit zum Haldern Pop, einem Festival, das für mich in den folgenden Jahren ein absolutes Jahreshighlight werden sollte. Einzige Voraussetzung für den Autoplatz: Eine Anmeldung im helga-rockt-Forum. Damit war der erste Schritt getan. Gute zweieinhalb Jahre später schien es mir dann nur logisch, dem Facebook-Aufruf zu folgen und mich als Redakteur zu bewerben. Alben vor Erscheinungsdatum, Konzert- und Festivalakkreditierungen und die ersten veröffentlichten eigenen Texte – was konnte es Schöneres geben?

Und éclat hielt, was es versprach. Das ging natürlich nur, weil Leute im Hintergrund das Ganze am Laufen hielten, worum sie wirklich nicht zu beneiden waren. Entschuldigt die verstrichenen Fristen und Extraschichten, die ich euch aufgehalst habe. Denn die vergangenen sieben Jahre bestanden nicht nur aus pünktlich abgegebenen Rezensionen. Dazu gehörten auch vergessene Alben, Alben, durch die man sich quälen musste, schlechte Texte, die im virtuellen Papierkorb landeten, schlechte Texte, die ich trotzdem abgegeben habe und wirklich, wirklich anstrengende Nachtschichten.

Für diese kontinuierliche Arbeit möchte ich mich besonders bei Matthias, Ben, Lisa und Jan bedanken, aber auch bei allen anderen Redakteuren, deren Arbeit mir nicht nur wunderbare Künstler:Innen und Alben nahegebracht, sondern dazu beigetragen haben, dass éclat weiter Anlaufstelle für Musikinteressierte geblieben ist. Mir persönlich hat éclat mehr gegeben, als ich jemals zurückzahlen könnte. Ob es nun Musik, Freunde oder Momente sind. Und wenn es auch nur einem klitzekleinen Bruchteil unserer Leser ähnlich gehen sollte, können wir stolz auf uns, auf die 17 Jahre und die mehr als 6000 Texte sein.


MARIAN KRÜGER:

Ungefähr zwölf Jahre lang verfolgte ich Helga-rockt beziehungsweise éclat als stiller Leser. Mal mehr und mal weniger aktiv in dieser Funktion. Vor zwei Jahren, zu dem Zeitpunkt gerade als weniger aktiver Leser, sah ich einen Social-Media-Aufruf, dass Redakteure gesucht werden. Noch nie hatte ich mich mit dem Schreiben intensiver auseinandergesetzt und auch mein Drang, sich immer ständig mit neuen Veröffentlichungen zu beschäftigen, war zu diesem Zeitpunkt auf einem fast besorgniserregenden Tiefpunkt. Das Plattenregal wurde mit dem Alter länger, die gefühlte Zeit, dieses ständig durchzuhören, kürzer. Die Option, das einfach hinzunehmen und es weniger werden zu lassen, ist doch oft naheliegend – ich entschied mich aber für die Musik und für ein neues Hobby.

Eher als Impuls dachte ich, das wäre doch eine Idee, um sich wieder mehr mit der Musikszene zu beschäftigen. Dann ging es ganz schnell und meine erste Rezension von Better Oblivion Community Center stand und wurde direkt veröffentlicht. Besonders dankbar bin ich Ben, der sich viel Zeit und Mühe genommen hat, diesen und folgende Texte zu bearbeiten und mir Hilfestellungen zu geben.

Es folgten 33 Texte, auf die ich mal mehr und mal weniger stolz bin, aber was funktioniert hat, ist, dass meine Liebe zu Musik und neuer Musik noch einmal neu entfacht wurde. Es sind nicht nur die wunderbaren Entdeckungen, die ich machen durfte, sondern auch eine Erfahrung, einmal der erste zu sein, der seine Meinung zu einer Platte sagen kann. Keine Empfehlung von einem Freund, der sagt, das sei cool und klingt nach den Pixies oder so. Alle Assoziationen, alle Gefühle und alle Wertungen erst einmal selbst vornehmen zu müssen, ist eine tolle Erfahrung und manchmal auch eine sehr herausfordernde.

Einiges durfte ich übers Schreiben lernen, zum Beispiel, dass man Rezensionen nicht beenden sollte mit einem Fazit, das ist doch meist etwas plump und oberlehrerhaft. Da dies keine Rezension ist, möchte ich aber etwas festhalten:

Liebes éclat-Team, danke für die Erfahrung und ein besonderes Dankeschön an Matthias, Ben, Lisa und Jan für das Lesen und Korrigieren meiner Texte, sowie die gesamte Organisation. Es ist schade, dass es vorbei geht, aber ich freue mich, dass ich zumindest kurz ein Teil der Community sein konnte. Es hat großen Spaß gemacht, mit Euch über Musik zu schreiben, mich mit Euch im Forum auszutauschen und einige von Euch beim Treffen 2019 persönlich kennenzulernen. Ich hoffe, man sieht sich auf den Konzerten und Foren für Musikliebhaber. Selbstverständlich auch lieben Dank an Euch stille Leser, die sich mal mehr und mal weniger mit Musik beschäftigen.


MARLENA JULIA DORNIAK:

Mein Parallelleben in der Musikbranche

Musik war meine Rettung beim Aufwachsen in einem 600-Seelen-Dorf tief in der Eifel. Immerhin gab es Radio – und als 1Live noch gute Musik spielte, konnte ich diese rund um die Uhr konsumieren und mir meine liebsten Songs auf Kassetten aufnehmen. Als wir dann ein Modem ins Haus bekamen und mir die weite Welt (der Musik) übers Internet offen stand, war ich hin und weg. Ich entdeckte die Plattformen X-Taster und Hardplace, die Kids damit lockten, in Street-Teams zu arbeiten und die gesamte Umgebung mit Stickern von Bands vollzukleistern. Dafür gab es dann als Belohnung immer mal wieder Gästelistenplätze auf Konzerten und – das Höchste der Gefühle – auch Meet and Greets mit den jeweiligen Bands. Das war mein Einstieg in eine Welt, in der ich seitdem immer wieder gerne ein Parallelleben führe: Auf Konzerten und Festivals, umgeben von Menschen, die für Musik brennen, konnte ich alles Anstrengende für eine Zeit lang vergessen. Bei Meet and Greets traf ich damals beispielsweise Clueso, der mir frustriert versicherte, dass er wohl nie erfolgreich werden würde – oder auch Devonté Hynes mit seiner Band Test Icicles, die von Tokio Hotel als beste deutsche Band schwärmten.

Das Internet stellte sich auch ein paar Jahre später als die Quelle für meinen nächsten Hobby-Job in der Musikbranche heraus: Über die legendäre Plattform studi-VZ stolperte ich auf das Profil von Benjamin Köhler, einer der Chefredakteure von Helga-rockt (wie éclat damals hieß). Er hatte dazu aufgerufen, in der Musikredaktion mitzuwirken. Ich war Feuer und Flamme und bewarb mich mit einem Text über eine meiner damaligen Lieblingsbands: Shitdisco. Deren Musik verglich ich mit dem anstrengenden, aber auch schönen Getummel auf einer Kirmes – und war damit ins Fahrgeschäft des Musikjournalismus eingestiegen und seither nicht mehr ausgestiegen. Das professionellere Pendant zu Meet and Greets wurden für mich später Interviews mit Bands und Künstler*innen. Fast 50 Interviews habe ich allein für éclat geführt, mein erstes im Jahr 2009 mit der Musikerin Monotekktoni. Meine Freundin Anna Deisenhofer hatte damals im Glashaus in Bayreuth mitgewirkt und dort unter anderem Konzerte veranstaltet. Da ich zu Besuch war, hing ich den ganzen Tag mit ihr dort ab und quatschte auch mit Monotekktoni, alias Tonia Reeh, die am Abend live spielte. Wir verabredeten uns spontan für ein Interview. Da ich noch kein Diktiergerät hatte, schrieb ich so gut ich konnte auf herumliegenden Zetteln ihre Antworten auf. Ich kam mir vor wie Karla Kolumna – aber ich wollte künftig lieber weniger schreiben und mehr zuhören. Ein paar Tage später kaufte ich mir also ein Diktiergerät und hatte es von da an auf jedem Festival und zu vielen Konzerten in der Tasche dabei.

Bei Interviews geht es für mich vor allem darum, dem Gegenüber zuzuhören und miteinander ins Gespräch zu kommen. Anstatt stumpf eine Frage an die andere zu reihen, werde ich hellhörig, wenn mir die andere Person Einblicke in die eigene Welt gewährt. Dadurch vertieft sich das Gespräch, dauerte häufig nicht, wie vom Management vorher angekündigt, "maximal 30 Minuten!!", sondern gerne mal ein bis zwei Stunden, mit oftmals herzlicher Umarmung am Ende. All die Gespräche, die ich mit verschiedensten Menschen geführt habe, haben mein Leben und Wissen extrem bereichert und ich finde es total wertvoll, das Privileg zu haben, zuvor fremde Menschen so intim und intensiv über deren Leben befragen zu können. Eine Art von Interviewfrage lockte häufig besonders absurde Themen hervor und lenkte das Gespräch in unerwartete Richtungen. In jedem Interview fragte ich nach einer Frage, die ich im folgenden Gespräch der nächsten Person oder Band stellen sollte. Häufig kamen dabei Fragen zu Stande, die ich mich selbst nie zu fragen getraut hätte, oder die so skurril waren, dass ich nicht darauf gekommen wäre. Hier eine kleine Sammlung der schönsten und absurdesten Fragen: "Zu welchem Musikvideo hast du das allererste Mal masturbiert?" (Die Nerven), "Wenn du fünf Minuten mit Björk hättest und ihr einen deiner Tracks vorspielen könntest, welcher wäre das?" (Lyzza), "Ordnet euch gegenseitig eure Seelentiere zu!" (Kiasmos), "Wenn du heute stirbst, werden deine Hinterbliebenen etwas von dir finden, was sie verstört?" (Karies), "Wenn du ein Tier wärst, von wem würdest du gerne gegessen werden?" (Leo Hört Rauschen), "Was ist schöner: Einschlafen oder Aufwachen?" (Sookee), "Wenn du eine spirituelle Sitzung machen würdest, welche verstorbene Person würdest du zurück ins Leben rufen und welches Instrument würde die Person in deiner Band spielen?" (Hila Ruach), "Würdest du lieber ein halbes Jahr ohne Decke pennen oder dir einen Monat nicht die Zähne putzen?" (Messer). Denkt mal darüber nach.

Alle, bis auf ein geführtes Interview, habe ich auch veröffentlicht. Immer noch als rohe Audiodatei auf dem Computer liegt ein Interview mit Klaus Fiehe. Er ist Musikjournalist, Radio-DJ und Geschichtenerzähler bei 1Live – und vor allem: Held meiner Jugend. Während ich diesen Text schreibe, höre ich seiner Sendung 'Fiehe' (früher 'Raum und Zeit') zu. Nachdem ich seit etwa dem Jahr 2000 unzählbar oft seine Sonntagnachtshow gehört hatte, schrieb ich ihm eine E-Mail und fragte, ob wir uns auf dem nächsten Haldern Pop Festival treffen könnten. Über das Festival berichtete er jedes Mal und auch ich war jährlich dort zu Gast. Das Treffen fand statt und das Interview war nett. Aber da wir uns nun kennengelernt hatten und feststellten, dass wir gemeinsame Bekannte hatten (immerhin war ich schon seit fast zehn Jahren auch als Musikjournalistin auf dem Haldern Pop unterwegs), begegneten wir uns immer wieder im Laufe des Festivals. Am Ende wusste ich zu viele persönliche Details über das Leben meines Idols aus der Jugend und war nicht mehr in der Lage, einen Text über ihn zu schreiben. Das hätte nur schief gehen können. Von da an war klar: Ich kann nicht gut über Personen schreiben, die ich persönlich kenne und die Erwartungen an meinen Text stellen könnten.

Neben den Interviews waren es auch Plattenkritiken und Festivalberichte, die zum Schreiben einluden. Durch das Schreiben kam ich zum Nachdenken über die Musik, aber auch zum Bewerten des Gehörten. Das ist eine Nebenwirkung des Musikjournalismus, die ich nun Stück für Stück gerne ablegen möchte. Musik unbefangen zu entdecken, ohne darüber nachzudenken, wie ich sie bewerten würde, ist nämlich noch viel schöner, als darüber eine Plattenkritik zu schreiben. Was jedoch wertvoll und erhaltenswert ist, ist, in einer Community über Musik in Austausch zu treten. Mit éclat neben dem Musikmagazin auch eine Online-Community zu haben, war total schön und wichtig. Besonders schön war es aber auch, die beteiligten Menschen ‚im echten Leben‘, auf Festivals oder Redaktionstreffen, zu sehen und sich besser kennenzulernen. Mit der Zeit hatte ich das Bedürfnis, mehr mit Menschen im direkten Kontakt zu arbeiten. Zum Glück konnte ich dazu mit meinen Freund*innen Elisabeth Moch und Lukas Haese zusammenarbeiten, die großartige Fotos der Künstler*innen bei meinen Interviews machten. So war ich dann auch meist nicht mehr alleine bei der Vorbereitung des Interviews und später mit den Künstler*innen backstage, sondern im Team. Das hat mir besonders in Bezug auf den Austausch sehr gut gefallen.

Ein Parallelleben führe ich nach wie vor in der Musikbranche. Denn eigentlich habe ich in meiner Freizeit mehr Jahre Berufserfahrung gesammelt als in meinen bisherigen, ‚professionellen‘ Jobs, für die ich Geld bekomme. Musikjournalismus nebenbei zu machen, das fühlte sich nach Freiheit an, danach, dass ich das schreiben kann, was ich möchte, ohne Vorgaben. Das ist und war die beste Bezahlung.


NICOLE DANNHEISIG:

"...alles endet, aber nie die Musik" Auch manche schönen Dinge müssen ein Ende finden, so leider auch éclat. Schon bevor ich selbst als Schreiberling aktiv war, hat mir dieser kleine, aber feine Blog viel musikalische Inspiration gegeben: Was es neu zu entdecken gibt, was es nachzuhören gilt. Nun blicke ich auf fast 2 aktive Jahre zurück und kann nur sagen, dass es schön ist, dabei gewesen zu sein! Danke éclat, dass du eine Plattform warst, auf der ich mich trauen, ausprobieren und ausleben konnte – von Pop bis hin zu Post-Hardcore habe ich zu Gitarrenmusik aller Couleur schreiben können. Danke an alle, die das über Jahre hinweg möglich gemacht haben, und danke, dass ich diese besondere Art Musikfan zu sein mit euch teilen konnte: "Say we couldn't tell the difference // Between the feeling and the sound".


OLIVER BOTHE

Am Anfang stand der Apfelmann auf Blumfelds "Verbotene Früchte”, am Ende wurde das Universum zum Spielplatz auf der sechsten "Unter meinem Bett” Kompilation für Kinder. Dazwischen liegen knapp 15 Jahre, etwa 860 Plattenrezensionen, ein paar Konzert- und Festivalberichte und drei Versuche an freieren Textformen.

Manches fand nicht statt, weil das Leben andere Prioritäten setzte. Dazu gehören Texte über Klassiker-Alben, die vor Helga-Rockt- und éclat-mag-Zeiten erschienen, ein Text über die Rolle künstlicher Intelligenz für die populäre Musik, aber auch ein Text über wissenschaftliche Arbeiten. Da war zum Beispiel kürzlich erst eine Veröffentlichung, die untersuchte, warum Musik uns so bewegt, dass wir weinen. die untersuchte, warum Musik uns so bewegt, dass wir weinen. Eine andere Arbeit wiederum beschäftigte sich damit, in welchem Maße Musik universal ist in menschlichen Gesellschaften und in welch diversen Kontexten sie verwendet wird.

In den erwähnten 15 Jahren fand Musikkonsum anfangs vor allem auf CD statt und auch wenn andere von CD zu Vinyl umschwangen, erfolgte persönlich der Wechsel hin zur digitalen Datei und widerwillig zum Stream. Musik bestimmt weiter vieles, aber die Intensität der Auseinandersetzung hat sich verringert. Weniges wird häufiger und intensiv gehört. Zu viel Neues wirbt alle Zeit um die Aufmerksamkeit.

Während Spotify behauptet, Musikgenuss und -erfolg zu demokratisieren und dabei doch nur eine Hierarchie zementiert, ist es tatsächlich Bandcamp, das theoretisch jedem:r die Möglichkeit gibt, ihre auditive Kunst den Menschen nahe zu bringen. Die Plattform erlaubt ein endloses Dahinstreifen durch die verschiedenen Genres. Allerdings fordert Bandcamp den Hörer:innen den Willen ab, Geld zu investieren, wohingegen Spotify automatisch beim Hören minimalste Geldbeträge ausschüttet. Das Radio wiederum wurde relegiert. Statt Information und Einblick und Unterhaltung zu liefern, ist es primär Untermalung des beruflichen Pendelns. Es erlaubt einen letzten Einblick in die popmusikalische Chartdynamik und filtert doch auch, was überhaupt davon wahrgenommen wird.

Mit den Mitteln des Musikkonsums änderte sich auch der Musikgeschmack. Horizonte weiteten sich in manche Richtung und Perspektiven verengten sich an anderen Stellen. Experimentelleres wurde reizvoller, wie auch Poppiges, wohingegen klassischer Indie-Pop und Alternative-Rock an Reiz verloren.

Und was ergab sich jenseits des Nerd-Horizonts?

Die gesamte Zeit gab es keine andere Bundeskanzlerin als Angela Merkel, der atmosphärische Kohlenstoffdioxidgehalt erhöhte sich um etwa 28 Teile pro Million und der DAX verdoppelte sich in etwa. Global wurde Armut - wenn auch nicht übermäßig, so doch kontinuierlich - reduziert.

Alles in allem sind wir älter, haben vielleicht zum Anwachsen der Weltbevölkerung beigetragen, kennen mehr oder andere Musik und andere Menschen und andere Dinge als noch vor 15 Jahren. Wir kommunizieren anders, weniger oder vielleicht auch mehr. Wir erreichten akademische Abschlüsse und erarbeiteten uns Positionen - oder auch nicht. Unser Charakter mag sich geändert haben, unsere Ansichten, unsere Sorgen und unsere Gesundheit auch. Soziale Netze haben sich geändert und wenn eine Gemeinschaft wie éclat endet, werden sie sich weiter verändern, werden Kontakte verloren gehen.

Und doch: Am Ende ist einfach nur Sand durch eine große Uhr geronnen.

Was hier nicht erwähnt wurde, ist das große Bedauern über dieses Ende, das fast eher einer echten Trauer nahe kommt.

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Bye-Bye



Am 5. Januar 2021 haben wir éclat eingestellt. Mehr Infos hierzu gibt es auf unserer Startseite!